Der Große Rote Fleck! Barmherziger Gott, dachte Grant, sind wir in den Großen Roten Fleck geraten? Er stellte sich vor, wie die kleine Sonde in den Rachen eines überwältigenden Wirbelsturms gerissen und wie ein zerbrechliches Blatt zermalmt wurde.
»Was tun Sie da?«, fuhr Krebs ihn an, als Grant sich daran machte, seine Verbindungen anzuschließen.
»Ich schließe mich an, Captain«, antwortete er.
»Mr. Archer, habe ich Ihnen befohlen, Ihre Ruheperiode abzukürzen?«
»Nein, aber mit dem Sturm …«
»Sie sollten ruhen.«
»Aber ich dachte …«
»Befolgen Sie meine Befehle, Mr. Archer! Ich bin durchaus imstande, die Sonde ohne Ihre Hilfe unter Kontrolle zu halten.«
Grant schwebte vor seiner Konsole. Drei optische Fasern waren mit seinen Implantaten verbunden, die anderen tanzten in der Flüssigkeit vor ihm. Muzorawa und O'Hara waren auf ihren Positionen und vollständig angeschlossen. Zeb warf ihm einen Blick zu und lächelte freundlich, Lane konzentrierte sich auf ihre Konsole, wo ihre Finger gewandt über die Tastatur flogen.
»Kehren Sie in Ihre Koje zurück, Archer!«, befahl Krebs. »Wenn ich Ihre Hilfe brauche, werde ich Sie rufen.«
Beschämt löste Grant die Verbindungen und schwamm die wenigen Meter zur Luke. Die Sonde sackte heftig durch, und er musste sich am Lukenrand festhalten, um nicht mit Krebs zusammenzuprallen, die in der Mitte des Brückenraumes schwebte. Er blickte über die Schulter und sah, dass sie lächelte. Lächelte!
Sie hatte ihre Freude an der Turbulenz, war mit allen Bordsystemen verbunden und ritt diesen Sturm scheinbar mit Vergnügen ab.
Er erinnerte sich, wie ihm zumute gewesen war, als sie die Wolkendecke erreicht hatten: der Kitzel von Macht, die Erregung, mit dem Generator und den Triebwerken der Sonde vereint die turbulenten Stürme Jupiters zu überwinden. Wie musste es sich anfühlen, mit der ganzen Tauchsonde und ihren sämtlichen Systemen verbunden zu sein, während sie sich durch einen Sturm kämpfte? Die Kraft der Triebwerke, die die Zheng He auf Kurs hielten, die Entladungen elektrischer Energie, die übermenschlichen Wahrnehmungen durch die Sensoren. Sie musste jedes Zittern des Rumpfes als ein Erschauern ihres eigenen Körpers fühlen. Sie musste das Gefühl haben, gestreichelt und liebkost zu werden. Er beobachtete ihr Gesicht: die Augen halb geschlossen, das seltsame kleine Lächeln in ihren teigigen Zügen. Kein Zweifel, sie genoss die Bewusstseinserweiterung nicht anders als eine Drogensüchtige.
Grant tauchte durch die Luke und glitt in seine Koje. Er schloss die Augen und versuchte Krebs aus seinem Bewusstsein zu verdrängen. Die Sonde schwankte und taumelte, warf ihn in der Enge seiner Koje von einer Seite zur anderen. Schlaf war unmöglich.
»Grant … sind Sie wach?« Es war Karlstads flüsternde Stimme.
Grant glitt mit den Füßen voran aus seiner Koje und sah, dass Karlstad am Ende seiner Schlafstelle saß, die Füße um die dicken kurzen Metallbeine der Koje gehakt und über einen Taschencomputer gebeugt, den er in einer Hand hielt. Der kleine Bildschirm warf einen geisterhaften grünlichen Schein auf sein Gesicht, das in den Schlieren ihres flüssigen Mediums zu verschwimmen schien.
»Sind wir in der Nähe des Roten Flecks?«, fragte Grant. Karlstad blickte zu ihm auf. »Ha? Der Fleck? Nein, im Gegenteil. Wir sind auf der anderen Seite des Planeten.«
»Ach. Gut.«
Die Sonde taumelte unter einem heftigen Stoß und warf Grant beinahe von seiner Koje.
»Dies ist schlimm genug, meinen Sie nicht?«, fragte Karlstad. Er blickte besorgt zur Decke auf.
»Ich dachte bloß …«
»Sie treibt uns absichtlich durch diesen Sturm«, sagte Karlstad grimmig.
»Warum sollte sie das tun?«
»Sie bringt uns zurück zu unserer ersten Eintrittsposition«, sagte Karlstad. »Sie folgt dem Plan für diese Mission so blindlings wie ein Lemming, der sich von einem Kliff stürzt.«
»Zurück in den Sturm, dem wir ausgewichen sind? Das ist verrückt!«
Karlstad hielt seinen Taschencomputer an den Mund und sprach hinein. Grant bewegte sich näher und setzte sich am Ende seiner Koje neben ihn. Die Sonde sackte durch, dann wurde sie emporgehoben. Grants Magen rebellierte.
