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Beinahe. Denn gleichzeitig fiel ihm ein, dass er tatsächlich ein Informant der Neuen Ethik war. Jedenfalls erwartete die NE es von ihm.

7. „WILLKOMMEN IM GULAG“

Endlich bekam Grant die Forschungsstation zu sehen, einen flüchtigen Blick nur, als er durch die Verbindungsröhre ging, die das Andockmodul der Station mit der Schleuse des Frachters verband.

Dieser flüchtige Blick beunruhigte ihn noch mehr.

Er sandte ein stummes Dankgebet für seine sichere Ankunft himmelwärts, verbunden mit der Bitte: »Mache mich würdig, o Herr, der Aufgabe, die Du mir gegeben hast.«

Durch die Deckenfenster der Verbindungsröhre sah die gekrümmte Oberfläche der Station riesenhaft aus, ein kolossaler Bogen aus grauem Metall, stumpf und narbig von langen Jahren unter der Einwirkung harter Strahlung und kosmischen Staubes.

Eine Kindheitserinnerung kam Grant in den Sinn: als seine Eltern mit ihm in San Francisco gewesen waren und sich in einem schäbigen, gefährlichen Teil der Stadt nahe den enormen, schmutzverkrusteten Pfeilern der Bay-Brücke verfahren hatten. Einen Augenblick war Grant wie betäubt gewesen, als er sich vorgestellt hatte, das ganze Gewicht dieser immensen Brücke würde auf ihn niederkrachen, ihn und seine Eltern in ihrem leichten offenen Wagen unter einem polternden Durcheinander von Stahlträgern und gewaltigen Brocken aus Mauerwerk und Beton zermalmen.

Als er jetzt durch die leicht biegsame Verbindungsröhre ging, hatte er plötzlich das gleiche Gefühclass="underline" Dieser gigantische, massige Körper der Station würde jeden Augenblick auf ihn niederstürzen. Wieder stockte ihm der Atem, und einen Augenblick lang fühlte er sich sehr klein, sehr verwundbar, dem Tode nahe.

Der Augenblick ging vorüber. Grant beendete sein Gebet und schritt allein weiter durch die Röhre. Er war die einzige Person, die vom Frachter zur Forschungsstation gebracht wurde. Der Boden war weich und elastisch unter seinen Stiefeln, eine willkommene Abwechslung nach vielen Monaten auf den Stahldecks des Frachters. Alles in Ordnung, sagte er sich. In dem Augenblick, da er am anderen Ende der Verbindungsröhre durch die Luke trat, begann offiziell seine Dienstzeit. Von da an wurde jede Sekunde auf seine vierjährige Verpflichtung angerechnet, und jede Sekunde würde ihn Marjorie, der Heimat und dem Leben, das er sich wünschte, näher bringen.

Aber dieser flüchtige Blick auf die Station hatte ihm etwas gezeigt, was nicht hätte dort sein sollen. Grant hatte sich Grundriss, Aufbau und Funktionen der Station in den Monaten seiner langen Reise zum Jupiter eingeprägt. Die Forschungsstation Gold glich einem dicken Krapfen von mehr als fünf Kilometern Durchmesser. Sie rotierte alle zwei Minuten einmal um ihre Achse und erzeugte durch die Fliehkraft eine künstliche Schwere, die beinahe genau jener auf der Erdoberfläche entsprach. Den Wissenschaftlern, die in den meisten Fällen jahrelang in der Station ausharren mussten, waren dadurch günstige Lebens- und Arbeitsbedingungen geboten, die keine lästigen und erschwerenden Umstellungen notwendig machten.

Grant hatte eine zusätzliche Struktur aus der Krapfenform ragen sehen, ein metallisches, linsenförmiges Objekt, rund und abgeflacht wie ein Diskus und durch eine einzige schlanke Röhre mit der Station verbunden. Nach allem, was Grant über die Station Gold wusste — und er kannte sie seit Monaten in- und auswendig — hätte das Gebilde nicht dort sein sollen. Es würde die Rotation der Station aus dem Gleichgewicht bringen und sie so sehr destabilisieren, dass schließlich das gesamte Gerüst der Station auseinander brechen musste.

Es konnte nicht da sein, dennoch hatte er es gesehen. Dessen war er sicher.

Er war ratlos, beinahe besorgt, als er die wenigen Schritte zum Ende des Verbindungstunnels hinter sich brachte. Er musste den Kopf einziehen, um durch die Luke in die Station zu gelangen. Als er sie durchstiegen hatte, sah er sich in einer kleinen leeren Kammer. Die metallischen Wände waren zerkratzt und glanzlos, der Boden bestand aus Metallgitter. Früher einmal waren die Wände gestrichen gewesen, wie es schien, doch von der Farbe waren nur noch ein paar graue, ebenfalls abblätternde Reststellen übrig.

