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»Ich weiß nicht, ob wir alle haben«, rief Juniper.

Genau in diesem Moment wurde es hell. Die Funken saßen an der Decke und beleuchteten die wenigen zurückgebliebenen Ballons. Mit Tränen in den Augen dankte Juniper ihnen noch einmal und griff nach den letzten herabhängenden Bändern. Das Glühen wurde schwächer und bewegte sich zum anderen Ende der Halle, während Juniper und Giles in die entgegengesetzte Richtung liefen.

Vielleicht sitzt Skeksyl immer noch wie erstarrt an seinem Tisch, dachte Juniper. Vielleicht können wir einfach an ihm vorbeilaufen und den Monstern hinter uns entkommen. Dann kann er uns nie wieder belästigen.

Doch als sie aus der Dunkelheit in den höhlenartigen Raum kamen, war Skeksyl nirgendwo zu sehen.

»Er sucht uns!«, rief Giles. »Schneller! Wir haben es fast geschafft!«

Sie rannten durch die Halle, die Treppe kam immer näher und der Lärm hinter ihnen wurde leiser, doch plötzlich blieb Juniper stehen. Stumm starrte sie auf eine der mit Schnitzereien verzierten Türen.

»Was tust du?«, schrie Giles. »Warum bleibst du stehen?«

Mit panischer Stimme antwortete Juniper: »Ich muss Theodor retten.«

»June, wir haben keine Zeit. Wir müssen verschwinden, sonst wird er uns kriegen. Dann sind unsere Eltern und all die Leute, deren Ballons wir gerettet haben, verloren.«

»Giles«, entgegnete Juniper sanft. »Ich muss es einfach tun. Ich muss es versuchen. Niemand hat es verdient, an einem Ort wie diesem gefangen zu sein.«

Giles sah Juniper voller Wärme und Bewunderung an. Sein Blick war ruhig, und als er sprach, lag Entschlossenheit in seiner Stimme. »Wir dürfen nicht zulassen, dass jemals wieder ein Mensch hier herunterkommt, nicht wahr?«, sagte er. »Nie wieder. Wir müssen dafür sorgen, dass wir die Letzten sind.« Er sah zur Treppe. »Wir müssen dieser Sache ein Ende bereiten.«

Juniper wusste, woran er dachte: Er würde den Baum fällen. Sie hätte am liebsten ihre Arme um Giles geschlungen und ihn nie wieder losgelassen. »Ich komme gleich nach«, sagte sie. »Eine Minute, mehr nicht.«

»Was, wenn du mich brauchst?«

»Fang schon mal an. Wir haben es fast geschafft.« Sie drückte mit ihrer Schulter die Tür auf. Giles rief ihr noch etwas nach, doch sie zog die Ballons behutsam durch die Türöffnung und ging hinein.

Als sie den Raum betrat, flogen Tausende von Funken an ihr vorbei in die Halle und in Richtung der lärmenden Bestien.

Theodor saß immer noch in demselben Anzug an demselben Tisch, sein Hut lag darunter auf dem Boden und hüpfte dann und wann in die Höhe. Der alte Mann sah von seiner Arbeit auf. »Juniper, was ist los?« Er erblickte die beiden Ballon-Trauben, die den Raum erfüllten. »Sind das etwa …? Hast du …?«

Juniper nickte.

»Nein, nein, nein. Das ist töricht. Du musst dich in Sicherheit bringen.«

»Ich bin gekommen, um Sie zu holen.«

Doch Theodor rührte sich nicht. Er zeigte auf seine Fesseln. »Diese Ketten werden nicht zerbrechen, was auch immer du tust.« Er zog einmal kräftig daran, als wollte er seinen Worten Nachdruck verleihen. »Hast du für den Ballon, den ich dir gegeben habe, Verwendung gefunden?«

Juniper nickte wieder.

»Du bist ein mutiges Mädchen. Die Welt braucht Menschen wie dich. Und darum musst du gehen. Jetzt.«

»Aber es muss doch eine Möglichkeit geben, Sie zu befreien!«

»Diese Ketten lassen sich mit keinem Schlüssel öffnen. Sie wurden von dunklen Händen geschaffen, von etwas, das über unseren Verstand hinausgeht. Vielleicht wird eines Tages ein kluges Mädchen wie du herausfinden, wie man sie öffnet. Doch ich versichere dir, heute kann ich nicht gerettet werden.«

»Aber …«

»Nein, Juniper. Er wird dich finden. Sie werden dich finden. Du musst rennen. Du musst dich jetzt in Sicherheit bringen.«

»Theodor, ich …«

»Jetzt!«

In diesem Moment wurde die Tür aufgestoßen und Skeksyl humpelte über die Schwelle. Seine Haut war von Beulen und Geschwüren durchsetzt, sodass sein Körper noch unnatürlicher aussah als sonst. »Meine Ballons!«, kreischte er.

