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Juniper betrachtete sie ehrfürchtig. »Es ist, wie Theodor gesagt hat. Die Seelen in den Ballons reifen. Darum sind einige Ballons größer als andere. Sie müssen schon länger hier sein. Und die Funken scheinen sich um sie zu kümmern.«

Als Giles nach dem Ballon griff, der ihm am nächsten war, stoben die daraufsitzenden Funken auseinander. Er zog den Ballon zu sich herunter, um nach dem Namen zu schauen, der darauf geschrieben stand, doch es war nicht sein Name. »Wie soll ich nur meinen Ballon finden?«

Aber das war gar nicht nötig. Sein Ballon fand ihn. Ein Ballon an einem der mittleren Äste strebte zu Giles herab. Er untersuchte die rote Oberfläche und fand seine mit schwarzer Tinte geschriebene Unterschrift. »Da bist du ja«, flüsterte er. Behutsam löste er das Band vom Zweig und blickte durch die Oberfläche in das Innere des Ballons, auf der Suche nach etwas, vielleicht nach einem Teil seiner selbst. »Es hat sich gut angefühlt, stark zu sein«, sagte er, mehr zu sich selbst als zu Juniper. »Es wird mir fehlen.« Er zögerte einen Moment, dann öffnete er den Knoten, atmete die Luft aus dem Ballon tief ein und holte sich seine Seele zurück. Sein Körper schien heller zu leuchten als der Raum, und die Funken summten aufgeregt.

»Hilf mir, die Ballons loszubinden«, bat Juniper.

»Es sind zu viele. Wir werden ewig brauchen, um die unserer Eltern zu finden.«

»Nein, wir müssen sie alle befreien«, sagte Juniper. »Jeden einzelnen.«

Eilig banden sie die Ballons los, einen nach dem anderen. Bald hielten sie Dutzende von Bändern in jeder Hand. Es hätte nicht viel gefehlt und die beiden Freunde wären zur Decke geschwebt. Die Funken wurden mit jedem gepflückten Ballon ruhiger. Als keine einzige reifende Seele mehr an den Zweigen hing, verließen sie den Baum.

Nachdem Juniper und Giles alle Ballons losgebunden hatten und der Baum komplett kahl war, wandten sie sich zur Tür, um den Raum zu verlassen. Doch der Ausgang wurde von einer Mauer aus Funken versperrt.

Juniper wusste nicht, was sie tun sollte. Schließlich sprach sie die Funken an. »Bitte! Es tut mir leid, aber wir müssen das tun. Einige Menschen sind in großer Not.« Sie ging auf die Tür zu und die Funken bewegten sich pulsierend. Juniper nahm alle Ballons in eine Hand und streckte die freie Hand aus, um die Funken zu berühren, so wie kurz zuvor, um ihre Finger durch die leuchtende Wand gleiten zu lassen und die Funken beiseitezuschieben.

Doch dieses Mal durchzuckte sie ein schreckliches Brennen, als würde sie ihre Hand direkt in eine Flamme halten. Schnell zog sie den Arm zurück und schüttelte ihn, um ihre Hand abzukühlen. Der Schmerz ließ augenblicklich nach.

»Bitte!«, schrie sie. »Ich muss meine Familie retten.«

Ein einzelner Funke verließ die Wand und krabbelte an Juniper hinauf. Es tat überhaupt nicht weh. Dieser Funke fühlte sich an wie die Funken draußen vor der Tür, er erfüllte sie mit Wärme. Der Funke kroch ihren Hals hinauf und ließ sich auf ihrer Ohrmuschel nieder. In ihrem Kopf hörte sie eine sanfte, beinahe engelhafte Stimme.

»Wir können dich nicht mit diesen Ballons gehen lassen«, sagte er. »Du musst uns vertrauen. Es ist zu deiner eigenen Sicherheit.«

»Aber … aber … ich verstehe das nicht.«

»Wir wissen, dass du ein gutes Herz hast. Wir spüren so etwas bei der ersten Berührung. Darum müssen wir dich aufhalten. Wenn alle Ballons aus diesem Raum verschwinden, werden sie entfesselt.«

»Entfesselt?«, flüsterte Juniper.

