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Eine Sekunde lang dachte Leviathan, sein Sinnesorgan halluziniere, sei am Rande des Verhungerns und der Auflösung hysterisch geworden. Aber nein, andere Sinnesmitglieder übermittelten das gleiche Bild. Das Lebewesen war riesig, beinahe so groß wie Leviathan selbst, und dazu beinahe transparent, schwierig zu sehen, bis es nahe herangekommen war. Es glitt durch die See und erzeugte kaum ein Kräuseln des Wassers, sodass es aus der Ferne unmöglich auszumachen war.

Es war eines der hirnlosen Ungeheuer, vor denen in den alten Legenden gewarnt wurde. Es verfolgte Leviathan und verschlang dessen Mitglieder, wenn sie sich ablösten und hilflos im kalten Abgrund trieben.

Mit scheinbar ziellos wedelnden Fangarmen hielt es auf Leviathan selbst zu. Die zähnestarrende Mundöffnung schnappte auf und zu, auf und zu.

Flucht war Leviathans erste instinktive Regung. Konnte er aber in seinem geschwächten Zustand diesem Aasfresser entfliehen? Das Ungeheuer wurde langsamer, als es sich Leviathan näherte, streckte zwei seiner längsten Fangarme aus und berührte leicht Leviathans Haut.

Schmerz! Leviathan hatte nie zuvor einen elektrischen Schlag verspürt, aber der brennende Schmerz der Berührung ließ ihn reflexhaft zurückweichen. Das Ungeheuer folgte langsam, hatte es nicht eilig, einen Kampf mit Leviathan zu wagen. Anscheinend wartete es lieber, bis weitere Mitglieder sich von Leviathan ablösten. Es war mehr ein Aasfresser als ein Räuber, dachte Leviathan.

Schwach, beinahe hilflos, beobachtete Leviathan den anderen. Der eigentliche Körper war ein breites, flaches Blatt, das sich gallertartig wellte. Der klaffende Mund war an der Unterseite; die Oberseite war besetzt mit rundlichen Auswüchsen, die Sinnesorgane sein mussten. Dutzende von Fangarmen wedelten und schlängelten sich um die gesamte Peripherie des zentralen Körpers. Zwei von ihnen waren viel länger als die anderen und endeten in runden Verdickungen.

Leviathan fragte sich, ob alle Fangarme mit ihrer Berührung Schmerzen verursachen konnten. Vorsichtig zog er sich von dem Ungeheuer zurück. Es folgte im gleichen Tempo, behielt seinen Abstand bei und wartete geduldig. Ein neuer Gedanke bildete sich in Leviathans Geist. Dieses Ungeheuer konnte Nahrung sein. Die alten Legenden berichteten, dass diese Lebewesen einander auffraßen, wenn keine andere Nahrung verfügbar war. Es wollte seine Mitglieder fressen, vielleicht, dachte Leviathan, können wir es essen.

Aber zuerst würde er das Ungeheuer töten müssen. Und um das zu tun, würde er den schmerzenden Fangarmen ausweichen müssen.

Wäre Leviathan nicht geschwächt und dem Tode nahe gewesen, hätte es keinen Zweifel am Ausgang des Kampfes geben können. Seine Geschwindigkeit und Stärke hätten mit diesem hauchdünnen, halb durchsichtigen Lebewesen kurzen Prozess gemacht. Nur diese langen, Schmerzen austeilenden Tentakel galt es zu meiden.

Leviathan ersann einen Plan, der teils aus Verzweiflung, teils aus Schläue geboren war. Er verlangte ein Opfer.

Mit Bedacht stieß Leviathan drei weitere seiner Flagellenmitglieder ab. Pflichttreu und ohne eigenes Denken lösten sie sich von Leviathans Körper und begannen den wärmeren Tiefen zuzustreben.

Sofort jagte das Ungeheuer ihnen nach, so schnell, dass Leviathan erkannte, sein Plan könne nicht gelingen. Aber es gab keine andere Wahl. Er tauchte dem Ungeheuer nach.

Dessen lange Tentakel berührten die erste der Flagellen und lähmte sie augenblicklich. Die Tentakel übergaben das bewegungslose Opfer den kürzeren Fangarmen, die es ihrerseits der schnappenden, grässlichen Mundöffnung zuführten. Die zwei anderen Flagellen flohen instinktiv abwärts, tauchten blindlings zur Wärme der tieferen Meeresschichten ab. Das Ungeheuer verfolgte sie zielsicher. Und das gab Leviathan seine Gelegenheit.

