»Bitte genauere Eingabe«, antwortete die synthetische Stimme des Computers.
Grant steckte den Kopf in seine Koje und suchte sie nach seinem Taschencomputer ab, der normalerweise auf einem Regal über dem Kopfkissen ruhte.
»Das wird eine Weile dauern«, sagte er zu O'Hara und setzte sich auf das Ende seiner Koje nieder.
Sie zuckte die Achseln und kroch in ihre eigene Koje.
Nach ein paar Minuten erschien Krebs im Durchstieg. Sie zog ihre faserotpischen Drähte an den Beinen nach. »Sie sollen ausruhen, Mr. Archer, nicht ihre Doktorarbeit schreiben.«
»Dies ist nicht meine Doktorarbeit, Captain«, sagte er. Ihre Ironie entging ihm völlig. »Ich bringe mein Programm über die Flüssigkeitsdynamik ein, um die Partikelströmungen als Indikatoren zu verwenden, die einen Vergleich ermöglichen. Ähnlich wie in der Aerodynamik Rauch in den Windkanalversuchen verwendet wird.«
»Sie brauchen Ihre Ruhe.«
»Ja, Captain. In ein paar Minuten, bitte.«
Krebs beobachtete ihn ein paar Sekunden lang schweigend, dann machte sie kehrt und trieb zurück in den Brückenraum. Grant arbeitete noch am Taschencomputer, als Muzorawa und Karlstad hereinkamen und ihre Ruhepause antraten.
»Sie haben jetzt Dienst«, sagte Muzorawa.
»In einer Minute«, sagte Grant. »Ich bin hier beinahe fertig.«
»Kann ich helfen?«, fragte Zeb. Er ließ sich neben Grant am Ende der Koje nieder.
»Es würde länger dauern, Ihnen alles zu erklären, als hier fertigzumachen.«
Muzorawa lachte leise. »Die grausame Aufrichtigkeit der Jugend.«
Grant antwortete nicht. Er hörte den anderen kaum. Kaum dass er es bemerkte, als Muzorawa aufstand und wieder zur Brücke hinausging.
Als er endlich fertig war und das Programm richtig lief, stieß Grant sich von der Koje ab und schwamm durch die Luke. Muzorawa stand in seiner Konsole, voll angeschlossen, und O'Hara neben ihm.
»Sind Sie fertig, Mr. Archer?« Krebs' Stimme troff von Ironie.
»Ja, Captain. Das Programm arbeitet jetzt ausgezeichnet. Danke, dass Sie so geduldig waren.«
»Bedanken Sie sich bei Dr. Muzorawa; er tut Ihre Arbeit, statt seine Ruhepause zu genießen.«
Grant fummelte mit seinen Drähten, um sich schnell anzuschließen. Zeb warf ihm ein verständnisvolles Lächeln zu.
»Sie haben den Arbeitsplan gründlich durcheinander gebracht, Archer«, schnarrte Krebs. »Ich hoffe, Ihre Inspiration verbessert das Programm der Flüssigkeitsdynamik hinreichend, um das auszugleichen.«
Grant nickte. Er war überzeugt, dass die Mühe sich gelohnt hatte. Aber er war inzwischen klug genug, den Mund zu halten.
Sie folgten der spiraligen Strömung organischer Partikel, passierten siebzig Kilometer Tiefe und tauchten noch tiefer. Karlstad klagte über zunehmende Kopfschmerzen, O'Hara sagte, sie habe quälende Schmerzen in den Armen und im Rücken, und sogar Muzorawa gab zu, dass er Schwierigkeiten beim Atmen hatte. Grants Kopfschmerzen dauerten an, nicht viel schlimmer als zuvor, aber auf keinen Fall weniger stark. Krebs sagte nichts, beklagte sich weder über ihren Zustand noch kommentierte sie die Probleme der anderen. Sie schien ihre Schwäche zu verachten; wenn sie ihm einen Befehl zurief, hatte Grant den Eindruck, dass sie nicht ihn ansah, sondern durch ihn hindurch.
Die Tauchsonde knarrte und ächzte jetzt ständig, und Grant fragte sich, wie tief sie gehen konnten, ohne vom Außendruck zermalmt zu werden. Er erinnerte sich, dass im Bauplan eine Tauchtiefe von neunzig Kilometern als Grenzwert angegeben war.
Neunzig, dachte Grant. Wir haben alle schon bei siebzig Probleme; wie wird es erst sein, wenn wir noch zwanzig Kilometer tiefer sind?
Trotzdem ließ Krebs Kurs und Neigungswinkel halten.
»Ist Ihnen klar, wohin die Reise geht?«, fragte O'Hara ihn während einer ihrer Ablösungen.
Er war hundemüde; seine pochenden Kopfschmerzen raubten ihm seine Energie. Auch Lane sah erschöpft aus. Sie schwebte ein paar Zentimeter über dem Boden ihres Gemeinschaftsraumes, hatte die Arme halb abgewinkelt.
»Was meinen Sie?«, fragte er. Tatsächlich dachte er an nichts anderes als in seine Koje zu kriechen und die vier ihm zustehenden Stunden durchzuschlafen.
