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»Mit anderen Worten, er hätte dann irgendwo auf dem Land eine Familie gehabt, und die Frau in Reykjavik war nur seine Geliebte?«, fragte Elínborg. »Ist das nicht ein bisschen weit hergeholt, nur weil das Auto beim Busbahnhof gefunden wurde?«

»Du meinst also, dass er vielleicht wieder nach Vopnafjörður in den Schoß der Familie zurückgekehrt ist und nicht mehr in Reykjavik rumgebumst hat?«, meldete sich Sigurður Óli.

»In Reykjavik rumgebumst!«, sagte Elínborg. »Wie hält es die arme Bergþóra nur mit dir aus!«

»Diese Version ist keineswegs dümmer als alle anderen«, sagte Erlendur.

»Ist es wirklich möglich, in Island in Bigamie zu leben?«, fragte Sigurður Óli.

»Nein«, antwortete Elínborg entschieden. »Dazu sind wir zu wenige.«

»In Amerika fahnden sie nach solchen Typen«, sagte Sigurður Óli. »Da gibt es sogar extra Beiträge im Fernsehen, wenn sich solche Betrüger und Bigamisten auf diese Weise aus dem Staub machen. Einige bringen sogar ihre Familie um, verschwinden und gründen woanders eine neue.«

»In Amerika kann man sich auch leichter verstecken als hier«, sagte Elínborg.

»Das mag sein«, sagte Erlendur. »Aber ist es nicht auch in einer kleinen Gesellschaft ziemlich einfach, zumindest für einige Zeit ein Doppelleben zu führen? Dieser Mann war viel in Island unterwegs, manchmal sogar wochenlang. Er lernt eine Frau in Reykjavik kennen, vielleicht verliebt er sich, aber vielleicht ist sie auch nur ein Zeitvertreib für ihn. Als die Beziehung in ein etwas verbindlicheres Stadium eintritt, beschließt er, der Sache ein Ende zu machen.«

»Eine kleine, romantische Liebesgeschichte aus der großen Stadt«, sagte Sigurður Óli.

»Ob die Frau aus dem Milchladen über diese Möglichkeit nachgedacht hat?«, sagte Erlendur nachdenklich.

»Wurde denn keine Suchmeldung im Zusammenhang mit diesem Leopold rausgegeben?«, fragte Sigurður Óli.

Erlendur hatte eine kurze Meldung in den Zeitungen gefunden, wo es hieß, dass dieser Mann verschwunden sei.

Diejenigen, die glaubten, ihn gesehen zu haben, wurden gebeten, sich mit der Polizei in Verbindung zu setzen. Kleidung, Größe und Haarfarbe wurden beschrieben.

»Das hat aber nichts gebracht«, sagte Erlendur. »Es gab kein Foto von ihm. Níels sagte mir, dass sie die Frau nicht darüber informiert haben, dass er offiziell unter diesem Namen nicht aufzufinden war.«

»Das haben sie ihr nicht gesagt?«, wunderte sich Elínborg.

»Sie war natürlich nicht seine Frau«, gab Sigurður Óli zu bedenken.

»Du weißt doch, wie Níels ist«, sagte Erlendur. »Falls er Schwierigkeiten aus dem Weg gehen kann, dann geht er ihnen aus dem Weg. Níels hatte das Gefühl, dass die Frau zum Narren gehalten worden war, und das war für ihn wohl ausreichend, nichts weiter in die Wege zu leiten. Ich weiß es nicht. Er ist nicht besonders …« Erlendur brach mitten im Satz ab.

»Vielleicht hat sich der Kerl eine andere Frau zugelegt«, überlegte Elínborg, »und sich nicht getraut, ihr davon zu erzählen. Es gibt nichts Feigeres als treulose Männer.«

»Ach nee«, sagte Sigurður Óli.

»Ist er nicht kreuz und quer durch Island gereist und hat Landmaschinen verkauft?«, fuhr Elínborg fort. »War er nicht dauernd auf dem platten Land und in den Dörfern rings um die Insel unterwegs? Da ist es doch nicht ganz abwegig, dass er jemanden kennen gelernt hat und ein neues Leben beginnen wollte. Und sich nicht getraut hat, seiner Verlobten in Reykjavik was davon zu sagen.«

»Und seitdem ist er untergetaucht?«, warf Sigurður Óli ein.

»Um 1970 herum herrschten hier doch ganz andere Zustände«, sagte Erlendur. »Man brauchte mit dem Auto einen ganzen Tag bis nach Akureyri. Es gab noch keine Ringstraße. Die Verkehrsverbindungen waren viel schlechter und die kleinen Dörfer auf dem Land viel isolierter.«

»Damit meinst du wahrscheinlich, dass es etliche Käffer gegeben hat, wo nie jemand hinkam«, sagte Sigurður Óli.

