»Dieses Video wurde von der ersten Mission in den Ozean gerettet«, erläuterte Wo. Seine kratzige Stimme klang erschöpft.
Irgendwo in der trüben Dunkelheit flackerte eine Blitzentladung. Blitze?, fragte sich Grant. Unter Wasser?
Als er auf den Wandbildschirm starrte, erkannte Grant, dass es keine Blitzentladung war, was er sah. Die Lichterscheinungen waren rot, gelb, tieforange.
Langsam nahmen die Lichter vor seinen faszinierten Augen Gestalt an. Es waren Silhouetten im Wasser, ein Dutzend oder mehr schemenhafte Gebilde, die zusammen durch den Ozean trieben. Lichter flackerten zwischen ihnen hin und her.
Lebewesen! Für Grant gab es keinen Zweifel. Und sie signalisierten einander!
In atemloser Spannung beobachtete Grant das Geschehen. Die Lichter blinkten hin und her, her und hin.
Es schien eine Art Muster zu geben. Zuerst leuchtete eines, dann alle anderen in den gleichen Farben. Er konnte nicht erkennen, ob die Lichter eine bestimmte Form oder Gestalt bildeten, denn die Lebewesen waren zu weit entfernt, als dass man während der hellen, kurz aufzuckenden Lichter etwas hätte ausmachen können. Die grenzenlose Dunkelheit der See ließ keine Entfernungsschätzung zu. Es war frustrierend. Wenn er nur näher herangehen könnte, Einzelheiten erkennen …
Die Szene erlosch, die Wand war wieder wie zuvor. Grant war zumute wie einem Kind, dem gerade ein Weihnachtsgeschenk aus den Händen gerissen worden war. Er wandte sich zu Dr. Wo. »Sie sind lebendig«, flüsterte er.
»Ich glaube es. Aber der Beweis ist kaum schlüssig.«
»Und sie signalisierten sich gegenseitig!«
»Vielleicht.«
»Konnten Sie ihnen nicht näher kommen?«
»Wir hatten etwas weniger als fünfzehnhundert Kilometer Tauchfahrt in einem Winkel von sechzig Grad hinter uns gebracht, als der Unfall unsere Mission beendete. Sie waren erheblich tiefer im Ozean als wir.«
»Fünfzehnhundert …« Grant überlegte. »Diese Wolken von Lebewesen mussten sehr groß gewesen sein, um sie in der Weite dieses Ozeans zu sehen.«
»Diese Schwärme kommen in einer Größenordnung zwischen fünf und fünfzehn Kilometern vor«, sagte Wo.
»Das … das ist ungeheuer!«
Wo nickte. »Das ist die Dimension, die unsere Computeranalyse zeigt. Könnte natürlich falsch sein.«
»Aber … wie … warum …?« Grants Gedanken rasten.
»In der dichten Wolkendecke bilden sich organische Verbindungen«, sagte Wo. »Das haben wir gesehen; wir haben sogar Proben genommen. Sie sinken wie Regen oder Manna vom Himmel hinab in den Ozean. Es ist Nahrung, was von den Wolken in den Ozean sinkt.«
»Aber diese organischen Verbindungen werden unter den Bedingungen, die im Ozean herrschen, nicht von Bestand sein«, überlegte Grant.
»Oder sie könnten von diesen Lebewesen, die wir gerade sahen, verzehrt werden.«
»Lebenden Jovianern.«
Wo zählte die Argumente an seinen kurzen Fingern ab. »Es gibt eine starke Ausstrahlung von Wärmeenergie aus dem Innern des Planeten. Es gibt einen Ozean flüssigen Wassers …«
»Stark durchsetzt mit Ammoniak und Gott weiß was noch. Ein saurer Ozean.«
Wo ließ das unbeachtet und fuhr fort: »Es gibt eine ständige Nahrungsquelle, die in diesen Ozean hinabregnet. Energie, Wasser, Nahrung: wo immer diese Faktoren angetroffen wurden, fand sich Leben. Was in diesem Ozean herumschwimmt, sind lebende Jovianer.«
»Aber intelligent …?«
»Warum nicht? Sie scheinen einander zu signalisieren. Warum sollte sich in diesem immensen Ozean im Laufe von Milliarden Jahren keine Intelligenz entwickeln? Bei uns zeigen Delphine und Wale beträchtliche Intelligenz. Warum nicht hier? Warum nicht sogar eine höhere Intelligenz?«
»Höher?«
»Warum nicht?«, wiederholte Wo.
Dann erinnerte sich Grant. »Aber wenn die IAB-Kommission wirklich hierherkommt, um die Station zu schließen …«
»Das ist der Grund, warum ich darauf dränge, die Tiefenmission so bald wie möglich auf den Weg zu bringen.«
»Wann wird die Kommission hier eintreffen?«
Wo brauchte nicht einmal auf den Kalender zu sehen.
