»Hoffen Sie«, sagte Grant.
»Hören Sie zu. Welches Risiko ist Ihnen lieber? Den Befehl des Kapitäns gegen Flinkkontakte mit der Station zu missachten oder mit einer Verrückten am Steuer in diesen Ozean einzutauchen?«
Wieder ging ein Stoß durch die Sonde. Grant glaubte ein hohles Dröhnen wie fernen Donner zu hören. »Sie können nicht behaupten, dass sie verrückt sei.«
»Kann ich nicht? Meinen Sie, ein vernünftiger Mensch würde uns vorsätzlich durch einen Sturm wie diesen treiben?«
Als Grant sich wieder zum Dienst im Brückenraum meldete, lag der Sturm größtenteils hinter ihnen. Das Schiff zitterte noch unter gelegentlichen Böen, aber die schweren Stöße, das plötzliche Durchsacken und Schwanken hatte aufgehört.
Grant brachte die Steckkontakte an und schaltete die Verbindung ein. Bei der Erinnerung an seine Unaufmerksamkeit und Krebs' Tadel während der letzten Schicht errötete er vor Scham. Krebs schwebte mit strenger Miene über ihm. Sie weiß, wie es ist, sagte er sich zur Beruhigung. Sie ist mit allen Systemen an Bord verbunden, kein Elektron vibriert, ohne dass sie es weiß und fühlt. Sie kennt das überwältigende Gefühl von Macht. Kein Wunder, dass sie die Verbindungen nicht unterbrechen will und den Schlaf meidet.
Muzorawa und O'Hara lösten ihre Verbindungen und gingen zum Nahrungsspender. Grant blickte hinüber zu Karlstad, der leicht schwankend vor seiner Konsole stand, die Füße in den Bodenschlaufen verankert.
»Dr. Karlstad?«, rief Krebs. Ein unheimliches Prickeln überlief Grant. Karlstad hatte Recht; es war, als würde sie nicht richtig sehen.
»Captain?«, antwortete Karlstad.
Krebs richtete ihren Blick auf ihn. »Sie werden während dieser Wache die Navigation übernehmen, zusätzlich zur Überwachung der lebenserhaltenden Systeme.«
»Ich bin geehrt, Captain.«
Wenn sie den Sarkasmus heraushörte, gab sie es nicht zu erkennen. »Mr. Archer?«
»Ja, Captain?«
»Sie werden zusätzlich zu den Antriebs- und Energiesystemen die Überwachung der Sensoren übernehmen.«
»Ja, Captain.«
Grant übernahm das Überwachungsprogramm der Sensoren auf seine Konsole, und die zusätzlichen Daten strömten durch die implantierten Biochips und sein Nervensystem direkt zum Gehirn. Sofort setzte die erweiterte Wahrnehmung ein und ließ sein Herz schneller schlagen. Wieder konnte er die Außenwelt sehen, den vorbeipfeifenden Wind hören, den Ozean tief unter ihnen durch reflektierte Sonarsignale als eine gewaltige kompakte Fläche wahrnehmen und sogar Geruchsmerkmale der Außenatmosphäre einfangen, die reich an Salzen und Verbindungen war, welche keine menschliche Nase jemals gewittert hatte. Fern am Horizont flackerten Blitze; Grant sah sie durch die Sensoren und fühlte sie als ein elektrisierendes Prickeln entlang den Nervenbahnen. Er benötigte keine Tabellen, Diagramme oder Skalen; er untersuchte keine Daten, er erlebte sie direkt mit den Rezeptoren seines Gehirns für Sinnenswahrnehmungen, war vollständig eingehüllt in die Fülle dieser weiten, unerforschten Welt.
Aber er war gewarnt, und die innere Stimme seines Verstandes meldete sich zu Wort: Sei vorsichtig. Lass dich von alledem nicht überwältigen. Du musst Geistesgegenwart und Wachsamkeit bewahren. Verliere dich nicht an Eindrücke und Empfindungen.
Wie wurde Krebs damit fertig? Wie konnte sie Stunde um Stunde an ihrer Konsole ausharren und sich nicht vollständig dieser Erfahrung hingeben? Wie konnte sie ruhig und vernünftig bleiben, wenn sie ständig all diesen Wahrnehmungen ausgesetzt war?
»Sie schläft.«
Karlstads Flüstern erreichte Grant durch dessen inneren Aufruhr. Er stutzte, wandte den Kopf zu Karlstad, der zwei Konsolen entfernt stand.