»Ich hab irgendwo die Geschichte von einer Frau gehört«, sagte Elínborg, »die mit einem schicken Kerl verlobt war, alles lief wunderbar, aber dann ruft er eines Tages an und sagt ihr, dass er Schluss machen will. Und nach einigem Hin und Her gibt er zu, dass er vorhat, demnächst eine andere Frau zu heiraten. Und das war alles, was seine Verlobte zu hören bekam. Wie gesagt, es gibt keine Grenzen dafür, wie lausig sich Männer verhalten können.«

»Aber warum segelte dieser Leopold dann in Reykjavik unter falscher Flagge?«, fragte Erlendur. »Wenn er sich nicht getraut hat, der Frau hier in Reykjavik zu sagen, dass er auf dem Land eine andere kennen gelernt hat und ein neues Leben beginnen will. Warum dieses Versteckspiel?«

»Was weiß man schon über solche Männer«, sagte Elínborg resignierend.

Eine Weile herrschte Schweigen.

»Und was ist dann mit der Leiche im See?«, fragte Erlendur.

»Ich bin der Meinung, dass wir nach einem Ausländer suchen«, entgegnete Elínborg. »Ich finde die Vorstellung ganz einfach absurd, dass es sich um einen Isländer handeln soll, dem man ein russisches Abhörgerät angebunden hat. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass so etwas hier passiert.«

»Der Kalte Krieg«, gab Sigurður Óli zu bedenken. »Eine merkwürdige Zeit.«

»Ja, eine merkwürdige Zeit«, stimmte Erlendur zu.

»Im Kalten Krieg hatte man ständig Angst vor dem Weltuntergang«, sagte Elínborg. »Das hat einen doch dauernd beschäftigt. Man war nie frei von dem Gedanken, dass der Weltuntergang vielleicht kurz bevorstand. Das ist der einzige Kalte Krieg, den ich kenne.«

»Ein simples technisches Versagen, und kawumm!«, sagte Sigurður Óli.

»Irgendwo müssen sich solche Ängste doch auswirken«, sagte Erlendur. »In dem, was wir tun oder wie wir sind.«

»Beispielsweise darin, dass man Selbstmord begeht, so wie der Mann mit dem Falcon?«, fragte Elínborg.

»Wenn der mal nicht glücklich verheiratet in Hvammstangi lebt«, sagte Sigurður Óli, knüllte die Sandwichverpackung zusammen und zielte auf den Papierkorb, traf aber daneben.

Als Elínborg und Sigurður Óli gegangen waren, klingelte das Telefon bei Erlendur. Ein Mann war am Apparat, den er nicht kannte.

»Spreche ich mit Erlendur?«, fragte eine tiefe Stimme, die wütend klang.

»Ja. Wer ist am Apparat?«, erwiderte Erlendur.

»Lass gefälligst die Finger von meiner Frau«, sagte die Stimme.

»Von deiner Frau?«

Erlendur war völlig perplex. Es kam ihm überhaupt nicht in den Sinn, dass der Mann am anderen Ende der Leitung von Valgerður sprach.

»Kapiert?«, sagte die Stimme. »Ich weiß genau, worauf du aus bist, und ich verlange, dass du damit aufhörst.«

»Sie kann wohl selbst entscheiden, was sie will«, erklärte Erlendur, als er endlich begriffen hatte, dass es Valgerðurs Ehemann sein musste. Er erinnerte sich, was Valgerður über seine Seitensprünge erzählt hatte und dass sie zu Anfang ihrer Bekanntschaft mit Erlendur nur im Sinn gehabt hatte, sich an ihrem Mann zu rächen.

»Lass gefälligst die Finger von ihr.« Die Stimme hörte sich jetzt drohend an.

»Halt die Schnauze, Mensch«, sagte Erlendur und knallte den Hörer auf die Gabel.

Fünfzehn

Der ehemalige Staatssekretär Ómar war ein Mann um die achtzig, der sich trotz seiner Größe und Statur sehr gewandt bewegte. Er hatte eine Glatze und ein recht breites Gesicht, das von Mund und Kinn beherrscht wurde. Er war augenscheinlich froh, Besuch zu bekommen. Elinborg und Erlendur gegenüber beklagte er sich bitter, dass er mit siebzig hatte in Pension gehen müssen, ein Mann bei bester Gesundheit und auf der Höhe seiner Schaffenskraft. Er lebte in einer geräumigen Wohnung in Kringlumýri, nach dem Tod seiner Frau hatte er sein früheres Haus verkauft.