»Es ist der Druck, unter dem wir leben«, sagte O'Hara.
»Richtig. Er schädigt ihr Gehirn noch mehr«, sagte Karlstad.
»Er scheint aber nur ihr Sehvermögen zu beeinträchtigen«, meinte Muzorawa.
»Bisher«, sagte Karlstad. »Wie lang wird es dauern, bevor andere Gehirnpartien ausfallen?«
Den Blick starr auf die geschlossene Luke gerichtet, hörte Grant sich sagen: »Sie hält Kurs auf den Roten Fleck.«
»Sie wird abbiegen, bevor wir in Gefahr geraten«, sagte Muzorawa.
»Wird sie das?«, fragte Karlstad.
»Selbstverständlich.«
»Ich glaube, dass sie verrückt wird«, erklärte Karlstad. »Sie war immer tyrannisch, aber jetzt wird sie fanatisch, ignoriert einen direkten Befehl der IAB.«
»Wir stimmten alle überein, dass wir die Mission fortsetzen wollen«, sagte Muzorawa.
»Wirklich?«, versetzte Karlstad. »Mich hat niemand gefragt.«
»Fürchten Sie sich, Egon?«, forderte O'Hara ihn heraus.
»Ich? Mich fürchten? Neunzig Kilometer unter Wasser, befehligt von einer verrückten blinden Frau, die der IAB eine lange Nase dreht? Was gibt es da zu fürchten?«
Muzorawa hatte seine Drähte angeschlossen. »Ich denke, ein gewisses Maß von Furcht ist ein gesundes Zeichen. Aber wir dürfen uns nicht überwältigen lassen. Wir dürfen nicht in Panik geraten oder uns zu übereilten Handlungen hinreißen lassen.«
»Was verstehen Sie unter übereilt?«, fragte O'Hara.
»Krebs vom Kommando ablösen«, sagte Karlstad ohne zu zögern.
»Das können wir nicht tun«, widersprach Grant.
»Nicht einmal wenn sie uns alle um Kopf und Kragen bringt?«
»Vorläufig gibt es keine konkreten Hinweise, die darauf schließen lassen«, sagte Muzorawa.
O'Hara blickte zur geschlossenen Luke. »Sie muss schreckliche Schmerzen erleiden.«
»Anzusehen ist es ihr nicht«, sagte Karlstad.
»Vielleicht keine körperlichen Schmerzen, aber … stellen Sie sich vor, in solch einer Situation blind zu werden. Nichts mehr zu sehen.«
»Es sei denn, sie ist mit der Sonde verbunden.«
»Ja«, sagte O'Hara im Flüsterton. »Das ist ihr geblieben.«
»Also, was tun wir?«, wollte Karlstad wissen.
Niemand hatte eine Antwort.
Genau eine Stunde nachdem sie die Brücke verlassen hatte, kehrte Krebs zurück. Karlstad brauchte sie nicht zu wecken.
Grant, der sie beim Einstecken ihrer Anschlüsse beobachtete, gewann den sicheren Eindruck, dass sie tatsächlich nichts sehen konnte. Sie befingerte mit unkonzentriertem Blick die Verbindungen und tastete mit den Fingern nach den Elektroden in ihren Beinen, bis das winzige elektrische Feld das richtige Implantat erkannte und die Steckverbindung hergestellt werden konnte.
Sie konnte die verschiedenen Farbcodierungen der Drähte nicht wahrnehmen, erkannte Grant. Sie konnte anscheinend überhaupt nichts sehen.
Bis sie vollständig verdrahtet war und ihre Verbindung aktiviert hatte. Dann richtete sie sich auf und übernahm das Kommando.
»Mr. Grant, was begaffen Sie da?«, verlangte sie zu wissen.
Grant wandte schnell den Kopf und starrte auf seine Konsole. »Ni … nichts, Captain.«
»Sie kümmern sich um Ihre Pflichten, Mr. Grant, und ich werde mich um die meinen kümmern.«
»Ja, Captain.«
»Dr. Krebs«, sagte Muzorawa, »wir müssen über Ihren Zustand sprechen.«
»Da gibt es nichts zu besprechen.«
»Ich fürchte doch.«
»Ich bin durchaus imstande, meiner Verantwortung nachzukommen«, erklärte Krebs. Grant glaubte eine leichte zittrige Unsicherheit herauszuhören.
»Dr. Krebs, das Trauma im Sehzentrum Ihres Gehirns verschlimmert sich.«
Krebs funkelte ihn an, sagte aber nichts.