Ein hoch gewachsener schlanker Mann in hellgrauer Hose und einem blauen Samthemd stand in der Kammer und erwartete ihn mit einem lustlosen, gelangweilten Ausdruck im kantigen, asketischen Gesicht. Grant hatte noch nie eine so blasse Hautfarbe gesehen; der Mann sah beinahe geisterhaft aus. Sein Haar war sehr hell, beinahe weiß, und hing ihm in glatten Strähnen auf die Schultern. Bei alledem schien der Mann nur wenig älter als er selbst zu sein.

»Grant Archer?«, fragte der Mann unnötigerweise und streckte ihm die Rechte hin.

Grant nickte, nahm die Reisetasche in die Linke und ergriff die dargebotene Hand.

»Ich bin Egon Karlstad«, sagte der Mann. Sein Händedruck war angemessen, nicht zu kräftig, nicht zu schwach.

»Sehr angenehm«, sagte Grant. Er hörte, wie die Luke sich hinter ihm schloss, dann folgte eine Serie metallischer und dumpfer Geräusche, als die Verbindungsröhre abgetrennt wurde.

Karlstad lächelte ironisch.

»Willkommen in der Forschungsstation Gold«, sagte er. »Willkommen im Gulag.«

Grant blickte erstaunt auf. »Was ist ein Gulag?«

»Sie werden es schon merken«, sagte Karlstad in resigniertem Ton, wandte sich um und führte Grant durch eine zweite Luke in einen langen, weiten Korridor.

Im Innern schien die Station noch größer zu sein, als sie von draußen ausgesehen hatte. Der Korridor den sie durchwanderten, war geräumig und sogar mit Teppichboden ausgelegt, der allerdings stark abgenutzt und beinahe fadenscheinig schien. Immerhin genoss Grant nach all den Monaten in der Beengtheit des alten Frachters das Gefühl von Geräumigkeit und Freiheit. Männer und Frauen begegneten ihnen, nickten oder grüßten Karlstad. Er machte sie nicht mit Grant bekannt, sondern erläuterte, was hinter jeder der Türen war, die sich zu beiden Seiten des Korridors befanden: Labor für Flüssigkeitsdynamik, Tieftemperaturlabor, Elektronikwerkstatt und andere Dinge mehr, deren Funktion Grant nicht verstand.

Die Breite des Korridors und die Großzügigkeit aller Räumlichkeiten machten deutlich, dass Grant sich nicht mehr an Bord eines Schiffes befand. Dies war eine Forschungsstation. Obwohl Grant wusste, dass er sich im Innern eines großen runden Körpers befand, schien der Korridor völlig eben und gerade, was ein Hinweis darauf war, welche Ausmaße die Station hatte. Erst in weiter Ferne schien der Korridor anzusteigen.

Nun, dachte er, wenigstens werde ich in einer halbwegs angenehmen und bequemen Umgebung sein und mit wirklichen Wissenschaftlern arbeiten.

Nach einiger Zeit, die ihm wie eine halbe Stunde vorkam, machte Karlstad an einer unbeschrifteten Tür Halt. »Dies ist Ihr Quartier, Mr. Archer.«

»Grant«, sagte Grant. »Bitte nennen Sie mich Grant.«

Karlstad machte eine höfliche kleine Verbeugung. »Gut. Und ich bin Egon. Mein Quartier ist zwei Türen weiter.« Er zeigte den Korridor entlang.

Grant nickte, als der andere das Scannerfeld im Türrahmen berührte. »Sie können natürlich ihren eigenen Code einstellen«, sagte er. »Lassen Sie nur den Sicherheitsdienst wissen, was er ist.«

Die Tür glitt auf. Grants Quartier war geräumig, mit einem richtigen Bett statt eine Koje, einem Schreibtisch, Tisch, Stühlen, Regalen, sogar einer kompakten Einbauküche mit eigenem Spülbecken und Mikrowellengerät. Alles war strikt auf Zweckmäßigkeit abgestellt, wie die Zimmer in einem Studentenheim, ohne irgendwelchen Luxus und überflüssige Dinge. Nichts in dem Raum sah neu oder frisch renoviert aus. Ein leichter Geruch von Desinfektionsmittel hing in der Luft; wahrscheinlich ging er vom dünnen grauen Teppichboden aus.

»Zwei der Wände sind mit Bildschirmen ausgestattet, die vom Schreibtisch aus bedient werden«, sagte Karlstad. »Diese Tür zur Rechten führt in Ihre Toilette, die andere ist ein Wandschrank.«