»Ich hatte Hilfe.«
»Ach.«
Sie reichte Grant einen kleinen Teller mit einer Portion Vanilleeis, auf dem ein kleines dunkles Stück Schokolade lag.
»Ich verwendete Nanomaschinen«, sagte sie.
»Nanomaschinen?«
»Natürlich. Wie sonst?«
»Aber das ist gegen das Gesetz!«
»Auf Erden.«
»Das Gesetz gilt hier auch. Überall.«
»Es gilt nicht in Selene und den anderen Mondstationen«, erwiderte O'Hara.
»Aber es sollte. Nanomaschinen können gefährlich sein.«
»Vielleicht«, sagte sie und warf die Kühlschranktür mit einem Hüftstoß zu.
»Wirklich«, bekräftigte Grant. »In einer kleinen Station wie dieser könnten die Nanomaschinen alle töten, wenn sie außer Kontrolle gerieten.«
O'Hara hielt ihren eigenen Teller mit Eis in einer Hand, nahm Grant beim Ärmel und führte ihn zu einer niedrigen Couch unter den Sternen. Er ließ sich unbeholfen nieder und hatte das Gefühl, in der Couch zu versinken, so weich war sie.
Sie setzte sich zu ihm und sagte: »Essen Sie Ihr Eis, bevor es schmilzt.«
Er war entschlossen, sich nicht ablenken zu lassen.
»Im Ernst, Lane, Nanomaschinen sind wie ein Spiel mit dem Feuer. Und wenn Dr. Wo davon erfährt?«
Sie lachte. »Wo fing vor mehr als einem Jahr schon an, hier mit Nanotechnik zu arbeiten.«
Grant fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen.
»Es ist schon in Ordnung, Grant«, sagte O'Hara. »Wir sind keine Terroristen. Wir werden keine Nanowanzen entwickeln, die Proteine essen. Wir werden keine Seuche in die Welt bringen.«
»Aber wie können Sie sicher sein?«
»Es sind Maschinen, bei allen Heiligen! Sie mutieren nicht. Sie haben keinen eigenen Willen. Sie sind nichts als kleinwinzige Maschinen, die das tun, wofür sie konstruiert sind.«
Grant schüttelte den Kopf. »Sie sind aus guten Gründen verboten.«
»Gewiss«, stimmte sie ihm zu. »Auf Erden, mit ihren Milliarden Menschen könnte die Nanotechnik leicht in die Hände von terroristischen Fanatikern, Verrückten oder bloß Sensationslüsternen fallen. Aber hier ist es anders, ebenso wie in den lunaren Siedlungen.«
»Sie behaupten, dass sie Nanotechnik benötigen, um auf dem Mond zu überleben«, murmelte Grant.
»Richtig. Und wir brauchen sie hier auch.«
Grant blickte zu den Sternen auf und höhnte: »Zur Innendekoration?«
Er hörte sie scharf einatmen. Dann antwortete sie: »Dafür und für andere Dinge.«
»Wie etwa?«
Sie zögerte wieder. »Vielleicht sollten Sie danach besser den Direktor fragen.«
»Sicher«, erwiderte er. »Dr. Wo wird mir sein Herz ausschütten. Ich brauche ihn bloß zu fragen.«
Sie lachte freundlich. »Sie haben Recht. Wo hat Ihnen gerade erlaubt, eine Stufe höher zu steigen. Dies würde nicht die rechte Zeit sein, ihm sensible Fragen zu stellen.«
»Da ist wieder dieses Wort.«
»Welches Wort?«
»Sensibel. Jedes Mal, wenn ich nach irgendetwas frage, erzählt mir jemand, es sei sensible Information.«
»Hm, ja.«
»Was geht vor, Lane? Was in aller Welt ist am Studium Jupiters so sensibel, dass man nicht darüber sprechen darf?«
Sie blieb lange Augenblicke still. Dann hob sie im Halbdunkel des Sternenlichts die Hand und nahm ihre eindrucksvolle Haarpracht vom Kopf, Grant sah, dass sie vollständig kahl war.
Trotz der schlechten Beleuchtung sah sie seine erschrockene Miene.