Juniper wich ängstlich zum Baum zurück. Die Ballons stießen gegen seine Zweige und erfüllten den Raum mit ihrer traurigen Musik. Wenn Skeksyl näher kam, würden sie sich in den Zweigen verheddern und zerplatzen.

»Du hättest dich in Sicherheit bringen können wie dein schwacher Freund, der dich so feige im Stich gelassen hat. Aber du musstest zurückkommen. Und wofür? Für ihn?« Skeksyl zeigte mit einem Finger voller Blasen auf Theodor. »Du spielst mit Schicksalen, die wesentlich größer sind als dein eigenes, Mädchen. Und jetzt gib mir meine Ballons.« Er streckte den Arm aus, um sie zu packen. In diesem Moment griff Theodor nach seinem Hut.

Unter dem Hut kamen unzählige fliegende Funken hervor. Sie schossen durch den Raum wie ein Bogen aus Licht und stürzten sich alle gleichzeitig auf Skeksyls Bein. Er stieß ein grauenhaftes Heulen aus, als sein Fleisch verbrannte. Der Raum füllte sich mit Rauch und Gestank, während er wie wild auf die Funken einschlug.

»Lauf!«, rief Theodor Juniper zu. »Schnell!«

Juniper warf ihm einen letzten Blick zu und der alte Mann nickte. »Es ist in Ordnung«, sagte er.

Während sich Skeksyl unter dem Baum vor Schmerzen krümmte und alle Funken, die er zu fassen bekam, zwischen seinen Fäusten zerquetschte, öffnete Juniper die Tür, schlüpfte hinaus und rannte zur Treppe, die Ballons mit den geretteten Seelen fest in der Hand. Die Treppe war jetzt ganz nah.

Hinter ihr ertönte das heisere Krächzen von Neptun, der sich an ihre Fersen heftete. Bevor sie auch nur einen Blick über die Schulter werfen konnte, um abzuschätzen, wie weit er noch entfernt war, hatte er sie bereits mit heftig schlagenden Flügeln eingeholt.

Doch seltsamerweise griff er nicht an. Juniper konnte ihn nicht einmal sehen. Wo war er?

Da hörte sie ein Geräusch. Peng! Ein Ballon war zerplatzt.

Juniper wedelte wild mit den Armen, um den Vogel zu verscheuchen, doch er war außerhalb ihrer Reichweite. Peng! Peng! Peng! Drei weitere Seelen waren verloren.

Sie nahm alle Bänder in eine Hand und griff noch einmal in ihre Tasche. Verzweifelt zerrte sie das Monokular hervor und zog es mit einer schnellen Bewegung auseinander. Dann fasste sie es wie einen Knüppel und schwenkte es durch die Luft.

Sie landete einen perfekten Treffer. Der Rabe schoss wie ein Ball quer durch die Halle und landete schlaff in Skeksyls Händen.

Skeksyls Bein zischte und dampfte. Es war vollkommen zerstört. Er stützte sich auf seinen Stock und starrte auf den toten Vogel in seinen verstümmelten Händen.

Für einen endlos scheinenden Moment bewegte sich niemand. Juniper war sich fast sicher, dass man ihren Herzschlag hören konnte. Er dröhnte in ihren Ohren. Sie legte die Hand auf ihre Brust.

Da merkte sie, dass das Geräusch nicht aus ihrem Körper kam, sondern von irgendwo über ihr. Sie lächelte innerlich. Giles.

Skeksyl ließ Neptun zu Boden fallen. Mit heiserer Stimme, außer sich vor Schmerz und Wut, sagte er: »Das sind meine Ballons. Meine Seelen. Und ich will sie zurück. ICH WILL SIE ZURÜCK.« Er kam auf Juniper zu. Obwohl er humpelte, bewegte er sich viel schneller, als Juniper es für möglich gehalten hätte. »Du gehörst miiiiiir!«, heulte er.

Im ersten Moment konnte Juniper sich nicht bewegen. Der furchtbare Anblick ließ sie erstarren. Skeksyl schien die ganze Halle mit seiner albtraumhaften Gestalt auszufüllen. Er war auf der Jagd. Das Monster wollte Blut sehen.

Juniper fuhr herum und begann die Treppe hinaufzurennen. Aber der Gang war eng und die gegen die Decke stoßenden Ballons hielten sie auf. Sie hörte, wie der verletzte Skeksyl näher kam, wie er keuchte und grunzte. Sie konnte nicht zurückschauen, weil ihr die Ballons die Sicht versperrten, doch sie hätte schwören können, dass etwas nach ihren Knöcheln griff.