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«Verflixt«, sagte jemand neben mir. Es war der Kommandant.

Die Krankenschwester hatte die Steiermann ans offene Grab gefahren, Äschisburger warf den Kranz auf den Sarg, meiner ewig geliebten monika, ihre monika stand auf der Schleife.

Pfarrer Senn trat vor, zuckte zusammen, als es wieder donnerte, und alle Anwesenden traten näher. Ich wurde wider Willen unmittelbar hinter die Steiermann gedrängt und befand mich zwischen der Krankenschwester und dem Kommandanten, vor diesem befand sich Äschisburger, und vor der Krankenschwester Stüssi-Leupin. Der Sarg wurde ins Grab gesenkt. Am Nebengrab war niemand, Jämmerlins Sarg ins Grab zu senken, Pfarrer Wattenwyl sah noch immer zu uns herüber, Pfarrer Senn öffnete zaghaft die Bibel, kündete Johannes 8, Vers 5 bis 11 an, kam aber nicht dazu, den Text auch zu lesen. Monika Steiermann hielt den Gegenstand, den sie trug, hoch und schmetterte ihn mit einer Kraft, die ihr niemand zutraute, ins Grab, so daß er mit Wucht auf Daphnes Sarg polterte, durch den er krachend brach: Es war der bronzene Kopf von Mocks» falscher «Monika Steiermann. Pfarrer Wattenwyl kam herbeigestürzt, und Pfarrer Senn war so erschrocken und verwirrt, daß er automatisch sagte:»Lasset uns beten.»

Aber da fielen schon die ersten schweren Tropfen, die Windstöße backten sich zum Sturm zusammen, und die Regenschirme öffneten sich. Da ich hinter der Steiermann stand, wollte ich die Zwergin schützen und öffnete auch den meinen. Ich drückte auf einen Knopf in der Nähe des Griffs, und zu meiner Verblüffung flog mein Schirmdach davon, stieg hoch, kreiste über der Trauergemeinde und fiel, da der Sturm schlagartig aufhörte, wie ein großer schwarzer Vogel in Daphnes Grab. Viele unterdrückten ein Lachen. Ich starrte auf den Schirmstab, den ich in der Hand hielt: es war ein Stilett. Es kam mir vor, als hielte ich mit der Mordwaffe am Grabe der Ermordeten Wache, während der Pfarrer das Unservater betete. Dann begannen die Totengräber mit ihren Schaufeln zu arbeiten, und auch der Sarg mit Jämmerlin konnte hinuntergelassen werden. Die Krankenschwester rollte die Steiermann zurück, ich mußte Platz machen, stand immer noch da mit dem Stilett, während sich die Schirme schlossen: Das Gewitter, unseren Friedhof pietätvoll verschonend, entlud sich über dem Stadtzentrum, noch am Abend wurde Wasser aus den Kellern gepumpt, dafür von irgendwoher einige Knallfrösche. Man feierte schon. Überaus mächtig flutete grelles Sonnenlicht über die zum Friedhofsausgang strömende Menge und über die schaufelnden Totengräber. Auch Pfarrer Senn war bemüht, so schnell als möglich davonzugehen, und Pfarrer Wattenwyl stand verwirrt herum, auch der Stadtpräsident und Feuser waren schon gegangen. Nur noch Lienhard stand am Grabe Jämmerlins und sah zu, wie es zugeschaufelt wurde. Als er an mir vorbeiging, weinte er. Er hatte einen Feind verloren. Ich starrte wieder auf das Stilett. Seine Spitze war dunkelbraun und die Rinne in der schmalen Waffe auch.

«Ihr Schirm ist nicht mehr brauchbar, Spät«, meinte neben mir der Kommandant, nahm mir das Stilett mit dem Schirmgriff aus der Hand und wandte sich dem Friedhofsausgang zu.

Der Verkauf: Eine Postkarte Kohlers aus Hiroshima beruhigt mich, er reist nach Singapur. Endlich Zeit, das Entscheidende zu berichten, auch wenn das Entscheidende eine Dummheit ist, die von keiner finanziellen Notlage entschuldigt werden kann. Ich schickte Stüssi-Leupin die Berichte zu, und er empfing mich zwei Tage später im Wohnzimmer seines Heims weit außerhalb der Stadt. Die Bezeichnung Wohnzimmer ist untertrieben, unbewohnte Halle genauer. Der Raum ist quadratisch, ich schätze 20 x 20 Meter, drei Seiten aus Glas, eine Türe nirgends sichtbar, durch die eine der Wände sieht man auf ein altes Städtchen hinunter, das, noch von der Autobahn verschont, von endlosen Autokolonnen durchrollt wird, die in der Abenddämmerung der Landschaft etwas Lebendiges, Gespenstisches geben, Lichterketten ziehen durch die Adern der alten Gemäuer, durch die zwei ändern Glaswände blickt man auf von hinten angestrahlte Findlinge, auf tonnenschwere erratische Blöcke, von Mock sparsam behauen, Granitgötter, die vor den Menschen die Erde beherrschten, die Gebirge aus der Tiefe zerrten, die Kontinente auseinanderrissen, Monolithen, die riesenphallengleich ihre Schatten in die damals leere Halle warfen, denn außer einem Konzertflügel befanden sich ihm in der Diagonale gegenüber nur noch zwei Klubsessel. Der Konzertflügel stand fast vor dem Eingang, denkbar ungünstig postiert, neben einer Holztreppe, die zu einer Empore führt, wo sich mehrere nicht sehr große Zimmer befinden müssen, schien doch das Haus, als ich mit dem Porsche angefahren kam, einstöckig zu sein, vom Städtchen aus gesehen hatte ich es als Bungalow in Erinnerung. In einem der beiden Klubsessel saß mein ehemaliger Chef, in einen Schlafrock gehüllt, unbeweglich, nur von einer Stehlampe zwischen den Sesseln beleuchtet. Ich räusperte mich, er rührte sich nicht, ich ging über die verschieden gefärbten, kunstvoll angeordneten Marmorplatten, womit der Boden der Halle ausgelegt war, Stüssi-Leupin rührte sich immer noch nicht. Ich setzte mich in den anderen Klubsessel, versank in einem Meer von Leder. Neben meinem Klubsessel entdeckte ich auf dem Boden in einem Körbchen eine entkorkte Flasche Rotwein, ein kleines tulpenförmiges Kristallglas und eine Schale mit Baumnüssen, das gleiche stand neben dem etwa vier Meter entfernten Klubsessel, in welchem Stüssi-Leupin saß, nur daß sich vor ihm noch ein Telefon auf dem Boden befand. Ich betrachtete Stüssi-Leupin. Er schlief. Ich dachte an das Porträt von Varlin, das ich für übertrieben gehalten hatte, erst jetzt erkannte ich die Genialität, mit welcher der Maler den Anwalt gesehen hatte: unter einem wirren Fell schlohweißer Haare ein quadratischer Bauernschädel, brutal zurechtgehauen, eine Nase wie ein knolliges Gewächs, tiefe Furchen, die sich zu dem wie von einem Meißel bearbeiteten Kinn hinunterzogen, der unsäglich trotzige und doch zarte Mund. Ich betrachtete dieses Gesicht, als wäre es eine mir vertraute und doch rätselhafte Landschaft, denn ich wußte wenig von Stüssi-Leupin, obgleich er einige Jahre mein Chef gewesen war, aber er hatte nie ein persönliches Wort mit mir gewechselt, vielleicht der Grund, weshalb ich nicht in seiner Kanzlei geblieben war.