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Es trat eine Pause ein. Erlendur blickte sich um. Das Wohnzimmer war voll gestopft mit Erinnerungsstücken aus allen Teilen der Welt, die von einer langen Tätigkeit für das Ministerium zeugten. Ómar und seine Frau waren in die entlegensten Erdenwinkel gereist. Da gab es Buddha-Figuren und Fotos von Ómar an der Chinesischen Mauer und in Cape Canaveral mit einer Raumfähre im Hintergrund. Erlendur bemerkte ebenfalls Fotos, auf denen er zusammen mit führenden Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zu sehen war.

Ómar räusperte sich. Er hatte anscheinend überlegt, ob er in seinen Bemühungen, ihnen behilflich zu sein, noch weitergehen oder es hierbei bewenden lassen sollte. Ihnen war nicht entgangen, dass er, seit das Gespräch auf die russischen Abhörgeräte im See gekommen war, praktisch jedes Wort auf die Goldwaage legte.

»Es wäre, ich weiß es nicht, es wäre vielleicht nicht dumm, wenn ihr euch mal mit Bob unterhalten würdet.«

»Und wer ist Bob?«, fragte Elínborg.

»Robert Christie. Bob. Er war in den sechziger und siebziger Jahren für Sicherheitsfragen in der amerikanischen Botschaft zuständig, ein absolut integrer Mann. Wir kannten uns gut und haben immer noch Kontakt zueinander.

Wenn ich in die Staaten reise, besuche ich ihn immer. Er lebt in Washington und ist genau wie ich schon lange pensioniert. Er hat ein erstklassiges Gedächtnis und ist wirklich ein überaus netter Mensch.«

»Inwiefern sollte er uns weiterhelfen können?«, fragte Erlendur.

»Die Botschaften haben sich natürlich gegenseitig belauert und observiert«, sagte Ómar. »So viel hat er mir zumindest verraten. In welchem Ausmaß, weiß ich nicht, und meines Erachtens hatten Isländer nichts damit zu tun, aber unter den Botschaftsangehörigen, sowohl aus den NATO-Ländern als auch aus den Ostblockstaaten, gab es Spione.

Das hat er mir gegenüber zugegeben, als der Kalte Krieg zu Ende war, und das hat uns auch die Geschichte gelehrt. Es gehörte unter anderem zu den Aufgaben der Botschaftsangehörigen, exakt über die personellen Veränderungen in den Vertretungen der gegnerischen Länder informiert zu sein. Sie wussten genau, wer ins Land kam und wer das Land verließ, welches ihre Aufgabenbereiche waren, woher sie kamen und wohin sie gingen, sie kannten die Namen und wussten über ihr Privatleben und die familiären Verhältnisse Bescheid. Die meiste Energie wurde darauf verschwendet, solche Informationen zu sammeln.«

»Zu welchem Zweck denn?«, fragte Elínborg.

»Einige dieser Botschaftsangehörigen waren bekannte Agenten oder Spione«, sagte Ómar. »Sie kamen nach Island, blieben nur kurz und verließen das Land dann wieder. Sie hatten unterschiedlich hohe Positionen inne. Falls also ein bestimmter Mitarbeiter mit einem bestimmten Rang zu ihnen kam, ließ das den Schluss zu, dass da irgendwas im Busch war. Ihr erinnert euch vielleicht an die Nachrichten früher, als dauernd Botschaftsangehörige aus irgendwelchen Ländern ausgewiesen wurden. Das passierte in den Ländern um uns herum in regelmäßigen Abständen, aber es ist auch hier bei uns vorgekommen. In Amerika wurden diverse Russen wegen Spionage des Landes verwiesen.

Die Russen haben natürlich alles abgestritten und dann im Gegenzug ein paar Amerikaner aus der Sowjetunion ausgewiesen. Das passierte überall auf der Welt. Alle kannten die Spielregeln. Alle wussten alles über alle. Sie waren genauestens über Einreisen und Ausreisen informiert und führten Buch darüber, wer in eine Botschaft hineinging und wer wieder herauskam.« Ómar hielt eine Weile inne.

»Auf eines wurde immer besonderen Wert gelegt, nämlich Leute zu rekrutieren«, fuhr er dann fort. »Neue Spione.«

»Du meinst, dass Botschaftsangehörige dazu ausgebildet wurden, Spionage zu betreiben?«, sagte Erlendur.

