Grant zuckte die Achseln. »Sicherlich das Tausendfache des normalen atmosphärischen Drucks.«
»Das Mehrtausendfache des Drucks am Grund des tiefsten Ozeans auf Erden«, berichtigte Muzorawa. Ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht, das glückliche, zufriedene Lächeln eines Wissenschaftlers, der Gelegenheit sieht, über sein Fachgebiet zu sprechen.
»Also sorgt der atmosphärische Druck dafür, dass die gasförmigen Bestandteile flüssig werden.«
»Selbstverständlich! Es gibt einen Ozean da unten, zehnmal größer als die ganze Erde. Flüssiges Wasser, mindestens fünftausend Kilometer tief, vielleicht mehr; es ist uns noch nicht gelungen, mit Sonden den Grund zu erreichen.«
»Und in dem Wasser schwimmt etwas?«, fragte Grant.
Muzorawas Lächeln verschwand. Er blickte über die Schulter, dann beugte er sich noch näher zu Grant und raunte: »Die inoffizielle Version ist, dass die tiefsten Sonden Hinweise auf Objekte ausgemacht haben, die sich im Jupiterozean bewegen.«
»Objekte?«
»Objekte.«
»Sind es Lebewesen?«
Muzorawa blickte zur Decke auf, dann schob er sich noch weiter über den Tisch, bis Grant seinen nach Sojafrikadellen und Gewürznelken riechenden Atem in die Nase bekam.
»Wir wissen es nicht. Noch nicht. Aber Wo will es herausbringen.«
Grant verspürte aufkommende Erregung. »Wie? Wann?«
»Eine Tiefensonde«, raunte Muzorawa. »Wirklich tief. Und bemannt. Eine Besatzung von sechs Personen.«
Grant blieb der Mund offen stehen. »Hinunter in den Ozean?«
Muzorawa machte mit beiden Händen dämpfende, beschwichtigende Bewegungen und blickte schuldbewusst über die Schulter. »Nicht so laut!«, flüsterte er. »Das ist alles streng geheim.«
»Aber warum? Warum sollte es geheim sein? Vor wem will er es geheim halten?«
Muzorawa stieß sich vom Tisch zurück und richtete sich auf. Er schüttelte den Kopf und sagte nur: »Das werden Sie schon noch erfahren. Vielleicht.«
11. LEVIATHAN
Leviathan folgte einer Aufquellströmung durch die endlose See und weidete in der Bewegung die Nahrung, die vom Abgrund über ihm niedersank. Weit von den Verwandten, den anderen seiner Art, genoss Leviathan seine Freiheit von der Herde und ihren trägen Zyklen von Nahrungsaufnahme, Abstoßung und Wiederzusammenfügung.
Für menschliche Sinne mochte der grenzenlose Ozean undurchdringlich dunkel, vernichtend heiß und zermalmend dicht sein, doch Leviathan bewegte sich mit Leichtigkeit durch die Tiefen, die geißeiförmigen Flagellenmitglieder seiner Vereinigung trieben ihn mit gleichmäßigen Schlägen vorwärts, während seine Mundwerkzeuge sich im uralten Rhythmus der Nahrungsaufnahme öffneten und schlossen, öffneten und schlossen.
Menschliche Sinne mochten Leviathan als überwältigend groß empfinden, ein Wesen, neben dem sich alle Wale der Erde zwergenhaft ausnahmen, das größer war als eine ganze Herde von Blauwalen. Doch in den ungeheuren Weiten und Tiefen des Jupiterozeans war Leviathan bloß einer von vielen, etwas größer als manche, beträchtlich kleiner als die Ältesten seiner Art.
In dieser schwarzen, heißen und tiefen See gab es Gefahren. Glitt er in den aufsteigenden Strömungen auf der Suche nach reichhaltigerer Nahrung zu hoch, wurden die Wasser zu dünn und kalt; Leviathans Gliederteile würden sich unfreiwillig voneinander lösen, ihren Zusammenhalt verlieren und sich niemals wieder zusammenfügen. Und wenn sie in eine der gefährlichen Abwärtsströmungen dieser kalten Wasser gerieten, würde die aus dem unteren Abgrund aufsteigende Hitze die Gliederteile töten, bevor sie sich zerstreuen und das Weite suchen konnten.
So war es am besten, hier in der Welt der Fülle und Symmetrie zwischen dem unteren und dem oberen Abgrund zu schwimmen, wo die Nahrung ständig von der kalten Wildnis der Höhe abwärts sank und die Wärme aus den Tiefen das Leben erträglich machte.
