Grant wich durch den Eingang zurück und betätigte den Notschalter. Die Gittertür glitt vor den Eingang und rastete metallisch ein. Sheena umfasste eine der Eisenstangen mit ihrer dunklen, behaarten Hand. In seiner Angst dachte er, sie könnte die Eisenstangen auseinander biegen, wenn sie es wollte.
»Tut mir Leid, Sheena«, plapperte er, »ich wollte dir nicht wehtun. Eine der Elektroden muss schadhaft gewesen sein. Ich wollte dir nicht wehtun.«
»Grant nicht Freund«, wiederholte Sheena in ihrem heiseren Flüstern, dann kehrte sie ihm den Rücken und bewegte sich in ihrem schwerfällig wirkenden Gang zur rückwärtigen Ecke der Kammer, wo sie ihr Schlafnest hatte.
Grant stand bekümmert da. Du hast Recht, Sheena, gab er im Stillen zu. Ich bin nicht dein Freund. Ich war es nie, obwohl ich es sein wollte.
3. EINTAUCHEN
Am folgenden Abend veranstaltete die Besatzung der Tauchsonde eine bedrückte kleine Abschiedsfeier in O'Haras Quartier. Lane hatte Grant zur Teilnahme eingeladen. Noch unglücklich über sein Missgeschick mit Sheena und in Angst vor einer neuen Begegnung mit dem Gorilla, willigte er ein.
Er kam als Letzer. O'Haras Raum vermittelte wieder die Illusion eines Planetariums. Sie ließ ihn ein und schloss die Tür hinter ihm. Sogar der Boden war von Sternen gesprenkelt. Einen Schwindel erregenden Augenblick lang war es Grant, als säßen die anderen im leeren Raum mitten im Universum. Die leisen, ätherischen Töne eines Klaviers drangen durch das Halbdunkel.
»Keine Anregungsmittel, fürchte ich«, sagte Lane mit gedämpfter Stimme. »Die Mission, wissen Sie.«
Grant nickte verständnisvoll, dann ging er vorsichtig über das Sternengesprenkel des Bodens und setzte sich zwischen Muzorawa und Pascal. Zebs Bart war verschwunden, Karlstad war völlig kahl. Pascals Perücke saß etwas schief. Grant stellte fest, dass alle Besatzungsmitglieder enthaart waren. Es musste mit dem Eintauchen zusammenhängen, war zweifellos hygienischer.
»Ich dachte, Sie würden bei Sheena sein«, sagte Pascal.
Grant biss die Zähne zusammen. Mit Überwindung gestand er: »Ich hatte gestern Abend ein Problem mit ihr.«
»So? Was?«
Er schilderte das Fiasko mit der defekten Elektrode.
Statt Enttäuschung zu zeigen, fragte Pascal sofort: »Haben Sie Daten bekommen?«
Er starrte sie an. »Ich weiß nicht. Ich habe nicht nachgesehen. Alles war so …«
»Die anderen Elektroden hätten funktionieren sollen«, sagte Pascal. »Wenigstens einige Daten sollten Sie haben. Zorn, Schmerz … solche Daten sind unbezahlbar!«
Vertrauensbruch und Verrat, dachte Grant. Welche Art von Gehirnwellen zeigen solche Empfindungen?
»Machen Sie sich deswegen Selbstvorwürfe?«, fragte Muzorawa freundlich.
Grant zuckte die Achseln. »Wer sonst käme infrage?«
»Manchmal gehen Experimente schief«, sagte er. »Geräte können versagen.«
»Am Vorabend unseres Eintauchens hört sich das großartig an«, murrte Karlstad. Er saß auf Muzorawas anderer Seite.
»Glauben Sie, dass Sheenas Abneigung von Dauer sein wird?«, fragte O'Hara.
»Ich weiß nicht«, antwortete Grant. »Im Moment habe ich Angst, zu ihr zu gehen.«
»Streit zwischen Liebenden«, sagte Karlstad.
Grant war nicht in der Stimmung für seine Scherze. »Da wir schon von Liebenden sprechen, kommt Dr. Krebs nicht zu dieser Feier?«
Karlstad warf die Hände hoch. »Gott bewahre!«
Muzorawa schmunzelte. »Richtig«, sagte er. »Krebs hat speziell Sie für die Mission ausgewählt, Egon. Sie muss in ihrem Herzen einen besonderen Platz für Sie haben.«
»Dann hat sie es wenigstens nicht auf mich abgesehen«, warf Frankovic ein. »Gott sei Dank!«
O'Hara sagte: »Ich dachte, es wäre keine so gute Idee, Krebs hierher einzuladen.«
»Warum nicht?«, sagte Karlstad. »Vielleicht würde sie Schwung in diese Feier bringen. Wir könnten jedenfalls etwas brauchen, was Leben in die Bude bringt.«
»Ist euch schon aufgefallen, wie sie ihr Gegenüber anstarrt, wenn sie mit jemandem spricht?«, fragte O'Hara. »Ich finde es ausgesprochen gespenstisch.«
»Ja, es ist entnervend«, gestand Pascal. »Vor dem Unfall hat sie es nie getan.«
»Es ist der böse Blick«, sagte Karlstad. »Sie hat die Hexerei gelernt.«
»Was es auch ist, mir erstarrt jedes Mal das Blut in den Adern«, sagte O'Hara.