»Es ist möglich, dass die Verschlechterung andauern wird«, fuhr Muzorawa fort. Er sprach ruhig, vernünftig, beinahe sanft. »Es könnte zu einer schweren Gehirnblutung führen.«
»Ich weiß das«, sagte Krebs. Ihre Stimme war tiefer als gewöhnlich. »Ich akzeptiere dieses Risiko.«
»Wir sollten die Mission abbrechen und zur Station zurückkehren«, sagte Muzorawa. Grant bewunderte, wie unpersönlich und beinahe beiläufig er es vorbrachte. Ohne Vorwurf, ohne versteckte Drohung.
Krebs schwebte schwer atmend in der Mitte des Brückenraums. Grant sah, wie ihre Brust sich hob und senkte. Die Sonde hielt jetzt ruhig und ohne Turbulenzen Kurs; das gleichmäßige Summen der Generatoren und das gedämpfte Brausen der Triebwerke waren nach wie vor das vertraute und beruhigende Hintergrundgeräusch, nun jedoch zunehmend aus dem Bewusstsein verdrängt, das immer mehr beherrscht wurde vom ständigen schmerzenden Druck hinter den Augen, dem dumpfen Schmerz im Rücken und einer wachsenden Unkonzentriertheit, die ihm zu schaffen machte.
Endlich sagte sie: »Wenn wir zur Station zurückkehren, ohne etwas vorzuweisen, das die Kosten und Anstrengungen der Mission rechtfertigen kann, werden sie niemals eine weitere Mission gestatten. Sie haben uns bereits befohlen, unsere Arbeit aufzugeben. Das werde ich nicht tun. Unter keinen Umständen. Ist das klar?«
»Aber Ihre Gesundheit ist in Gefahr. Ihr Leben …«
»Wozu taugt mein Leben, wenn ich nicht die Forschungen fortsetzen kann, der ich es gewidmet habe?« Krebs hob die Stimme. »Welchen Nutzen würde mein Leben haben, wenn mir nicht erlaubt ist, die Arbeit zu tun, die ich liebe? Ich habe bereits alles andere in meinem Leben geopfert — Familie, Freunde, Heimat, die Annehmlichkeiten einer gesicherten Existenz —, um hier zu sein, in diesem verdammten Ozean, wo ich die Antwort auf die wichtigste Frage von allen suche: gibt es hier intelligentes Leben? Werden wir eine andere Lebensform finden, mit der wir uns verständigen können?«
Keiner der anderen brachte ein Wort heraus. Alle starrten sie an.
Sie lächelte bitter. »Ich sehe den Unglauben in Ihrem Gesicht, Dr. Karlstad. Sie trauen mir nichts mehr zu und denken, ich würde Sie ins Verderben führen.«
»Ah, n … nein, durchaus nicht«, stammelte Karlstad.
»Wir machen weiter«, erklärte Krebs. »Sollte ich hier sterben, es kümmert mich nicht. Besser hier als in irgendeinem staubigen Seminarraum, wo man mir nicht einmal erlauben würde, über die Möglichkeit außerirdischen Lebens zu sprechen.«
»Ja, Captain«, sagte Muzorawa kleinlaut.
Krebs nickte mit einem Ausdruck von Zufriedenheit, dann richtete sie ihren wieder verdüsterten Blick auf O'Hara. »Dr. O'Hara, Neigungswinkel fünf Grad.«
Lane blickte die anderen an und fragte: »Wir gehen tiefer?«
»Tiefer«, sagte Krebs.
In Grants Kopf pochte der Schmerz. Jeder Pulsschlag war wie ein Hammer, der in Stirnhöhlen und Schläfen seine unbarmherzige Arbeit verrichtete. Sein Rücken schmerzte, als sei er im Prozess allmählicher Versteinerung. Sie hatten eine Tiefe von hundert Kilometern überschritten und gingen noch immer tiefer, immer in einer mäßig absteigenden Bahn, die parallel zum wirbelnden Strom organischer Partikel führte.
Irgendwo draußen in dieser dunklen See wartete der Große Rote Fleck, dachte Grant. Er konnte ihn nicht sehen, nicht einmal, wenn er die Daten der Fernbereichssensoren abrief. Aber er war dort, dieser enorme Wirbel, dieser immerwährende Sturm, der größer als die ganze Erde war und Strömungen über Zehntausende von Kilometern in den gefräßigen Rachen seines Strudels sog. Er wartete auf sie, zog sie an sich wie ein Magnet einen winzigen Eisenfeilspan.
Sie folgten einem dieser dem Wirbel zufließenden Strömungen und wurden immer wieder merklich herumgestoßen, wenn sie in die Nähe der turbulenten Randbereiche der Strömung kamen. Solange sie in ihr blieben, verlief die Reise glatt und ruhig. Grant konnte mit der Leistung der Triebwerke heruntergehen. Der Rote Fleck tat die Arbeit für sie, aber Grant fürchtete, dass die Arbeit zu ihrer Zerstörung führen würde.