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»Ich will aber nicht berühmt sein. Und ich will auch nicht, dass meine Eltern berühmt sind.«

Mrs. Maybelline wurde beinahe hysterisch. Sie prustete los, sodass ihr ganzer pummeliger Körper wackelte und ihre Wangen rot anliefen, als das Blut durch ihre Adern schoss. »Kinder!«, lachte sie. »Man muss sie einfach gern haben!« Sie kicherte weiter und ihr ballonartiger Bauch hüpfte vor Vergnügen. Juniper konnte den Blick nicht abwenden. Was für ein Anblick! Mrs. Maybelline hatte recht, sie sah in ihren Eltern nur die Stars.

Aber dann hörte die Lehrerin plötzlich auf zu lachen. Sie verstummte von einer Sekunde auf die andere. Etwas hatte ihre Aufmerksamkeit erregt. »Oh mein Gott!«, flüsterte sie und deutete auf den Flur hinaus. »Da ist dein Vater! Nicht zu fassen!«

Juniper drehte sich um und sah ihren Vater, der aus dem Fenster schaute, genau wie gestern im Arbeitszimmer. Er war völlig versunken und rührte sich nicht. Juniper wusste, was man durch dieses Fenster sah, sie hatte schon oft mit ihrem Monokular hindurchgeschaut. Von dort hatte man einen ungehinderten Blick direkt in den Wald hinein.

Mr. Berry sah weiter hinaus, während seine Hand nach etwas zu greifen versuchte, das nicht existierte.

Mrs. Maybelline fand sein Verhalten ganz und gar nicht merkwürdig. »Er ist so verträumt«, schwärmte sie. »Juniper, du bist das glücklichste Mädchen der Welt, ich schwör’s dir! Mit solchen Eltern …«

»Mrs. Maybelline?«

Keine Antwort.

»Mrs. Maybelline?!«

»Äh … was? Ja, bitte?«

»Gibt es … gibt es etwas da draußen …« Juniper nickte zum Fenster hinüber. »Gibt es etwas, das einen in einen völlig neuen Menschen verwandeln kann? Etwas, das einen so werden lässt wie meine Eltern?«

Mrs. Maybelline war immer noch in den Anblick von Junipers Vater vertieft, doch sie antwortete mit sehnsüchtiger Stimme. »Ich hoffe es. Und was immer es ist – ich will es haben!«

Während des gesamten Unterrichts verließ Mr. Berry kein einziges Mal seinen Platz am Fenster.

Als Juniper alle Aufgaben zu Mrs. Maybellines Zufriedenheit erledigt hatte und ihre Eltern sich auf den Weg zu ihren Proben machten, kletterte sie aufs Dach. Sie lag auf dem Bauch und ließ die Zeit verrinnen, während sie gespannt auf Giles und den Beginn ihrer Expedition wartete. Die Sonne knallte auf das schwarze Dach und wärmte ihr den Rücken, während sie die langsam vergehenden Minuten damit verbrachte, mit ihrem Fernglas die Leute vor dem Tor zu betrachten. Das war eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen.

Die Menschen starrten mit verzückten Blicken durch das Tor, auf der Suche nach einem Lebenszeichen der Berrys. Es waren Fans jeden Alters, ein bunter Querschnitt durch alle Gesellschaftsschichten. (Junipers Vater hatte ihr in letzter Zeit mehrfach erklärt, dass das Wort »Fan« von »fanatisch« kommt.) Einige schliefen vor dem Anwesen in ihren Autos oder hatten Zelte aufgebaut. Diese Menschen waren nur ein kleiner Teil einer Welt, die Juniper kaum kannte, und sie beobachtete fasziniert jede ihrer Bewegungen und Gesten. Sie konzentrierte sich auf ihre Münder, wie schon so oft, und versuchte, von ihren Lippen zu lesen und ihren Gesprächen zu folgen, an denen sie sich so gerne beteiligt hätte. Sie analysierte auch ihre Körpersprache, um herauszufinden, worüber sie redeten. Lachten und winkten sie oder waren sie eher unbeholfen oder ärgerlich? Wirkten sie freundlich oder kokett? Manchmal brauchte man keine Worte, um sich zu verständigen, so viel hatte Juniper inzwischen gelernt.