Unter Aufbietung der letzten Kraftreserven tauchte er dem Ungeheuer nach und rammte hinein. Durch den Aufprall wanderten Stoßwellen durch den gallertigen Körper des Ungeheuers; seine Tentakel zuckten und wanden sich in Schmerzen. Rasch machte Leviathan so viele seiner Mundglieder wie möglich an dem breiten, flachen Körper fest. Die längeren Tentakel des Ungeheuers schnellten zurück und brannten Leviathan wieder und wieder, suchten blindlings nach den Teilen, wo die gepanzerten Hautglieder sich abgelöst hatten und die verwundbaren inneren Organe freigelegt waren.

Trotz der Schmerzen, die seinen gewaltigen Körper durchschossen, riss und fetzte Leviathan sich durch den Körper des Ungeheuers. Seine Mundglieder zermalmten das dünne Körpergewebe. Endlich erschlafften die Fangarme des Ungeheuers und Leviathan verzehrte den toten Körper. Er schmeckte abscheulich, aber es war Nahrung.

Gestärkt trotz der seltsam sauren Reaktionen seiner Verdauungsorgane, setzte Leviathan seine Reise um den großen Sturm fort und nahm Kurs auf die tieferen Gewässer, wo er reichlich Nahrung und andere seiner eigenen Art zu finden hoffte.

Leviathan hatte ihnen eine Geschichte zu erzählen.

5. IN DIE SEE

Karlstad nickte befriedigt, warf dann einen schnellen Blick über die Schulter. Krebs schien noch immer zu schlafen und trieb völlig entspannt unter ihren Deckenanschlüssen.

Grant wagte nicht zu fragen, aber Karlstad grinste ihm zu und machte einen Kreis mit Daumen und Zeigefinger. Grant entnahm der Geste, dass es ihm gelungen war, in die medizinischen Akten der Station einzudringen. Obwohl er Karlstads Vorgehen missbilligte, fragte sich Grant, was Krebs' Akte über sie aussagen mochte.

Er lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf die Anzeigen der Bordsensoren. Generator und Triebwerke arbeiteten so nahe an ihren Optimalwerten, dass Grant sie beinahe vernachlässigen und in einen Winkel seines Bewusstseins verbannen konnte, wo sie ein Hintergrundgeräusch summender Energie in sein Nervensystem sandten.

Die Sensoren waren etwas anderes, obwohl er durch die trübe fremdartige Atmosphäre nicht besser sehen konnte als an einem bedeckten, dunstigen Tag auf Erden.

In der Ferne zeigte die Radarortung einen wirbelnden Schneesturm reflektierender weißer Partikel, die zur See absanken. Sie waren nicht wirklich weiß, sagte er sich, weil das Radar nicht ihre Farbe wiedergab. In Wirklichkeit waren sie vermutlich dunkel, rußig von Kohlenstoffverbindungen; das Manna, das Dr. Wo auf den Gedanken gebracht hatte, es müsse Lebewesen in der See geben, die sich von diesem Überfluss organischer Partikel ernährten.

Natürlich, sagte sich Grant, war Wos Überlegung mehr Wunschdenken als Logik. Nur weil es organische Partikel regnete — oder vielmehr schneite —, bedeutete das noch nicht, dass es im Ozean Lebewesen geben musste, die sich von ihnen ernährten. Das war ein klassischer Trugschluss.

Die Radarmessung ergab, dass sie dem Schneesturm näher kamen. Ohne bewusst daran zu denken, rief Grant den geplanten Kurs der Tauchsonde ab, der als eine dünne hellgelbe Linie vor dem Schneesturm erschien. Sie würden ihn um mehr als vierhundert Kilometer verfehlen. Gut so; er hatte kein Verlangen, einen weiteren Sturm abzureiten. Doch auf einer tieferen Ebene fühlte er sich enttäuscht.

Und neugierig. Warum waren die Partikel dort so dicht konzentriert und anderswo in Reichweite der Sensoren nicht wahrzunehmen? Wenn die organischen Stoffe in der Wolkenhülle gebildet wurden, müsste es überall einen gleichmäßigen Nieselregen von ihnen geben.

Es musste sich so verhalten, dass sie nur in bestimmten Bereichen der Wolkenhülle gebildet wurden; die Prozesse, die zur Entstehung der organischen Stoffe führten, konnten demnach nicht gleichmäßig in der gesamten Wolkenhülle stattfinden. Grant beschloss, darüber mit Karlstad zu sprechen. Wenn es Lebewesen im Ozean gab, die sich von diesen organischen Stoffen ernährten, waren sie am wahrscheinlichsten unter den Stürmen zu finden, wo ihre Nahrung konzentriert zusammengefegt wurde.