»Hier, sehen Sie.« Karlstad hielt den Computer so, dass Grant den leuchtenden kleinen Bildschirm sehen konnte. Seine Hände zitterten so, dass Grant die seinen darüber legte, um sie ruhig zu halten.
»Wenigstens lässt die Windgeschwindigkeit nach. Ist gerade unter fünfundfünfzig Meter pro Sekunde gesunken«, murmelte Karlstad und tippte mit dem Zeigefinger an den Bildschirm. »Das sind weniger als zweihundert Kilometer pro Stunde. Wir kommen heraus.«
»Ich denke mir, sie erwartete nicht, dass der Sturm in dieser geringen Höhe so viel Turbulenz erzeugen würde«, meinte Grant.
»Darauf würde ich nicht wetten«, murrte Karlstad.
Dann sagte er zum Computer: »Darstellung Gradient Außendruck.«
Der kleine Bildschirm wurde leer.
»Sie sind mit dem Bordcomputer verbunden?«, fragte Grant.
»Was sonst?«
Nun zeigte der Bildschirm eine bizarr gewellte Kurve mit einer tiefen Ausbuchtung in der Mitte.
»Sehen Sie?« Karlstad zeigte auf die Darstellung. »Es ist ein kleiner, kompakter Sturm. Dort ist das Zentrum. Wir sind in dieser Region hier.«
»Warum hat Krebs den Sturm nicht ganz gemieden?«, fragte Grant. »Wir hätten ihm ohne weiteres ausweichen können.«
»Wie ich Ihnen sagte, sie folgt dem Plan«, antwortete Karlstad mit einem bitteren Lächeln. »Nach dem Plan sollen wir hier sein, also sind wir hier, ungeachtet der Bedingungen draußen.«
Grant schüttelte den Kopf. »Das ergibt keinen Sinn.«
»Aber sicher, für eine wie Krebs, die unter pathologischer Analretention leidet.«
»Vielleicht will sie nur Daten über den Sturm gewinnen«, meinte Grant. »Schließlich ist sie Wissenschaftlerin. Niemand hat bisher Daten aus dem Innern eines jovianischen Zyklons gewonnen. Dies ist eine Gelegenheit.«
»Der wahre wissenschaftliche Idealismus«, höhnte Karlstad. »Die Daten müssen her, selbst wenn wir alle dabei umkommen.«
»Die Sonde ist nicht in Gefahr«, sagte Grant. »Nicht wirklich. Wir können einen Sturm wie diesen abreiten.« Aber mit seinem inneren Auge sah er noch immer Krebs' hingerissenen Ausdruck, als die Sonde unter der Wut des Sturmes erzitterte. Und er erinnerte sich seiner eigenen Leidenschaft.
Karlstads Miene wurde sehr verdrießlich. »Ich habe die medizinischen Daten des Bordcomputers durchsucht.«
»Gibt es was über sie?«
»Die persönlichen Daten sind alle gesperrt«, sagte Karlstad. »In den offenen Daten gibt es nicht viel mehr als Anweisungen für Fälle Erster Hilfe und Anleitungen für Tieftemperaturbehandlung bei schweren Unfällen.«
»Dann hat es nichts genützt?«
»Ich glaube, ich kann jetzt einen gebrochenen Knochen einrichten, aber es gibt nichts, was uns helfen könnte, eine Diagnose für unseren schieläugigen Kapitän zu stellen.«
»Na, macht nichts«, sagte Grant. »Was sollten wir mit der Information anfangen, wenn wir sie hätten?«
Karlstad schürzte die Lippen, dann sagte er: »Ich bin noch nicht fertig. Wenn sie nächstes Mal schläft, werde ich mir Zugang zu den medizinischen Akten der Station verschaffen.«
»Aber sie hat alle Kommunikationen mit der Station unterbrochen!«
Karlstad zuckte die Achseln. »Ich brauche nur einen kurzen Spritzer Daten. Ein paar Picosekunden sollten reichen. Sie wird es nie erfahren.«
»Aber in der Station werden sie es merken«, sagte Grant. »Sie werden wissen, dass wir nicht außer Funkkontakt sind. Sie werden wissen, dass die Botschaft, die Krebs mit der Datenkapsel schickte, eine dreiste Lüge ist!«
Karlstad lachte. »Na und? Seien Sie nicht so geradlinig, Grant. Außerdem wird niemand einen komprimierten Kontakt von einer Picosekunde bemerken. Es wird nicht einmal eine Person beteiligt sein. Es handelt sich bloß um eine medizinische Frage unseres Bordcomputers an den medizinischen Stationscomputer, zack! Das ist alles. Sie werden es gar nicht bemerken.«