»Zum Fleck«, sagte Lane.
Darauf sperrte Grant die Augen auf. »Zum Großen Roten Fleck?« Seine Stimme hatte selbst im Perfluorcarbon, das alle Töne tiefer klingen ließ, einen quäkenden Klang.
Sie nickte und verhakte eine Ferse am Ende ihrer Koje, um niederzusitzen.
»Wir können nicht in den Großen Roten Fleck«, sagte Grant.
»Dahin führen aber die Strömungen«, sagte O'Hara, »und wir folgen den Strömungen.«
»Aber Krebs wird früher oder später abbiegen. Die Strömungen beschreiben einen riesigen Wirbel um den Fleck.«
»Sie ist überzeugt, dass, wenn es Lebewesen gibt, die diese organischen Stoffe verzehren, den dichtesten Strömen dieser Nahrung folgen müssen. Also folgen wir dem dichtesten Strom, und der fließt auf den Fleck zu.«
»Aber sie wird abschwenken«, wiederholte Grant. »Bevor wir zu nahe kommen.«
O'Hara schloss die Augen. »Das denke ich auch. Im Moment ist es mir wirklich gleich. Ich will nichts als einen guten Schlaf — und ohne diese Rückenschmerzen aufwachen.«
Grant schob sich in seine Koje und befestigte das Netz, das ihn auf der Matratze hielt, während er schlief. Es war wie in einem Kokon, eine der wenigen Bequemlichkeiten auf dieser Mission. Beinahe augenblicklich war er eingeschlafen.
Und träumte, er würde in einen niemals endenden Strudel hineingezogen und ertränkt und zermalmt. Seine Schreie blieben ungehört, seine Schmerzen nahmen kein Ende.
8. ZÄHIGKEIT
»Wir nähern uns neunzig Kilometern«, sagte O'Hara. Ihre Stimme war angespannt, zitternd von Nervosität.
Maximale Tauchtiefe, wusste Grant. Er und Lane waren im Dienst, Karlstad und Muzorawa in ihren Kojen. O'Hara sah so überanstrengt und müde aus wie er sich fühlte. Wie alle sich fühlten. Sie litten ohne Ausnahme. Der Druck setzte ihnen körperlich und geistig zu.
»Bei neunzig abfangen und Kurs beibehalten«, sagte Krebs.
Weiter im Strom der organischen Partikel, interpretierte Grant den Befehl. Weiter in Richtung auf den Großen Roten Fleck. Viel tiefer konnten sie nun nicht mehr gehen, dachte er. Zwar gab es bei der maximalen Tauchtiefe eine Sicherheitsmarge, die wahrscheinlich bis hundert Kilometer Tiefe reichte, ohne die Sonde zu zerstören, das Risiko nahm dann rasch zu, und sie würden den weiter wachsenden Druck kaum aushalten.
Von jovianischen Lebewesen, ob groß oder klein, war noch immer nichts zu sehen. Die organischen Partikel wirbelten und strömten durch den unendlichen schwarzen Ozean, aber wenn es jemanden gab, der sich davon ernährte, ließ er sich nicht blicken. Sie hatten sogar den turbulenten Strom durchquert, worauf die Sonde mit einigen unangenehmen Stößen und Schlingerbewegungen reagiert hatte, doch war es ihren Instrumenten immerhin gelungen, eine Anzahl der Partikel zur Analyse einzusaugen.
»Jovianische Kohlehydrate«, verkündete Karlstad nach der Untersuchung der Proben. »Gut genug, um sie zu essen — beinahe.«
Aber wenn die erste Mission tatsächlich riesige Lebewesen in den Tiefen des Ozeans ausgemacht hatte, so hatten sie sich hier jedenfalls noch nicht gezeigt. Dr. Wos Hypothese, dass es dort, wo es Nahrung gab, auch Esser geben müsse, schien sich als bloßes Wunschdenken zu erweisen. Grant sagte sich: Propter hoc ergo post hoc ist genauso irrig wie anders herum.
Obwohl der Fusionsreaktor und die Generatoren einwandfrei arbeiteten, zuverlässig wie ein winzig kleiner Stern, zeigten die Triebwerke Anzeichen von Abnutzung. Grant fühlte die Erosion ihrer beanspruchten Metallteile als Müdigkeit, eine schmerzhafte Müdigkeit in den Knochen zusätzlich zur wirklichen Müdigkeit und den Kopfschmerzen seines wirklichen Körpers. Er konnte nichts daran ändern. Außerdem zeigten alle diagnostischen Kontrollen, dass der Zustand sämtlicher fester und beweglicher Metallteile noch gut innerhalb tolerierbarer Grenzen war. Es fühlte sich nur so ermüdend an, mit ihnen verbunden zu sein; es war beinahe so, als wäre er ein ans Ruder geketteter Galeerensklave. Er dachte daran, die Verbindung mit den Triebwerken zu unterbrechen und sich auf die gewöhnlichen Ablesungen seiner Konsole zu verlassen, aber er hatte noch nicht den Mut, Krebs um Erlaubnis zu bitten.