»Nein, sondern beim Feind Agenten abzuwerben«, sagte Ómar lächelnd. »Die Angehörigen anderer Botschaften dazu zu bringen, für sie zu spionieren. Sie haben natürlich auf allen Ebenen und in allen Bereichen des öffentlichen Lebens versucht, Leute für sich anzuwerben und Informationen zu sammeln, aber Botschaftsangehörige waren immer besonders gefragt.«

»Und?«, sagte Erlendur.

»Bob könnte euch dabei weiterhelfen.«

»Dabei? Wobei?«, fragte Elínborg.

»Bei den Botschaftsangehörigen«, sagte Ómar.

»Ich verstehe nicht, was …«, sagte Elínborg. »Willst du damit sagen, dass er sich daran erinnern würde, wenn irgendetwas Außergewöhnliches in diesem System vorgefallen wäre?«, sagte Erlendur.

»Er wird euch natürlich mit Sicherheit nichts über irgendwelche minutiösen Details sagen. Das tut er niemandem gegenüber. Mir nicht und noch viel weniger euch. Ich habe ihn häufig genug nach solchen Informationen gefragt, aber er hat das bloß ins Lächerliche gezogen und abgelehnt. Aber er könnte euch womöglich etwas sagen, so ein paar unschuldige Kleinigkeiten, die oberflächlich gesehen Interesse geweckt haben, aber für die es keine Erklärungen gab. Mit anderen Worten all das, was auffällig war.«

Elínborg und Erlendur starrten Ómar an, ohne ein Wort zu verstehen.

»Beispielsweise wenn jemand ins Land kam, es aber nicht wieder verlassen hat«, sagte Ómar. »Das könnte Bob euch erzählen.«

»Du denkst an das russische Abhörgerät«, sagte Erlendur.

Ómar nickte bestätigend.

»Aber wie war es denn im Außenministerium? Ihr müsst doch auch selber mitverfolgt haben, wenn es an den Botschaften einen Personalwechsel gab und was für Personen hierher geschickt wurden.«

»Das war auch der Fall. Uns wurde immer mitgeteilt, wenn es Änderungen in der Besetzung gab. Aber wir hatten weder die Möglichkeiten noch die Kapazitäten oder das Interesse, dies in gleichem Ausmaß zu kontrollieren, wie sie es taten.«

»Mit anderen Worten, falls beispielsweise ein neuer Mitarbeiter in einer der Vertretungen aus den Ostblockländern eingetroffen und eine Weile dort tätig gewesen wäre und die amerikanische Botschaft nicht feststellen konnte, dass er das Land wieder verließ, dann könnte Bob uns das sagen?«

»Genau«, sagte Ómar. »Ich glaube, dass Bob euch bei Fragen dieser Art behilflich sein könnte.«

Marian Briem ließ Erlendur herein und zog das Gestell mit der Sauerstoffflasche hinter sich her ins Wohnzimmer. Erlendur dachte darüber nach, ob es im Alter auch sein Schicksal sein würde, allein in seiner Wohnung dahinzuvegetieren, von allen vergessen und verlassen und mit einem Sauerstoffapparat im Schlepptau. Er hatte keine Ahnung, ob Marian Briem Geschwister hatte; Freunde gab es weiß Gott nicht viele. Eines wusste Erlendur aber genau, nämlich dass diese jetzt so gebrechliche Person es nie bereut hatte, keine Familie gegründet zu haben.

»Wozu?«, hatte Marian einmal vor vielen Jahren gesagt.

»Familien bereiten einem nichts als Ärger und Verdruss.« Sie hatten damals über Erlendurs Familie gesprochen, was nicht häufig der Fall war, da Erlendur am liebsten gar nicht erst über sich selber redete. Marian hatte ihn nach den Kindern gefragt, ob er irgendwelchen Kontakt zu ihnen hätte.

Das war vor vielen Jahren gewesen.

»Hast du nicht zwei?«, hatte Marian gefragt.

Erlendur war in seinem Büro gewesen und hatte einen Bericht über einen Fall von Unterschlagung verfasst, als Marian Briem urplötzlich auftauchte und ihn nach seinen Familienangelegenheiten fragte. Der Fall hatte mit zwei Schwestern zu tun, die ihre Mutter nach Strich und Faden geschröpft und ausgenommen hatten — daher rührte Marian Briems Kommentar, dass Familien nur Ärger und Verdruss bedeuteten.

»Ja, ich habe zwei«, sagte Erlendur. »Können wir uns über diesen Fall hier unterhalten? Ich glaube, dass …«

»Und wann hast du sie zuletzt gesehen?«, fragte Marian.

»Ich glaube, das geht dich nichts …«