»Es ist die Enthaarungsbehandlung, wissen Sie. Wir müssen vollständig haarlos sein, von Kopf bis Fuß.«
»Haarlos? Warum?«
»Für das Eintauchen«, sagte Lane. »Sobald wir an Bord sind.«
»An Bord wovon?«
»An Bord der Tauchsonde, die für die Tiefenmission repariert wird.«
Ein elektrischer Alarmstoß durchfuhr Grant. Dann fragte er vorsichtig: »Wovon, in Gottes Namen, sprechen Sie?«
O'Hara holte tief Luft. »Es ist nicht fair, Sie völlig im Dunkeln zu lassen. Nun, da Sie ein Scooter sind, sollte man meinen, dass Dr. Wo Ihnen davon erzählen würde.«
»Warum erzählen Sie es mir nicht?«
»Ich tue es ja. Aber lassen Sie niemanden wissen, dass ich Sie eingeweiht habe. Kein Wort zu irgendjemand! Versprechen Sie es?«
Grant nickte. »Ich verspreche es.«
Wieder holte sie hörbar Atem. Dann begann sie in einem gedämpften, fast flüsternden Ton, als fürchtete sie abgehört zu werden: »Es gab eine Mission unter die Wolkendecke in den Ozean, aber wir hatten einen Unfall. Ein Scooter wurde getötet. Der arme Dr. Wo und sein Stellvertreter wurden beide schwer verletzt.«
»Sie auch? Und Zeb?«
»Wir alle waren übel zugerichtet. Wir baten Selene um medizinische Unterstützung — Nanomaschinen, die in die verletzten Körper eingeführt werden und die Schäden reparieren konnten.«
»Aber was ist mit Geweberegeneration? Man braucht keine Nano …«
»Die Schäden waren zu ernst.«
»Zu ernst sogar für Stammzellenregeneration?«
Sie nickte im schwachen Sternenlicht. »Wie ich sagte, ein Mann kam ums Leben. Dr. Wos Beine mussten eingefroren werden, bis die Fachleute aus Selene eintrafen. Als sie dann kamen, erwiesen sich die meisten seiner Verletzungen als irreparabel. Die Neuronen des Rückenmarks waren zu weit degeneriert, als dass die Nanomaschinen sie hätten wiederherstellen können.«
Grant sank zurück in die weichen Polster der Couch. »Darum also ist er im Rollstuhl.«
»Ja. Und Dr. Krebs musste zur Mikrochirurgie nach Selene überführt werden.«
»Wer ist Dr. Krebs?«
»Sie war die stellvertretende Leiterin der Mission.«
»Und dies alles passierte vor mehr als einem Jahr?«
»So ist es.«
Grant überlegte, bevor er fragte: »Was hat das mit diesem Diskus-Ding zu tun, das an der anderen Seite der Station festgemacht ist?«
»Das ist die Tauchsonde, in der sie waren.«
»Ach du lieber Gott.«
»Sie waren in Jupiters Ozean eingetaucht. Dort kam es zu dem Unfall.«
»In den Jupiterozean«, murmelte Grant. »Und Dr. Wo will wieder hinunter.«
»Sie reparieren und erneuern die Tauchsonde.«
»Aber Wo ist körperlich nicht in einem Zustand, der ihm die Teilnahme an der Mission erlauben würde.«
Er hörte das leise Klirren ihres Löffels auf dem Teller, den sie hielt. »Es schmilzt«, sagte sie.
»Wo kann an der nächsten Mission in den Ozean nicht teilnehmen. Zeb sagte mir, es solle eine Tiefensonde sein.«
»Das sagte er Ihnen?«
»Ja.«
»Ja, das stimmt. Obwohl ich es nicht genau weiß. Dr. Wo ist ein sehr entschlossener Mann. Er unterzieht sich allen Arten von Nanotherapie und Stammzelleninjektionen. Er glaubt noch immer, er könne seinen Körper wiederherstellen, die Neuronen des Rückenmarks regenerieren oder durch Biochips ersetzen.«
»Er ist verrückt!«
»Natürlich«, sagte sie ruhig. »Sind wir es nicht alle? Aber er hat hier die Leitung, und er ist entschlossen, herauszufinden, was diese Objekte im Ozean sind.«
Grant schwirrte der Kopf. Ei tauchte seinen Löffel ins Vanilleeis. Es war beinahe zergangen.
»Zeb und ich werden das Training für die nächste Mission beginnen«, sagte O'Hara. »Darum braucht Zeb Sie, damit Sie ihn im Programm für Flüssigkeitsdynamik entlasten.«
»Sie nehmen an der Mission teil?«
»Ja«, sagte sie mit tonloser, schicksalsergebener Stimme. »Alle Überlebenden der ersten Mission sind mit der neuen beauftragt.«
»Tragen Sie deshalb diese Leggings?«
»Die sind für die Implantate. Sie haben unsere Beine mit Biochips verdrahtet. Es ist der erste Schritt in der Anpassung für die Mission.«
»Verdrahtet …?«
Mühsam erhob sich O'Hara aus den Tiefen der Couch. Grant hörte ihren Löffel auf den Boden klappern.