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»Die Lungen sind hinüber, wenn ich es richtig verstanden habe. Hockt nur noch zu Hause rum und quält sich.«

»Stimmt«, sagte Erlendur. »Und guckt sich Western an.«

»Du hast nachgeforscht, was mit dem Falcon ist?«, fragte der Mann, leerte sein Glas und griff sich ein neues von dem Tablett, das an ihnen vorbeischwebte.

»Dem Falcon?«

»Im Dezernat redet man darüber, dass du dich wegen des Skeletts im Kleifarvatn mit alten Vermisstenfällen befasst.«

»Kannst du dich an irgendetwas im Zusammenhang mit dem Falcon erinnern?«

»Nicht genau. Wir haben ihn vor dem Busbahnhof gefunden. Níels leitete damals die Ermittlung. Ich habe ihn übrigens auch gerade hier irgendwo gesehen. Das Buch von dem Mädel ist wirklich toll«, fügte der Mann hinzu. »Ich hab’s mir gerade angeschaut. Super Fotos.«

»Das Mädel ist schon über vierzig«, sagte Erlendur. »Aber trotzdem, ein tolles Buch.«

Er hielt Ausschau nach Níels und sah ihn schließlich auf einer breiten Fensterbank sitzen. Erlendur gesellte sich zu ihm und konnte nicht umhin, daran zu denken, wie sehr er diesen Mann manchmal beneidete. Níels konnte auf eine lange Karriere bei der Kriminalpolizei zurückblicken und war von einer Familie umgeben, auf die er stolz sein konnte. Seine Frau war eine bekannte Künstlerin, sie hatten vier vielversprechende Kinder in die Welt gesetzt, die alle studiert hatten und am laufenden Band Enkelkinder produzierten. Das Ehepaar lebte in einer eindrucksvollen Villa, die von der Künstlerin selbst entworfen worden war, zwei Autos standen in der Einfahrt, und nicht der geringste Schatten schwebte über ihrem Lebensglück. Für Erlendur konnte es keinen glücklicheren und zufriedeneren Mann geben als Níels. Von Freundschaft zwischen ihnen konnte keine Rede sein. Erlendur hatte immer das Gefühl gehabt, dass Níels ein arbeitsscheuer Mensch war, der eigentlich nichts bei der Kriminalpolizei zu suchen hatte. Das private Glück trug auch nicht dazu bei, Erlendurs Antipathien zu reduzieren.

»Marian ist schlimm dran«, sagte Níels, als Erlendur sich zu ihm setzte.

»Seine Zeit ist bestimmt noch nicht abgelaufen«, sagte Erlendur wider besseres Wissen. »Wie geht es dir?« Die Frage war eine reine Höflichkeitsfloskel. Er wusste immer ganz genau, wie es Níels ging.

»Ich kapier das einfach nicht mehr«, sagte Níels. »Wir schnappen an einem Wochenende immer wieder denselben Kerl bei Einbrüchen, gleich fünf Mal. Jedes Mal gibt er alles zu — und wird deswegen dann sofort wieder auf freien Fuß gesetzt, weil der Fall als aufgeklärt gilt. Dann der nächste Einbruch: Er gesteht alles, wird freigelassen und bricht sofort wieder irgendwo ein. Was für ein Hornochse ist das eigentlich? Warum kann man hier nicht ein System einrichten, in dem solche Idioten direkt eingelocht werden? Die können zwanzig solcher Delikte ansammeln, bevor sie endlich vor den Kadi gestellt werden, sie kriegen eine Minimalstrafe und kommen dann auf Bewährung wieder raus, und kurze Zeit später verhaften wir wieder die gleichen Typen. Das ist doch der reinste Irrsinn. Warum werden diese Kerle nicht einfach ordentlich verknackt?!«

»Wenn’s irgendwo im System hapert, dann in der isländischen Rechtsprechung«, sagte Erlendur.

»Diese Ganoven lachen sich doch kaputt über die Richter«, erklärte Níels. »Und dann die Sexualverbrecher, die sich an kleinen Kindern vergehen, und die Gewalttäter!« Sie schwiegen. Die öffentliche Diskussion über zu milde Strafen wurde auch innerhalb der Kriminalpolizei geführt, und die Mitarbeiter, die Verbrecher wie Kinderschänder und Vergewaltiger überführten und der Gerechtigkeit überantworteten, waren äußerst betroffen, wenn sie kurze Zeit später von milden Strafen, manchmal sogar auf Bewährung, hörten.

