Als Grant schließlich einschlief, verbrachte er seine erste Nacht in der Forschungsstation Gold mit unruhigen Träumen in denen er von Gorillas und einem augenrollenden und knurrenden Dr. Wo verfolgt wurde. Marjorie erschien für kurze Zeit, verwandelte sich aber irgendwie in die große, schlanke Lane O'Hara, die ihm einladend zulächelte. Er versuchte sich von ihr zurückzuziehen, aber Sheena versperrte ihm den Weg. Er fühlte sich gefangen und allein und hilflos.
Ein schnarrendes Geräusch drang in seine unruhigen Träume ein, beharrlich und fordernd. Er zwang die verklebten Augenlider auf und hatte momentan keine Ahnung, wo er war. Dann fiel es ihm ein: sein Quartier in der Station Gold. Sein Bettzeug war zerwühlt und feucht von seinem Schweiß. Mit Entsetzen stellte er fest, dass er ins Bett genässt hatte.
Nicht weiter schlimm, sagt er sich, während das hartnäckige Schnarren weiterging. So etwas kann passieren, ist jenseits bewusster Kontrolle. Der Stress, die ungewohnte Umgebung — es ist keine Sünde und kein großes Unglück, solange es nicht zur Gewohnheit wird.
Das Schnarren wollte nicht aufhören. Allmählich ging Grant auf, dass es das Telefon war. Er sah das gelbe Licht auf der Nachttischkonsole rhythmisch mit dem zornigen Schnarren blinken.
»Telefon«, sagte er, »Antwort nur audio.«
Der Bildschirm an der Wand gegenüber wurde hell und zeigte Zareb Muzorawas dunkles, düster blickendes Gesicht.
»Habe ich Sie geweckt?«, fragte Muzorawa.
»Ah, ja«, antwortete Grant. »Ich habe verschlafen, wie es scheint.«
»Das ist natürlich, an Ihrem ersten Morgen hier. Lassen Sie sich in der Apotheke die Hormonmischung gegen Auswirkungen der Zeitverzögerung geben. Das wird Ihre innere Uhr in Ordnung bringen.«
»Ach, wirklich? Gut, das werde ich tun.«
»Ich bin mit Ihrer Orientierung beauftragt worden«, sagte Muzorawa, jetzt etwas geschäftsmäßiger. »Bis wann können Sie in den Konferenzraum C kommen?«
Noch beschäftigt, sich den Schlaf aus den Augen zu reiben, sagte Grant: »Fünfzehn Minuten?«
Muzorawa zeigte glänzend weiße Zähne. »Ich gebe Ihnen eine halbe Stunde. Gehen Sie zuerst zur Apotheke und kommen Sie dann zu mir.«
»In Ordnung«, sagte Grant.
Den ganzen Vormittag verbrachte Grant in einem kleinen Konferenzraum mit Muzorawa. Der Kopf schwirrte ihm von Einzelheiten aus Orientierungsvideos, Lageplänen, Organisationstabellen des Personals, Listen von Pflichten, die den verschiedenen Abteilungen zugeordnet waren. Grant hatte geglaubt, er kenne den Plan der Station und ihr Organisationsschema von seinen monatelangen Studien während der Reise, doch wie es schien, waren die meisten seiner Informationen überholt.
»Machen wir Mittagspause«, sagte Muzorawa und stieß seinen Stuhl vom ovalen kleinen Konferenztisch zurück. Der Wandbildschirm erlosch, die Deckenbeleuchtung des stickigen kleinen Raums ging an.
»Gern«, sagte Grant erleichtert und stand auf.
Unterwegs zur Cafeteria bemerkte Grant, dass Muzorawa zu wanken schien. Es war kein Taumeln, aber der Mann bewegte sich mit einem zögernden, etwas unsicherem Schritt, als befürchte er auf ein ungesehenes Hindernis zu stoßen oder versehentlich gegen eine Wand zu laufen. Er trug einen Rollkragenpullover, der lose über den gleichen, etwas unförmig aussehenden schwarzen Lederleggings hing, deren Außensäume mit Metallknöpfen besetzt waren. Seine Füße steckten in weichen Mokassins.
Die meisten anderen Angehörigen des Stationspersonals trugen ebenso wie Grant Freizeithemden und lange Hosen. Ingenieure und Techniker gingen gewöhnlich in Overalls, die in verschiedenen Farben getragen wurden, an denen die Fachrichtung des jeweiligen Trägers zu erkennen war.
Sobald sie ihre Tabletts gefüllt und einen Tisch gefunden hatten, fragte Grant: »Mir ist noch immer nicht klar, was Sie tatsächlich hier tun.«
»Meinen Sie mich persönlich oder die Station im Allgemeinen?«
»Beides, denke ich«, sagte Grant.