Es dauerte ein paar Herzschläge, bis Grant sich erinnerte, wo und wer er war. Mit einem Gefühl verlorener Freude und verzweifelter Entschlossenheit zwang er die sensorischen Wahrnehmungen der Bordsysteme in den Hintergrund seines Bewusstseins.
»Sie schläft«, wiederholte Karlstad und zeigte mit einem Daumen über die Schulter.
Grant sah, dass Krebs' Augen geschlossen waren. Sie trieb, leicht bewegt von der Strömung, die durch die Umwälzpumpe erzeugt wurde, an ihren Anschlüssen, die sie mit den Verbindungsstellen an der Decke verbanden, schlief aber allem Anschein nach fest. Welche Träume musste sie haben, wenn sie ständig mit allen Bordsystemen verbunden blieb? Das würde wohl immer ihr Geheimnis bleiben.
»Jetzt ist es Zeit«, wisperte Karlstad und tippte an seine Konsole.
»Tun Sie es nicht!«, zischte Grant.
Karlstad warf ihm nur einen mitleidigen Blick zu, während seine Finger schon die Eingabe bearbeiteten.
4. LEVIATHAN
Dem Tode nahe, trieb Leviathan im kalten, leeren oberen Abgrund, hoch über seinem gewohnten Lebensbereich im Ozean. Es bedurfte einer Willensanstrengung, um seine Teile zusammen zu halten und zu verhindern, dass sie spontan den Verbund auflösten.
Wir müssen zusammenbleiben, wiederholte er mehrmals. Wenn wir auseinander brechen, wird jeder unserer Teile absterben, ob wir knospen oder nicht. Wir werden Nahrung für die Aasfresser sein, die in den heißen dunklen Tiefen warten. Gemeinsam können wir überleben. Wenn wir lange genug zusammenbleiben können, werden wir vielleicht Nahrung finden.
Aber auf dieser Ebene war der Ozean kalt und öde. Legenden berichteten von Ungeheuern, die in dieser kalten Leere ihr Unwesen trieben, gleitende, sich schlängelnde Bestien, die einander auflauerten und keinen von Leviathans Art verschmähten, der töricht genug war, bis in diese Höhe aufzusteigen.
Leviathan hielt diese Berichte für bloße Legenden, die von den Alten verbreitet wurden, um die Jungen von Versuchen abzuschrecken, zu weit aus den sicheren Regionen der See aufzusteigen.
Es war Zeit, in die wärmeren Regionen zurückzukehren, wusste Leviathan. Aber er konnte seine Auftriebsglieder nicht zwingen, sich zusammenzuziehen. Sie hatten nicht mehr die Kraft, das Gas auszustoßen, das sie füllte. Es erforderte Energie, ihre Muskeln zur Kontraktion zu bewegen, und absterbende Glieder hatten keine Energie, mit der sie arbeiten konnten.
Kälte und Leere umgaben ihn. Leviathan fühlte, wie ihm die Kontrolle über die äußeren Glieder zu entgleiten begann. Eine Einheit gepanzerter Haut löste sich spontan ab. Statt der verheißenen Freude des Knospens fühlte Leviathans Geist sich von einer unbeherrschbaren Woge des Kummers überrollt. Wir zerfallen. Wir werden alle hier sterben, allein, um niemals zu knospen, niemals neues Leben zu erzeugen.
Drei der Flagellenmitglieder brachen unvermittelt aus und flatterten orientierungslos in der kalten Strömung. Leviathan erkannte, dass das Ende nahe war. Sobald die lebenswichtigen Organmitglieder sich ablösten, würde seine Existenz beendet sein, ohne das Wissen, dass seine Teile neue Knospen erzeugen und neue Mitglieder schaffen würden, die sich in einem Nachkommen zusammentun könnten.
Die Symmetrie würde zerbrechen. Der immerwährende Zyklus des Lebens, das durch Knospung neues Leben hervorbrachte, würde enden. So sollte es nicht sein, das wusste Leviathan. Es war ihm nicht gelungen, die Symmetrie zu erhalten.
Ein Sinnesorgan begann heftig zu zittern, der erste Schritt in seiner Loslösung. Leviathan konnte es nicht verhindern.
Und doch …
Das Sinnesorgan hörte plötzlich auf zu flattern und wurde still. Es sandte ein Bild in Leviathans Gehirn. Ein Ungeheuer. Ein langes, flaches, vielarmiges Wesen glitt lautlos auf Leviathan zu, erfasste die losgelösten Glieder mit seinen Fangarmen und stieß sie in eine runde, schnappende Mundöffnung, die von scharfen Zähnen umringt war.