»Skeksyls Armee, seine Sklaven, sie werden sich auf die Suche nach dir machen. Sie werden diese Hallen innerhalb von Sekunden füllen. Sie werden dich nicht entkommen lassen.«

»Bitte, wir müssen es versuchen.«

»Wir versuchen, dich zu retten. Nimm dir die Ballons, die du brauchst, aber lass die anderen hier. Solange nur ein einziger Ballon zurückbleibt, wirst du verschont.«

Juniper dachte über diesen Kompromiss nach. Sie könnte nur die Ballons von ihren und Giles’ Eltern mitnehmen und alle anderen wieder an den Baum binden. Deswegen war sie doch herkommen, oder nicht? Doch in ihrem Kopf sah Juniper ein anderes Mädchen wie sich selbst und einen anderen Jungen wie Giles, die dasselbe Schicksal erlitten wie sie beide. Es war nicht fair. Wenn sie auch nur einen einzigen Ballon zurückließ, würde sie sich selber nie mehr in die Augen sehen können.

»Ich kann nicht«, sagte sie zu dem Funken. »Wir müssen alle Ballons mitnehmen, auch den allerletzten.«

»Und warum? Kennst du all die Leute, denen sie gehören?«

»Nein.«

»Und dennoch würdet ihr beide euer Leben für sie riskieren, obwohl ihr wisst, dass es immer neue Ballons und immer neue Opfer geben wird?«

»Ja.«

»Ich verstehe. Also gut. Wir begegnen hier unten selten Menschen wie euch. Euer Licht leuchtet heller als alle unsere Lichter zusammen. Wir werden unser Bestes tun, um Skeksyls Armee aufzuhalten. Doch ihr müsst euch beeilen. Betet, dass sie euch niemals einholen. Viel Glück.«

»Danke.«

Der Funke verließ Junipers Ohr und kehrte zu den anderen zurück. Gemeinsam flogen alle Funken zur Decke und verschwanden.

Juniper sah zu Giles. »Nichts wie raus hier.«

Sie rannten aus dem Raum, die Bänder mit den Ballons fest in den Händen, zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren, während die Ballons wie farbige Wolken hinter ihnen herschwebten. Juniper rechnete jeden Moment damit, Skeksyl als Anführer einer Armee von Monstern vor sich auftauchen zu sehen, und sie war sich nicht sicher, was sie und Giles dann tun würden. Sie blickte über die Schulter, nach rechts und links, in die Ferne, doch es war nichts zu sehen. Vielleicht schafften die Funken es tatsächlich, die Bestien in Schach zu halten.

Trotzdem war es noch zu früh, um aufzuatmen. Sie rannten durch die Halle und zogen die Ballons fort von der Decke, damit sie nicht zerplatzten. Juniper kam es vor, als wären die Ballons kleine Fallschirme, die hinter ihnen her wehten und sie immer langsamer werden ließen. Nach kurzer Zeit begannen ihre Arme zu schmerzen. Wenn sie in dem Tempo weiterliefen, waren sie leichte Beute.

Sie rannten zurück in die große Höhle, von der alle Wege abgingen. Dort hörten sie den Lärm.

In der gesamten Unterwelt, in jeder Halle flogen die Türen auf.

»Sie kommen!«, rief Giles.

Für den Bruchteil einer Sekunde erblickte Juniper Wesen, die ihr eisige Schauer über den Rücken jagten. Monströse Gestalten auf zwei Beinen. »Lauf! Schneller!«, schrie sie verzweifelt.

Hinter den beiden ertönten seltsame, abscheuliche Geräusche, wie aus ihren schlimmsten Albträumen, aber sie sahen nicht zurück. Die verbotene Halle, die zurück zur Wendeltreppe und zu ihrem Zuhause führte, lag direkt vor ihnen.

Als Juniper und Giles in die Halle liefen, wünschten sie, sie hätten irgendein Licht. Die Dunkelheit war undurchdringlich und dort konnte alles Mögliche auf sie lauern. Juniper erwartete, jeden Moment mit einem Monster zusammenzustoßen, doch sie lief trotzdem tapfer weiter. Die Ballons prallten hinter ihr gegeneinander und klangen wie ein merkwürdiges Orchester.

Die Halle schien kein Ende zu nehmen. Plötzlich stolperte Giles vor Angst und Erschöpfung und fiel hin. »Die Ballons!«, rief er. Er hatte sie losgelassen und sie wurden augenblicklich von der Dunkelheit verschluckt. »Es tut mir leid«, murmelte Giles. »Es tut mir leid, es tut mir leid.«

Juniper hörte die Verzweiflung in seiner Stimme. Sie hätte ihn gerne getröstet, aber sie durften jetzt keine Zeit verlieren. »Schnell, wir müssen sie wieder einfangen!«

Sie konnten die Bänder spüren, die wie Spinnweben über ihre Gesichter glitten. Hastig schnappten sie sich jedes Band, das sie greifen konnten, und tasteten sich dabei wie Blinde durch die Dunkelheit. Währenddessen wurde der Lärm immer lauter. »Weg hier!«, schrie Giles.