»Diese Station ist das Hauptquartier für die laufenden Untersuchungen der Jupitermonde«, sagte Muzorawa, als zitiere er aus einem Handbuch. »Fast alle hier in der Station haben eine unterstützende Funktion für diese Forschungen.«
Grant schüttelte den Kopf. »Gut, ich weiß, dass verschiedene Arbeitsgruppen die Lebensformen unter dem Eis auf Europa und Callisto untersuchen …«
»Und um die Vulkane auf Io.«
»Und die Dynamik des Ringsystems.«
»Ja, und Ganymed und die kleineren Monde.«
»Aber Sie«, fragte Grant, »haben mit diesen Forschungen nichts zu tun, oder?«
Muzorawa zögerte einen Moment, dann sagte er: »Nein, ich nicht.«
»Auch Egon Karlstad und Laynie nicht, stimmt's?«
»Sie zieht es vor, Lane genannt zu werden.«
»Aber niemand von Ihnen ist mit dem Studium der Monde beschäftigt, nicht wahr?«
Widerwillig, wie Grant dachte, kam Muzorawa mit der Antwort heraus: »Nein, wir gehören zu einer kleinen Gruppe, die den Planeten selbst untersucht, nicht die Monde oder das Ringsystem.«
»Und Dr. Wo?«
Muzorawa zögerte noch länger, dann sagte er: »Dr. Wos offizieller Titel ist Stationsdirektor. Er leitet die gesamten Operationen hier. Seine Meldungen gehen direkt an die IAB auf der Erde.«
Grant bemerkte, dass Muzorawa deutlich Unbehagen zeigte, wenn Dr. Wos Name erwähnt wurde. Und kein Wunder, dachte er bei sich. Der Direktor musste hier draußen fast unbeschränkte Macht über alle haben.
»Dr. Wo ist an Jupiter selbst stärker interessiert als an den Monden«, sagte Muzorawa mit leiser Stimme. »Darum hat er uns vom Rest des wissenschaftlichen Personals getrennt und mit dem Studium der Jupiteratmosphäre beauftragt.«
»Und des Ozeans«, ergänzte Grant.
Abermals zögerte Muzorawa. Grant gewann den Eindruck, dass der Mann mit sich uneins war und überlegte, wie viel er diesem neugierigen Neuankömmling preisgeben sollte.
»Dr. Wo hat eine kleine Forschungsgruppe mit dem Studium des Ozeans beauftragt«, sagte er schließlich. »Wir sind nur zehn Personen — und Dr. Wo selbst. Und natürlich das medizinische und technische Unterstützungspersonal.«
»Warum brauchen Sie ein medizinisches Unterstützungspersonal?«, wunderte sich Grant.
»Der Ozean ist Wos fixe Idee«, sagte Muzorawa. »Er ist entschlossen, herauszufinden, was dort unten vorgeht.«
»Und woran arbeiten Sie dabei?«
»Ich? An der Flüssigkeitsdynamik der Jupiteratmosphäre und des Ozeans.«
Grant wartete auf mehr.
»Die Atmosphäre und der Ozean, die zusammen ein System bilden, sind anders als alles, was wir bisher kennen«, sagte Muzorawa. Endlich gab er seine besorgte Zurückhaltung auf und wurde lebhafter. »Zum einen gibt es keine klare Trennungslinie zwischen der gasförmigen und der flüssigen Materie, also wo die Atmosphäre endet und der Ozean beginnt.«
»Es gibt keine wirkliche Meeresoberfläche, das ist bekannt«, sagte Grant, um dem älteren Mann zu zeigen, dass er nicht völlig unwissend war.
»Nein, es ist nicht wie auf der Erde. Die Jupiteratmosphäre verdichtet sich allmählich unter dem gewaltigen Druck, bis sie den gasförmigen Zustand verliert und den flüssigen annimmt. Aber es ist … nun, es ist etwas anderes.«
Muzorawa zog die Schultern ein, beugte sich näher über den Tisch und fuhr fort: »Ozean und Atmosphäre werden von unten aufgeheizt, müssen Sie wissen. Die innere Hitze des Planeten ist stärker als die Sonneneinstrahlung auf die obersten Wolkenschichten. Der Druckgradient ist enorm steiclass="underline" Jupiters Schwerefeld ist das stärkste im Sonnensystem.«
»Es beträgt das Zweieinhalbfache des Irdischen«, sagte Grant.
»Das ist bloß oben auf der Wolkendecke«, erwiderte Muzorawa. »Es wird stärker, wenn Sie tiefer in die Atmosphäre eintauchen. Haben Sie eine Vorstellung davon, wie hoch der Druck dort unten ist?«