Grant musste sich zum Stillsitzen zwingen, als er die verzweifelten Zuckungen seiner Freunde beobachtete. So musste es sein, wenn man einer Hinrichtung beiwohnt, dachte er. Er ballte unwillkürlich die Fäuste.
Dann, nach scheinbar endlosem Todeskampf begannen alle Besatzungsmitglieder beinahe normal zu atmen und öffneten die innere Luke der Luftschleuse, um in das Innere der Tauchsonde zu schwimmen. Grant traute seinen Augen nicht, als er einen Blick auf die Uhr warf und sah, dass Muzorawas qualvolles Ringen nach Atem weniger als dreißig Sekunden gedauert hatte. Die anderen hatten die Umstellung ebenso gut überstanden.
Krebs war als Letzte in die Schleusenkammer gegangen. Für sie war es kaum ein Ringen gewesen. Grant glaubte sogar ein Lächeln in ihren strengen grauen Zügen zu sehen, als sie die Flüssigkeit einatmete.
4. TRENNUNG
Die meiste Zeit des Tages verbrachte die Besatzung damit, dass sie sich an die Tauchsonde und ihre Installationen gewöhnte. Grant, der alles am Wandbildschirm verfolgte, war überrascht, wie eng es im Innern der Sonde war. Trotz der ansehnlichen äußeren Abmessungen der Tauchsonde war die Brücke nicht größer als der Simulator im Aquarium. Die Kombüse war nichts weiter als ein schulterhoher Kasten oder Einbauschrank in einem Schott.
Natürlich, erinnerte sich Grant. Die Besatzung würde sich nicht durch normales Essen ernähren; sie bekam ihre Nahrung intravenös durch die Anschlüsse am Hals.
Krebs hatte jedem Besatzungsmitglied eine Art Koje zugewiesen, wo sie schlafen und sich für eine Weile von den anderen zurückziehen konnten. Diese Kojen erinnerten Grant an die sargähnlichen Quartiere, in denen er und Tavalera an Bord des Frachters Roberts geschlafen hatten.
Ihre Stimmen waren verändert, tiefer und langsamer, als ob jemand eine Tonaufzeichnung langsamer als normal abspielte.
Niemand verließ die Befehlszentrale länger als für ein paar Minuten. Als es Mittag wurde, schickte der Direktor Grant zur Cafeteria, um Getränke und belegte Brote für alle fünf zu holen.
»Das nenne ich guten Appetit«, bemerkte Red Devlin, als Grant sein Tablett belud.
Grant nickte bloß.
»Was geht vor, hm? Große Dinge?«
»Das kann man sagen«, erwiderte Grant, als er das Tablett aufhob.
»Brauchen Sie Hilfe damit?«, rief Devlin ihm nach, als Grant das volle Tablett gegen den Strom der Mittagsgäste zum Hauptkorridor trug.
»Nein danke«, rief er über die Schulter und wäre beinahe mit einem Techniker zusammengeprallt, der ihm entgegenkam.
Grant kam sich mehr wie ein Hausdiener als ein angehender Wissenschaftler vor, als er das schwer beladene Tablett den weiten Weg zurück zur Befehlszentrale trug. Als er endlich sein Ziel erreicht, Speisen und Getränke ausgeteilt und auf seinem Stuhl vor der Konsole Platz genommen hatte, sah er auf dem Wandbildschirm, dass Dr. Krebs damit begonnen hatte, die Besatzung für die elektronische Verbindung mit den Bordsystemen einzuteilen. Muzorawa hatte seinen Platz an der Schalttafel eingenommen, flankiert von O'Hara und Karlstad. Pascal war nicht zu sehen. Grant fand, dass Lane angespannt aussah, vielleicht besorgt. Schwieriger war es, Zebs Ausdruck zu deuten; er schien völlig auf die Instrumente konzentriert.
Vier haarlose Menschen in hautengen Badeanzügen, die Außenseiten der Beine mit Elektroden besetzt. Haarfeine faseroptische Verbindungen führten von den Implantaten zu Steckeranschlüssen in den Konsolen. Die Drähte schienen in der mit Flüssigkeit gefüllten Kammer zu schwimmen.
Dr. Krebs schwebte wie ein levitierender Sack Zement hinter und etwas über der Besatzung und beobachtete alles was sie taten. Drähte führten von ihren stämmigen Beinen zu einer Schalttafel in der Decke über ihr.
»Denken Sie daran«, sagte sie mit seltsam dröhnender Stimme, »dass nach Herstellung der Verbindung die manuellen Steuerungselemente nur zu Unterstützungszwecken verwendet werden.«
Die vier Besatzungsmitglieder nickten. Grant faltete die Hände im Schoß, um sie von der Tastatur seiner Konsole fern zu halten. Jetzt wurde es ernst, sagte er sich. Dies war keine Simulation mehr.