Räuber schwärmten durch Leviathans Ozean: schnelle und gefräßige Reißer, die sich auf Leviathans Art stürzten und ihre äußeren Mitglieder und Gliederteile verschlangen. Es gab sogar Fälle, wo die Reißer bis zum Kern ihrer Beute vorgestoßen waren, die zentralen Organe zerstört und die Einheit ihres Opfers für immer zerstört hatten. Die Alten hatten Leviathan gewarnt, dass die Reißer Mitglieder der Verwandtschaft angriffen, wenn sie sich von ihrer Gruppe trennten, um in Einsamkeit zu knospen. Dennoch schwamm Leviathan allein weiter, um neue Gegenden der grenzenlosen See zu erforschen.
Leviathan erinnerte sich, wie der obere Abgrund einmal in einem gewaltigen Aufflammen tödlicher Hitze eruptiert war. Viele von Leviathans Art waren im jähen Ausbruch dieser ihrer Mitglieder verlustig gegangen. Sogar der immerwährende Regen von Nahrungsstoffen war unterbrochen worden, und Leviathan hatte zum ersten Mal in seinem Leben Hunger gelitten. Aber die Explosionen lösten sich rasch auf, und schließlich nahm das Leben wieder seinen normalen Gang.
Auch war Leviathan vor einer anderen Art Lebewesen in der See gewarnt worden: einem Phantom, einem seltsamen Bild, das andere aus der Verwandtschaft gezeichnet hatten und das keine Ähnlichkeit mit irgendetwas hatte, was Leviathan jemals selbst wahrgenommen hatte: klein und träge und kalt, ohne Flagellenglieder und ohne eine Spur von Gemeinschaft. Es sollte nur einmal in der See erschienen und dann in den oberen Abgrund aufgestiegen und verschwunden sein.
Die anderen hatten ihm nicht viel Beachtung geschenkt. Es war so winzig, dass man es kaum wahrnehmen konnte, doch aus irgendeinem Grund hatte die Vorstellung seiner einzigartigen Anwesenheit im ewigen Ozean ein fröstelndes Gefühl von Unbehagen durch Leviathans gesamte Vereinigung gesandt. Es war ein unnatürliches Ding gewesen, fremd und beunruhigend.
12. SKLAVENARBEIT
In vorsichtigem Schweigen beendete Grant sein Mittagessen mit Muzorawa. Die Idee, eine bemannte Mission in den ungeheuren Ozean unter Jupiters tobende Atmosphäre zu schicken, wollte ihm nicht aus dem Kopf.
Und es würde nicht die Erste sein, sagte er sich. Beech wusste, dass es zumindest eine bemannte Mission bereits gegeben hatte.
Nachdem sie die Cafeteria verlassen hatten, sagte Muzorawa aufgeräumt: »Gut, mein Lieber, Sie haben jetzt die offizielle Orientierung bekommen.«
»Und mehr als das«, sagte Grant.
Muzorawa schüttelte den Kopf. »Nichts davon! Was ich Ihnen sagte, war strikt vertraulich, ganz unter uns. Außerdem war das meiste davon Mutmaßung.«
Grant nickte, aber seine Gedanken waren noch immer in fieberhafter Tätigkeit. Was befürchtete er? Warum all diese Heimlichtuerei? Wenn es im jovianischen Ozean Leben gab, warum verkündete Dr. Wo es nicht wie jede andere wissenschaftliche Entdeckung? Und warum war die Neue Ethik darüber so aufgeregt?
Die Antwort auf diese letzte Frage glaubte er zu wissen. Die Entdeckung jeder Art von außerirdischem Leben wurde als eine Bedrohung des Gottesglaubens gesehen. Jedes Mal wenn Wissenschaftler irgendwo eine neue Lebensform entdeckten, gaben einige Leute ihren Glauben auf. Atheisten krähten, dass die Bibel Unsinn sei, ein Haufen Geschreibsel von engstirnigen Männern, durchdrungen von Aberglauben und primitivem Unwissen.
Selbst wenn Bibelgelehrte und Wissenschaftler, die auch Rechtgläubige waren, darauf hinwiesen, dass keine wissenschaftliche Entdeckung die Existenz Gottes widerlegen könne, bejubelten die fanatischen Atheisten jede neue Entdeckung, besonders wenn die Ruinen in den ausgehöhlten Kliffs des Mars bewiesen, dass dort vor Millionen von Jahren eine intelligente Art gelebt hatte.
Er hörte kaum, wie Muzorawa sagte: »Nun müssen Sie zum Personalbüro gehen, wo man Ihnen Ihren Arbeitsbereich zuweisen wird.«