Sie saßen auf dem PVC-Boden von Sheenas geräumiger Nische, Grant dem Gorilla gegenüber.
»Und es fällt nicht ab.« Grant schüttelte energisch den Kopf, aber das Netz blieb fest an Ort und Stelle.
Sheena wackelte schwerfällig mit dem Kopf, und ihr Netz glitt vom haarigen Schädel und fiel zu Boden.
Sie schnaufte und betrachtete das Netz zu ihren Füßen. Dann hob sie es auf und zog es wieder über den Kopf. Grant erwartete, dass sie versuchen würde, die losen Enden zusammenzubinden, aber sie schaute bloß auf ihre offenen Hände.
»Nein«, sagte sie, und Grant, der sie inzwischen gut kannte, hatte den Eindruck, dass es entmutigt klang.
Sie sah zu Grant auf. »Hand … nein … Sheena kann nicht.«
Mitgefühl und Traurigkeit überkamen Grant. Sie wusste, dass ihre Hände nicht geschickt genug waren, die Enden zusammenzubinden. Sie wusste, wie begrenzt sie war.
»Grant tun«, sagte Sheena.
»Sicher, Sheena«, sagte er und krabbelte zu ihr. »Ich helf dir gern.«
»Grant helf Sheena.«
»Ja, das werde ich.« Er kniete vor ihr, fühlte ihre Körperwärme und wusste, dass ihre kräftigen Arme ihm ohne weiteres den Brustkorb eindrücken konnten. Vorsichtig band er die Enden des Kontaktnetzes unter ihrem Kinn zusammen.
»So«, sagte er und setzte sich wieder auf den Boden. »Nun sind wir gleich.«
»Nein.« Sheena bewegte den runden Kopf langsam hin und her. »Nicht gleich. Sheena nicht Grant. Grant nicht Sheena.«
Er überlegte, was er sagen sollte. Als er seine Stimme fand, erwiderte er: »Ich bin dein Freund, Sheena. Du und ich, wir sind Freunde.«
»Freunde.« Sie schien eine Weile darüber nachzudenken. Dann sagte sie wieder: »Grant helf Sheena.«
Er nickte. »Ja, ich helf dir so gut ich kann.«
Als die Deckenbeleuchtung ausging und die Nachtbeleuchtung ihr trübes Dämmerlicht verbreitete, ging Sheena in den Winkel ihrer Nische, wo sie sich aus Decken und Polstern ein Schlafnest gemacht hatte. Grant stand müde auf und trat hinaus in den schmalen Korridor.
»Gute Nacht, Sheena«, rief er zurück.
Sie musste schon eingeschlafen sein, weil sie nicht antwortete. Auf Zehenspitzen bewegte sich Grant zu der elektronischen Konsole, die ein paar Meter entfernt im Korridor stand. Vorsichtig schaltete er den Strom ein und aktivierte die Scanner.
Vier kleine Bildschirme auf der Konsole leuchteten auf. Grüne Linien krochen wie Würmer darüber hin. Grant kniff im trüben Licht die Augen zusammen und vergewisserte sich, dass das Gerät Sheenas Gehirnwellen aufzeichnete. Dann nickte er befriedigt und hoffte, dass das Datenmaterial Pascal aufheitern würde, bevor sie die Tiefenmission antrat. Vielleicht gelang es ihnen, Sheena beim Träumen zu überraschen.
Am nächsten Morgen fand er Pascal im Umkleideraum, wo die Besatzung ihre Taucheranzüge anlegte. Die anderen waren schon zum Aquarium gegangen, um die tägliche Simulationsübung zu absolvieren. Pascal war erfreut, dass sie endlich Daten bekamen, aber Grant merkte bald, dass ihre Gedanken schon auf die Mission fixiert waren. »Wenn Sie zurückkommen«, sagte er in forciert munterem Ton, »werden Sie genug Daten haben, um ein Buch zu schreiben.«
»Wenn wir zurück kommen«, murmelte Pascal.
»Wenn?«
Sie zog den Reißverschluss des Taucheranzugs zu und griff nach der Gesichtsmaske aus Kunststoff, die auf dem Regal über dem nun leeren Garderobengestell lag. Grant bemerkte, dass ihre Beine von der Mitte der Oberschenkel abwärts unbekleidet waren. Glitzernde Elektroden saßen wie Nietenköpfe auf den Außenseiten beider Beine bis hinab zu den Waden. Es kostete Grant eine bewusste Anstrengung, nicht darauf zu starren.
»Je näher der Start rückt, desto mehr fürchte ich mich«, bekannte Pascal.