Durch ihr Fernglas las sie, was auf den selbst gebastelten Schildern und Collagen stand. Sie verfolgte, wie ein Heer von Videokameras Nahaufnahmen von ihrem Haus machte. Sie sah, wie Handys zwischen den Stäben des Tors hindurchgestreckt wurden, um das beste Foto zu schießen, während andere Leute sich selbst mit dem Haus im Hintergrund fotografierten. Aus den sich eifrig über die Handytastaturen bewegenden Fingern schloss Juniper, dass diese Bilder sofort verschickt wurden. Es schien ihr, als wären diese Leute von sich selbst und ihren Handys mindestens genauso fasziniert wie von Junipers Familie. Manche sahen kaum von ihrem Handy auf, was Juniper überhaupt nicht verstehen konnte, wo es doch um sie herum so viele Menschen zum Reden gab.

Zwischen den Fans befanden sich die allgegenwärtigen, hartnäckigen Paparazzi. Sie lagen pausenlos auf der Lauer und dirigierten das Spektakel. Aus diesem Grund hatten Junipers Eltern beschlossen, ihre Tochter zu ihrer eigenen Sicherheit so weit wie möglich vom Leben außerhalb des Tors abzuschotten. Sie sollte nicht ausgenutzt, belästigt oder Schlimmeres werden.

Juniper drehte sich um und suchte die nähere Umgebung rasch nach Giles ab, doch leider war er immer noch nicht zu sehen. Dann richtete sie ihren Blick wieder auf die Menge und beobachtete zwei Kinder, kaum jünger als sie, die sich gegenseitig die Straße hinauf und hinunter jagten. Das könnte ich sein, dachte sie, als ihr plötzlich einfiel, dass sie noch nie mit einem anderen Kind um die Wette gerannt war. Wie ist das möglich?

Tag für Tag sah sie, was diese Leute alles hatten, was sie alles tun und erleben konnten, während die ganze Welt darauf wartete, von ihnen erobert zu werden, und sie fragte sich, warum sie ihre Zeit damit verschwendeten, auf einen flüchtigen Einblick in das Leben einer Familie zu hoffen, die so langweilige und alltägliche Dinge tat, wie mit dem Gärtner über irgendein Gebüsch zu reden oder von der Haustür zum Auto zu gehen. Warum wollten die Leute diese belanglosen Augenblicke einfangen?

Als sie in der Menge nach einer Antwort suchte, entdeckte Juniper eine Frau, die ebenfalls durch ein Fernglas sah. Diese Frau schien Juniper direkt anzuschauen. Endlich! Sie hatte mit jemandem Kontakt aufgenommen! Juniper winkte schüchtern und lächelte freundlich.

»Auf dem Dach!«, rief die Frau. »Auf dem Dach! Das Kind! Ihre kleine Tochter! Juniper!« Sie stieß einen spitzen Schrei aus, und kurz darauf zeigten alle zum Dach, brüllten und schrien. Blitzlichter leuchteten auf, die Paparazzi versuchten, sich durch die Menge zu boxen, das Tor schwankte. Alle schoben und drängelten nach vorne.

Obwohl sie sich in sicherer Entfernung befand, hämmerte Junipers Herz gegen ihre Rippen.

Plötzlich tauchten Sicherheitskräfte am Tor auf und drängten die Menge zurück. Nicht wegen Juniper, sondern weil sich das Auto von Mr. und Mrs. Berry näherte.

Als der schwarze Bentley durch das Tor glitt, schwoll der Lärm der Menge an. Hände schlugen gegen die getönten Scheiben.

»Wer sitzt drin?«, riefen die Fans. »Welcher von ihnen ist es?«

Dann wurde das Heckfenster ein wenig heruntergelassen, und in dem Spalt erschien, wie als Antwort auf die Frage, Mrs. Berrys Hand und winkte.

»Wir lieben dich! Wir lieben dich!«, kreischten die Leute so laut, dass Juniper es sogar oben auf dem Dach hören konnte. Ein Mann sprang auf die Motorhaube und musste mit Gewalt heruntergezerrt werden. Andere weinten.

»Du bist die Beste!«

»Stopp! Anhalten, bitte!«

Es wurde noch heftiger gegen die Fenster und Türen des Wagens gehämmert. Hände mit Stiften wurden ausgestreckt, um sich Fotos oder T-Shirts signieren zu lassen, Fotoapparate knipsten wie verrückt.

Schließlich fuhr das Auto davon und das automatische Tor schloss sich hinter der aufgeregten Menschenmenge.

»Ich kapier einfach nicht, was das soll.« Juniper hatte genug gesehen. Es wurde Zeit für ihr Treffen mit Giles.

Als sie zurück durch das Dachbodenfenster gekrochen, zwei Treppen hinuntergelaufen und durch die Hintertür ins Freie getreten war, saß Giles bereits auf der anderen Seite des Gartens auf einem Baumstumpf und sah dem Waldarbeiter beim Brennholzhacken zu.