Dr. Wo sagte: »Verbindung mit Bordsystemen herstellen.«
Es war unheimlich. Grant beobachtete, wie die Besatzungsmitglieder nacheinander ihre implantierten Biochips aktivierten. Nichts schien zu geschehen. Es gab keine Funken, keine Lichter, keine Veränderungen des Ausdrucks in den Gesichtern. Vielleicht versteifte sich ihre Haltung ein wenig, als die Verbindung aktiviert wurde und durch ihre Nervensysteme ging. Er glaubte sogar einen leichten Tick in Karlstads Wange auszumachen. Aber nicht mehr.
Er blickte auf seine Konsole. Alle Anzeigen waren grün: alle Systeme funktionierten innerhalb der vorgesehenen Parameter.
»Überprüfung der Bordsysteme beginnen«, sagte Wo. Seine Stimme schien schwach und atemlos, als wäre er von innerer Erregung ergriffen.
Krebs wiederholte den Befehl, und alles verlief glatt und fehlerlos. Nur Quintero, der die Sensoren überwachte, meldete, dass das Kühlmittel in einem der Infrarotteleskope unter den Minimalstand abgesunken sei. Karlstad wurde beauftragt, das Gerät nach der Trennung zu überprüfen.
»Es könnte ein Leck sein«, warnte Krebs.
»Eher wurde von Anfang an zu wenig Kühlmittel eingefüllt«, sagte Wo.
Karlstad sagte: »Ich werde mich darum kümmern. Es ist jedenfalls nicht von entscheidender Bedeutung. Die Anzeige ist noch im grünen Bereich.«
Grant fand, dass Egon sich seiner Aufgabe recht professionell annahm. Er hasste es, an der Mission teilzunehmen, aber wenn es sich schon nicht vermeiden ließ, wollte er hinter keinem anderen zurückstehen.
Die Besatzung beendete ihre Überprüfungen und zog sich für die Nacht in ihre Schlafabteile zurück. Dr. Wo blieb an seiner Konsole in der Befehlszentrale, gab aber den anderen vier Kontrolleuren für die Nacht frei. Müde und verschwitzt stand Grant auf und verließ die enge, überheizte Kammer. Über die Frage, ob er hinuntergehen und Sheena aufsuchen solle, kämpfte er längere Zeit mit seinem Gewissen, entschied sich aber schließlich dagegen. Wahrscheinlich war sie über die ausgebrannte Elektrode noch aufgeregt und brachte ihn mit Schmerz und Verrat in Verbindung. Es war besser, sie eine Weile abkühlen zu lassen, sagte er sich. Morgen Abend werde ich zu ihr gehen, gelobte er — oder vielleicht nach der Abreise der Tauchsonde.
Der gesamte nächste Tag verging mit der langsamen Erhöhung des Innendrucks der Tauchsonde. Grant, der jetzt Gelegenheit hatte, an seiner Konsole in der Befehlszentrale die Konstruktionsmerkmale der Tauchsonde abzurufen, stellte fest, dass sie aus vier verschiedenen Hüllen gebaut war, die konzentrisch wie Zwiebelschalen angeordnet waren. Zwischen jeder dieser Hüllen war eine Schicht Hochdruckflüssigkeit.
Nun wurde ihm klar, warum das Innere so eng und klein aussah. Der Bereich, wo die Besatzung arbeitete und lebte, machte nur einen kleinen Teil des Gesamtvolumens aus.
Der Grund für das Eintauchen der Besatzung lag in der Notwendigkeit, dem ungeheuren Druck des Jupiterozeans zu widerstehen. Je höher der Druck war, den die Tauchsonde und ihre Besatzung aushalten konnte, desto tiefer konnte sie in den Ozean vordringen. Also wurde unter Wos wachsamen Augen der Druck der Perfluorcarbonmischung im Arbeitsbereich der Besatzung nach und nach erhöht.
Da alle Kontrollleuchten seiner Konsole grün anzeigten, verbrachte Grant die Zeit mit der Beobachtung des Wandbildschirms, wo die Besatzung am Werk war. Lane sah ein wenig abgespannt aus, dachte er, obwohl das vielleicht nur eine Projektion seines eigenen Zustandes sein mochte. Zeb ging die Computerprogramme durch, welche die Eingaben der Sensoren verarbeiteten. Er sah so ruhig und gleichmütig wie immer aus, methodisch und beherrscht. Der einzige Unterschied, den Grant sehen konnte, war Muzorawas fehlender Bart.