»Das ist ganz natürlich, nehme ich an«, sagte Grant. »Die Nerven.«
»Ja«, sagte sie bitter. »Ganz natürlich. Aber keine angenehme Erfahrung.«
Sie ging zur Tür. Ihre bloßen Füße tappten leicht über die Plastikfliesen. Grant sah, dass sie ihre Pressluftflasche vergessen hatte. Er zog sie aus ihrem Spind, hob sie auf und ging ihr nach. Das Ding war überraschend schwer.
Auf einmal erschien Christel Krebs in der Tür. Ihre stämmige Gestalt blockierte den Durchgang. Pascal blieb stehen und hielt die transparente Maske mit beiden Händen wie abwehrend vor sich.
Krebs trat einen Schritt auf sie zu. Auch ihre dicken Beine waren mit Elektroden besetzt, sah Grant.
Ihr prüfender Blick musterte Pascal.
»Tut mir Leid, dass ich mich verspätet habe, Dr. Krebs«, begann Pascal. »Sehen Sie …«
»Dr. Pascal«, sagte Krebs, als hätte sie die andere erst jetzt erkannt. »Die anderen warten alle auf sie. Wir haben keine Zeit zu verlieren.«
»Ja, ich verstehe«, sagte Pascal.
»Irene«, rief Grant. Er hielt ihr die Pressluftflasche hin. »Sie werden dies brauchen, nicht wahr?«
Pascal zögerte, dann legte sie die Maske am Boden ab und ließ sich von Grant helfen, die Gurte über die Schultern zu ziehen.
»Archer, nicht wahr?«, sagte Krebs.
»Ja, Dr. Krebs.«
»Sie sollten in der Befehlszentrale sein, nicht hier.«
»Das ist richtig«, erwiderte Grant. »Aber ich wollte Dr. Pascal über die gestrige Arbeit mit Sheena unterrichten.«
»Das ist für diese Mission ohne Relevanz«, erklärte Krebs. Ihre Stimme war scharf wie ein Peitschenschlag. »Gehen Sie sofort auf Ihren Posten!«
»Jawohl.«
In der Befehlszentrale herrschte gespannte Stille. Selbst Dr. Wo, der in der Mitte des engen, überheizten Raums saß, saß vornübergebeugt in seinem Rollstuhl und verfolgte die Simulation mit ungeteilter Aufmerksamkeit.
Grant wusste, dass dies die letzte Simulation war. Wenn es heute keine Ausrutscher gab, würden sie ab morgen in der Tauchsonde selbst üben.
Krebs schwebte über den vier Besatzungsmitgliedern, gab Befehle und sah ihnen über die Schultern, während sie auf ihren Posten standen, von Fußschlaufen am Deck festgehalten, und die notwendigen Schritte zur Trennung der Tauchsonde von der Station und ihren Übergang in eine freie Umlaufbahn ausführten.
O'Hara, Pascal, Karlstad und Muzorawa arbeiteten wie eine gut geölte Maschine zusammen. Sie brauchten die manuellen Steuerungselemente kaum zu berühren.
Sogar Krebs' scharfer Ton wurde beinahe zu einem befriedigten Schnurren.
Grant beobachtete fasziniert, wie die Simulatoranlage auf ihre Steuerungsbefehle reagierte, obwohl die manuellen Bedienungselemente unberührt blieben. Es war wie Zauberei, dachte er, obwohl er wusste, dass die Biochips Steuerungssignale an Empfängerelektroden in den Bordsystemen sendeten.
Aus den Augenwinkeln konnte Grant Dr. Wo sehen, der die Darstellung auf seiner Konsole studierte. Er achtete überhaupt nicht auf die großen Bildschirme, so konzentriert war er auf die Ablesungen, welche die simulierten Bordsysteme zeigten, und die medizinischen Monitore der fünf Leute im Aquariumstank.
Grant konzentrierte sich auf seine Bildschirme. Er war verantwortlich für den Antrieb und die elektrischen Systeme, die alle ein wenig unterhalb der optimalen Leistung arbeiteten. Wenn nötig, konnte er die Energieabgabe und damit die Leistung steigern, aber die Simulation machte es nicht erforderlich, solange kein Notfall eintrat.
Den Dr. Wo plötzlich lieferte.
In der Simulation hatte die Besatzung die Tauchsonde erfolgreich von der Station getrennt. Sie waren jetzt auf sich selbst angewiesen, soweit es die Simulation betraf, und mussten sich auf die bordeigene Energieversorgung der Tauchsonde verlassen.
Wo berührte einen einzigen Knopf auf der Tastatur seiner Konsole, und mit einem Schlag wurde die Hälfte der Kontrolleuchten auf Grants Konsole rot.
»Stromausfall!«, rief Grant, gerade als Muzorawa genau das gleiche Wort sagte — aber in viel ruhigerem Ton.