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Jupiters Kern war weit jenseits der Möglichkeiten irgendeiner Sondenerkundung. Grant musste sich mit Gleichungen zufriedengeben, die Schätzungen über den Zustand ermöglichten. Aber diese Zwiebelschale von Wasser, die den Ozean ausmachte, war jetzt seine Domäne. Er war entschlossen, ihre Geheimnisse zu erfahren, ihre Tiefen zu ergründen, ihre Geheimnisse aufzudecken. Die erste bemannte Mission war katastrophal gescheitert, weil sie auf die Bedingungen, die dort unten herrschten, nicht hinreichend vorbereitet gewesen war. Wo scheute keine Anstrengung, um sicher zu gehen, dass die nächste bemannte Mission in den Jupiterozean nicht in gleicher Weise enden würde.

Durch die rasche Umdrehung des Planeten gab es in dieser See schnelle und gefährliche Strömungen, angetrieben auch von den wilden, orkanartigen Winden der dichten Wolkenatmosphäre. Auch die Konvektionswärme aus dem Kernbereich erzeugte starke Unterströmungen, die oft in anderen Richtungen verliefen als die der oberen Schichten. So befand sich der Jupiterozean in ständiger turbulenter Bewegung. Orkane rasten über seine Oberfläche und wühlte die See mit der Energie von tausend Taifunen auf.

Muzorawa verbrachte jetzt sehr wenig Zeit im Labor; die meisten seiner wachen Stunden wurden von der Ausbildung für die Mission der Tauchsonde in Anspruch genommen. Dann und wann erschien er im Labor für Flüssigkeitsdynamik, manchmal auch unangemeldet, aber die meiste Zeit arbeitete Grant allein und rang mit dem Bemühen, ein Muster der großen globalen Strömungen kartographisch zu erfassen. Anfangs hatten ihn die langen Abwesenheiten seines Mentors beunruhigt, doch als die Wochen dahingingen, begriff Grant, dass Muzorawa ihm zutraute, die notwendige Arbeit zu tun. Ich entlaste ihn für die Tiefenmission, sagte sich Grant. Wäre ich nicht hier, diese Arbeit zu tun, würde er sich nicht auf die Mission vorbereiten können.

Eines Spätnachmittags betrat Muzorawa das Labor und ließ sich müde auf den leeren Stuhl neben Grant sinken.

»Wie geht es mit der Arbeit, mein Freund?«

»Sie glauben, jemand würde die Bewegungsgleichungen für turbulente Strömungen gelöst haben?«, fragte Grant, von der Arbeit aufblickend.

»Ja, die turbulenten Strömungen.« Muzorawa zeigte trotz seiner offensichtlichen Erschöpfung ein blitzendes Lächeln. »In all den Jahrhunderten, in denen Physiker und Mathematiker turbulente Strömungen studiert haben, ist man der Lösung nicht näher gekommen.«

»Weil es chaotisch ist«, klagte Grant. »Man kann das Verhalten turbulenter Strömungen nicht von einem Augenblick zum nächsten vorhersagen.«

»Ist das eine neue Maßeinheit, die Sie erfunden haben, der Augenblick?«, fragte Muzorawa lächelnd.

»Nein, ich glaube, Galilei hat sie erfunden«, erwiderte Grant scherzend.

»Wenn Sie die Gleichungen turbulenter Strömung lösen könnten, könnten Sie Monate im Voraus das Wetter vorhersagen«, sagte Muzorawa und strich sich das bärtige Kinn. »Der Nobelpreis wäre Ihnen sicher. Wenigstens.«

»Wenigstens«, stimmte Grant zu.

»Bis dahin müssen Sie das Beste tun, was Sie können. Wir müssen so viel wie möglich über die Strömung wissen, und wie sie sich mit der Tiefe verändert.«

»Ich arbeite daran«, sagte Grant ohne große Zuversicht. »Aber die Messdaten sind spärlich und stammen von weit entfernten Punkten, und die Mathematik ist nicht sehr hilfreich.«

»Situation normal«, sagte Muzorawa. »Alles beschissen.«

Grant errötete. Bisher hatte er nie gehört, dass Muzorawa Fäkal-Ausdrücke gebrauchte.