»In neununddreißig Tagen. Die Tiefenmission wird bis dahin im Ozean sein. Sie werden keine Möglichkeit haben, die Tauchsonde zurückzurufen.«
Der Direktor zeigte ein seltenes Lächeln.
»Aber wenn die religiösen Eiferer vorher davon erfahren«, murmelte Grant, »werden sie versuchen, die Station zu zerstören.«
Wos Selbstzufriedenheit löste sich auf. Er seufzte. »Ein selbstmörderischer Fanatiker, mehr wäre nicht nötig.«
»Aber … angenommen, Sie können bestätigen, dass es unten im Ozean intelligente Jovianer gibt. Was dann?«
Wo lehnte sich im Stuhl zurück und blickte zum Metallgeflecht der Decke auf. »Dann senden wir die Information zur Erde. Zum Sitz der Internationalen Astronautischen Behörde, zu den wissenschaftlichen Organisationen der Vereinten Nationen, zu allen Nachrichtendiensten und Universitäten. Gleichzeitig. Wir machen unsere Bekanntgabe so laut und so umfassend, dass sie nicht übersehen oder unterdrückt werden kann.«
»Sie würde für viele Leute schockierend sein«, meinte Grant.
Wo nickte. »Ja. Diese Entdeckung wird die Fundamente von allem erschüttern. Man wird gezwungen sein, unsere Arbeit fortzusetzen, sogar zu erweitern. Die Menschen werden es verlangen.«
»Vielleicht«, sagte Grant, zweifelte aber daran. Was würden die Menschen der Welt denken, wenn wir hier auf Jupiter intelligente Lebewesen entdeckten? Wie würden die Menschen auf Erden darauf reagieren?
»Oder vielleicht«, fügte er hinzu, »würden die Zeloten oder irgendein anderer Haufen von Verrückten versuchen, uns alle umzubringen, aus Furcht und Hass.«
Wo schnaubte geringschätzig. »Was hätte das schon zu sagen? Sobald die Entdeckung öffentlich gemacht ist, kann niemand die Information löschen.«
»Aber sie werden uns umbringen!«
»Ja, möglicherweise«, räumte der Direktor ein. »Das spielt keine Rolle. Solch eine Entdeckung gemacht zu haben, wird unser aller Leben wert sein.«
12. BEFEHLSZENTRALE
Grant erzählte niemandem von seinem Gespräch mit dem Direktor. Er ist ein Fanatiker, dachte er bei sich. Auf seine Weise ist er genauso verrückt wie die Zeloten oder alle anderen engstirnigen Extremisten. Ich frage mich, ob jemand von den anderen weiß, wie er wirklich denkt.
Trotzdem sprach er zu niemandem davon. Nicht einmal zu Lane oder Zeb oder den anderen, die bereits Bescheid wissen mussten. In einer Hinsicht stimmte Grant mit dem Direktor überein: je weniger Leute wussten, was wirklich vorging, desto besser.
Wie Grant feststellte, war Wos Vorstellung von Quarantäne sehr locker. Er und die anderen Mitglieder der Missionsmannschaft nahmen ihre Mahlzeiten in einem Konferenzraum ein und arbeiteten zusammen, aber sie schliefen nach wie vor in ihren eigenen Quartieren und waren in der Lage, mit dem Rest des Stationspersonals zu verkehren. Es war mehr eine Frage der Einstellung, des Verantwortungsgefühls, die sie daran hinderte, mit den »Außenseitern« über die Mission zu sprechen.
Krebs verstärkte diese Haltung in ihrer eigenen, stahlharten Art. Als Grant am ersten Abend mit der Mannschaft beim Essen saß, erschien sie im Konferenzraum und fasste jeden Einzelnen der Reihe nach ins Auge.
»Sie werden unsere Arbeit mit niemandem diskutieren«, sagte sie aus heiterem Himmel. »Das ist entscheidend! Lebenswichtig! Jeder von Ihnen hat eine Sicherheitsvereinbarung unterschrieben. Jeder Verstoß gegen diese Vereinbarung wird mit der vollen Härte des Gesetzes geahndet.«
Dann setzte sie sich zum Essen nieder. Niemand saß näher als drei Stühle von ihr.
Grant vergaß seine Forschungsarbeit über die Flüssigkeitsdynamik des Jupiterozeans. Wenn es sich bei den beobachteten Phänomenen wirklich um Lebewesen handelte, womöglich sogar um intelligente, dann hatten sie es mit der größten Entdeckung der Geschichte zu tun! Was die Kameras gesehen hatten, waren vielleicht Unterseeboote, gigantische, bewegliche Unterwasser-Lebensräume. Vielleicht besaßen die Jovianer eine Technik, die jener der Menschen gleichkam. Oder sie übertraf.