»Was ganz anderes«, sagte Erlendur. »Kannst du dich an den Mann erinnern, der diese landwirtschaftlichen Maschinen verkaufte? Er besaß einen schwarzen Ford Falcon. Und war auf einmal wie vom Erdboden verschluckt.«

»Meinst du das Auto vor dem Busbahnhof?«

»Ja.«

»Der hatte wirklich eine nette Frau, dieser Typ. Was wohl aus ihr geworden ist?«

»Sie ist immer noch nicht darüber hinweg«, sagte Erlendur. »Da fehlte eine Radkappe am Auto. Erinnerst du dich daran?«

»Wir sind damals davon ausgegangen, dass sie vor dem Busbahnhof geklaut worden ist. Der Fall gab nichts her, was auf ein Verbrechen hindeutete, vielleicht mit Ausnahme der gestohlenen Radkappe. Falls sie denn gestohlen wurde.

Genauso gut konnte er ja auch an eine Bordsteinkante gekommen sein und dabei die Radkappe verloren haben. Sie ist zumindest nie gefunden worden. Genauso wenig wie ihr Besitzer.«

»Warum hätte er sich umbringen sollen?«, fragte Erlendur.

»Es lief doch alles prima bei ihm. Er hatte eine hübsche Frau. Die Zukunft lag vor ihnen. Und er hatte sich einen Ford Falcon angeschafft.«

»Du weißt, dass all das überhaupt keine Rolle spielt, wenn Leute sich mit Selbstmordgedanken tragen«, sagte Níels.

»Glaubst du, dass er sich eine Busfahrkarte gekauft hat?«

»Wir fanden das wahrscheinlich, wenn ich mich richtig erinnere. Wir haben uns mit den Busfahrern unterhalten, aber keiner konnte sich an ihn erinnern. Das muss aber nicht besagen, dass er Reykjavik nicht doch mit dem Bus verlassen hat.«

»Aber du glaubst, dass er sich umgebracht hat.«

»Ja«, sagte Níels. »Aber …« Níels zögerte auf einmal.

»Was?«, fragte Erlendur.

»Dieser Mann hat irgendein Spiel gespielt«, erklärte Níels.

»Was meinst du damit?«

»Sie sagte, er hätte Leopold geheißen, aber weder in unseren Archiven noch im Volksregister haben wir jemanden in dem Alter, das sie angegeben hatte, mit diesem Namen gefunden. Keine Geburtsurkunde. Keinen Führerschein. Es gab keinen Leopold, der als dieser Mann zu identifizieren war.«

»Was willst du damit sagen?«

»Entweder sind alle Eintragungen über ihn im System verloren gegangen, oder …«

»Oder er hat diese Frau angelogen?«

»Zumindest kann er nicht Leopold geheißen haben«, sagte Níels.

»Was hat sie dazu gesagt? Was hat die Frau gesagt, als ihr sie danach gefragt habt?«

»Wir hatten das Gefühl, dass er ein falsches Spiel spielte«, sagte Níels nach einer Weile. »Wir haben sie bemitleidet. Sie hatte noch nicht einmal ein Foto von ihm. Daraus kann man wohl nur schließen, dass sie nichts über diesen Mann wusste.«

»Und?«

»Wir haben ihr nichts davon gesagt.«

»Ihr habt ihr nichts wovon gesagt?«

»Dass wir ihren Leopold nirgendwo ausfindig machen konnten«, sagte Níels. »Wir fanden, dass alles sonnenklar war. Er hat sie belogen und ist dann abgehauen.«

Erlendur saß stumm da, während ihm so langsam dämmerte, was Níels ihm eröffnet hatte. »Weil wir sie schonen wollten«, sagte Níels. »Und sie weiß es immer noch nicht?«

»Ich glaube nicht.«

»Warum hast du das vor ihr geheim gehalten?«

»Wahrscheinlich aus lauter Menschenfreundlichkeit.«

»Sie wartet immer noch auf ihn«, sagte Erlendur. »Sie wollten heiraten.«

»Das hat er ihr weisgemacht, bevor er abgehauen ist.«

»Und was ist, wenn er ermordet wurde?«

»Wir hielten das für äußerst unwahrscheinlich. Solche Fälle von Betrug kommen zwar selten vor, sind aber durchaus kein unbekanntes Phänomen. Männer lügen Frauen irgendwas vor, das bringt ihnen … wie sollen wir es ausdrücken, gewisse Annehmlichkeiten, und dann hauen sie ab. Ich glaube, dass sie es im Innersten auch gewusst hat. Wir brauchten ihr das nicht zu sagen.«

»Aber das Auto?«

»Es war auf den Namen der Frau angemeldet. Das Darlehen lief auch auf ihren Namen. Das Auto gehörte ihr.«

»Ihr hättet es ihr sagen müssen.«

»Vielleicht. Aber was hätte es ihr gebracht, wenn sie die Wahrheit erfahren hätte, nämlich, dass der Mann, den sie liebte, ein Betrüger war, jemand, der sie zum Narren gehalten hat? Er hat ihr nie etwas über seine Familie erzählt. Sie wusste gar nichts über diesen Mann. Er hatte keine Freunde. Er war dauernd als Vertreter unterwegs. Was schließt du daraus?«