»Ich muss schlafen«, sagte Zeb. »Dr. Wo hat uns alle unbarmherzig angetrieben.« Er stand schwerfällig auf und fügte dann als nachträglichen Einfall hinzu: »Und sich selbst unbarmherziger als uns alle.«

Grant stand mit ihm auf. »Dr. Wo treibt sich selbst an? Warum?«

»Er beabsichtigt, die Mission zu leiten«, sagte Muzorawa. »Wussten Sie das nicht?«

»Das heißt, er will mit Ihnen in die Tauchsonde?«

»Das ist seine Absicht.«

»Aber er kann nicht gehen! Er kann nicht einmal seinen Stuhl verlassen.«

»Doch, er kann. Die Therapien beginnen endlich anzuschlagen. Er kann jetzt ohne Hilfe aufstehen — mit Klammern an den Beinen.«

»Trotzdem, in diesem Zustand kann er keine Mission in den Ozean leiten.«

Muzorawa ging zur Tür, und Grant sah, dass er auch Schwierigkeiten beim Gehen hatte. Kopfschüttelnd erwiderte Zeb: »Er behauptet, es sei unwichtig. Tatsächlich brauchen wir innerhalb der Tauchsonde unsere Beine nicht.«

»Wieso nicht?«

»Wir werden alle in verdichtetem PFCL eingetaucht sein. Es ist die einzige Möglichkeit, die Schwerkraft und den Druck einer Tieftauchmission zu überleben.«

»Was ist PFCL?«, fragte Grant.

»Perfluorcarbon. Es befördert Sauerstoff in die Lungen und entfernt Kohlendioxid. Wir werden eine unter Druck stehende Flüssigkeit atmen.«

»Darin werden Sie schwimmen?«, fragte Grant.

»Richtig. Es ist wie Schwerelosigkeit. Darum trainieren wir im Delphintank für die Mission.«

»Das wusste ich nicht.«

Muzorawa legte einen Finger an die Lippen. »Jetzt wissen Sie es, mein Freund.«

4. SIMULATIONEN

Grant wollte Lane über den Delphintank fragen, hatte sich aber gezwungen, ihr seit dem Abend, den er in ihrem Quartier verbracht hatte, aus dem Weg zu gehen. Meide die Versuchung, sagte er sich streng. Seine Abende verbrachte er damit, dass er Marjorie lange, wortreiche Botschaften sandte und ihre an ihn gerichteten von neuem las.

Zu seiner Überraschung hatte es wegen seiner befleckten Hose keine Auswirkungen gegeben. Entweder hatten die Wachen, die ihn an jenem Abend gesehen hatten, den Vorfall nicht für wichtig genug gehalten, um ihn zu melden, oder die Klatschmäuler der Station fanden ihn nicht der Beachtung würdig. Wenn er zufällig mit O'Hara zusammentraf, war sie freundlich und höflich, geschäftsmäßig und kameradschaftlich zugleich. Der flüchtige Kuss, der Grant so sehr beschäftigt hatte, wurde nicht erwähnt. Es gab keine persönlichen Gefühle, die er ausmachen konnte.

Du machst aus einer Mücke einen Elefanten, sagte sich Grant immer wieder. Aber trotz seiner angestrengten Bemühungen, es nicht zu tun, träumte er von O'Hara. Wie bringt man es fertig, nicht an etwas zu denken?, fragte er sich. Finde kein Vergnügen darin, hörte er den Rat seines moralischen Beraters aus Jugendtagen. Wenn du rigoros jeden Gedanken zurückweist, der Vergnügen bereitet, dann ist keine Sünde dabei.

Er betete um die Kraft, der Versuchung zu widerstehen. Doch je mehr er betete, desto mehr dachte er an Lane. Geschlechtslos, hatte sie gesagt. Die elektronischen Biochips blockierten irgendwie den Sexualtrieb. War das eine zufällige Nebenwirkung? Oder hatte Dr. Wo es absichtlich so gemacht?

Immer wieder las er jede Botschaft, die er von Marjorie erhielt, mehrmals und hütete sie wie einen seltenen Schatz, wie ein Ertrinkender, der sich an eine Schwimmweste klammert. Bis …

Marjorie saß an einem Schreibtisch in einer Art Büro, oder vielleicht war es ein Krankenhaus. Grant konnte nicht genug vom Hintergrund erkennen, um es zu beurteilen. Außerdem war seine Aufmerksamkeit auf Marjorie konzentriert, auf ihre seelenvollen braunen Augen und das schöne dunkle Haar. Sie hatte es kurz geschnitten, und nun umrahmte es ihr Gesicht mit dicken, üppigen Locken.

»Ich denke, das sind alle Neuigkeiten von hier in Bolivien«, sagte sie munter. »Sie schicken mich für einen Monat Heimaturlaub nach Hause. Ich werde die Gelegenheit nutzen, um deine Eltern zu besuchen.«

Bevor Grant daran denken konnte, fügte sie hinzu: »Ach ja, und Mr. Beech rief an, um zu sagen, er habe nichts von dir gehört. Er hätte gern Nachricht von dir, wenn du eine Gelegenheit findest.«