»Sie denken, das Blut erstarrt Ihnen in den Adern, wenn sie Ihnen mit dem bösen Blick kommt«, sagte Karlstad. »Warten Sie, bis Sie in diese PFCL-Brühe eingetaucht sind. Dann wird Ihnen das Blut bis ins Mark gefrieren.«
Darauf blieb es eine Weile still. Grant wusste, was ihnen bevorstand, und erschauerte innerlich.
»Eine Untersuchungskommission der IAB ist unterwegs hierher«, murmelte Frankovic.
»Das habe ich auch gehört«, sagte O'Hara. »Ist es also wirklich wahr?«
»Darum will unser verehrter Direktor diese Mission so schnell auf den Weg bringen«, murrte Karlstad. »Er befürchtet, dass die Beamten der IAB das Unternehmen verhindern werden, sobald sie davon erfahren.«
»Warum sollten sie es verhindern?«
»Weil dabei Menschenleben riskiert werden.«
»Weil dabei Entdeckungen gemacht werden könnten, von denen sie nichts wissen wollen«, hörte Grant sich sagen.
Die anderen wandten sich alle ihm zu.
»Sie werden in zehn Tagen hier sein«, fuhr Grant fort. »Bis dahin sollten Sie sicher unterwegs sein.«
»Sicher?«, höhnte Karlstad. »Schön wär's.«
»Eins müssen wir uns vergegenwärtigen«, sagte Muzorawa. »Wir werden eine Region erforschen, wo kein Mensch vor uns gewesen ist. Wir werden auf einer Welt, die uns völlig fremd ist, nach Leben suchen. Wir werden intelligentes Leben suchen, wenn es unten in diesem Ozean existiert. Das sind gute und großartige Aufgaben, ganz gleich, wie viele Unannehmlichkeiten wir ertragen müssen.«
Einen Augenblick lang dachte Grant, Zeb würde sagen, sie würden ein gottgefälliges Werk tun. Aber so weit ging der Moslemwissenschaftler nicht.
Grant saß in angespannter Erwartung an seiner Konsole in der Befehlszentrale. An diesem Morgen waren die Datenanschlüsse nicht mehr mit dem Simulator im Aquarium verbunden. Wenn er zum großen Wandbildschirm aufblickte, sah Grant jetzt das Innere der Tauchsonde.
Es war noch leer. Nein, nicht wirklich leer, denn es war statt mit Luft mit der PFCL-Flüssigkeit gefüllt. Die Mannschaft würde in diese Suppe eintauchen und sie atmen, würde Tage und Wochen darin leben.
»Alles fertig zum Eintauchen«, sagte Dr. Wo von seinem Platz an der Mittelkonsole.
Das Bild wechselte und zeigte die Luftschleuse im Andockmodul. Krebs und die anderen Besatzungsmitglieder standen in einer kleinen Gruppe bei der äußeren Luke. Alle trugen eng anliegende einteilige Schwimmanzüge, mehr aus Gründen der Schicklichkeit als aus Notwendigkeit. Dabei blieben die Beine frei, und Grant konnte die Knöpfe der Elektroden erkennen, die ihrer Haut entragten. Er musste an abscheuliche metallene Blutegel denken, die sich an ihren Beinen festgesaugt hatten.
»Wir sind bereit«, sagte Dr. Krebs und blickte in die Überwachungskamera. Sie hatte tatsächlich eine eigentümliche Art zu starren, als ob sie nur ein Auge auf etwas konzentrierte.
»Fangen Sie an«, sagte Dr. Wo.
Die Besatzung betrat die Luftschleuse, Muzorawa zuerst, gefolgt von den anderen. Überwachungskameras zeichneten auf, wie die Luke versiegelt wurde und die Schleusenkammer sich langsam mit dem dickflüssigen Perfluorcarbon füllte. Es sah aus, als würden sie vorsätzlich ertränkt. Alle schwammen aufwärts, als die Schleusenkammer sich füllte, und hoben instinktiv den Kopf, um die letzten Atemzüge in freier Luft zu tun. Als die Flüssigkeit schließlich die Luftschleuse füllte, verkrampften sich alle in angeborenem Reflex, sperrten Augen und Mund weit auf, keuchten, schlugen mit Armen und Beinen um sich.