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»Hör zu«, sagte Haraldur, »Ich hab was dagegen, dass du einfach hier so eindringst. Was soll denn das werden? Mach, dass du rauskommst. Mach, dass du hier rauskommst, und lass mich in Ruhe!«

Der Alte richtete sich auf und versuchte, so gut er konnte, den Kopf hochzurecken. Er starrte Erlendur wütend an, der sich aber nichts anmerken ließ und auf dem Bett gegenüber Platz nahm. Es war unbenutzt. Erlendur überlegte, dass es wahrscheinlich niemandem zuzumuten war, das Zimmer mit diesem übellaunigen Haraldur zu teilen. Es gab nur wenige persönliche Gegenstände im Zimmer. Auf dem Nachttisch lagen zwei abgegriffene Gedichtbände von Einar Benediktsson, die offensichtlich wieder und wieder gelesen worden waren.

»Fühlst du dich hier nicht wohl?«, fragte Erlendur.

»Fühle ich mich nicht wohl? Was zur Hölle geht dich das an? Was willst du von mir? Wer bist du überhaupt? Warum haust du nicht ab, wie ich es dir gesagt habe?«

»Du hattest etwas mit einem Fall zu tun, der sich vor vielen Jahren ereignet hat«, sagte Erlendur und fing an, von dem Mann zu erzählen, der Landmaschinen und Bagger verkaufte und einen schwarzen Ford Falcon besessen hatte. Haraldur lauschte seinen Worten schweigend und ohne ihn zu unterbrechen. Erlendur wusste nicht, ob er sich überhaupt an diese Dinge erinnerte. Er kam darauf zu sprechen, dass sich die Polizei danach erkundigt hätte, ob der Mann wirklich nicht bei dem Hof aufgetaucht war, aber er hätte rundheraus bestritten, den Mann getroffen zu haben.

»Kannst du dich daran erinnern?«, fragte Erlendur.

Haraldur gab ihm keine Antwort. Erlendur wiederholte die Frage.

»Pah«, ließ Haraldur verlauten, »er ist nie aufgekreuzt, der verdammte Kerl. Das war vor mehr als dreißig Jahren. Ich kann mich an gar nichts erinnern.«

»Aber du erinnerst dich daran, dass er nicht erschienen ist?«

»Ja, was soll denn der Quatsch, das habe ich doch gerade gesagt. Los jetzt, mach, dass du rauskommst. Ich mag es nicht, wenn Leute in meinem Zimmer sind.«

»Hast du Schafe auf deinem Hof gehabt?«, fragte Erlendur.

»Schafe? Auf dem Hof? Ja, ich hatte einige Schafe und Pferde, und außerdem zehn Kühe. Bestimmt geht es dir jetzt besser, nachdem du das erfahren hast.«

»Du hast sicher einen guten Preis für das Land bekommen«, fuhr Erlendur unbeirrt fort. »So nah bei der Stadt.«

»Bist du vom Finanzamt?«, fauchte Haraldur ihn an. Er starrte auf den Boden. Es war anstrengend für ihn, den Kopf zu heben, denn Alter und schwere Arbeit hatten ihm Rücken und Schultern gekrümmt.

»Nein, ich bin von der Kriminalpolizei«, sagte Erlendur.

»Die kriegen heute viel mehr dafür, diese Banditen«, sagte Haraldur. »Heute reicht die Stadt schon bis dahin. Das waren regelrechte Spekulanten, die mir das Land abgekungelt haben, verdammte Spekulanten! Und jetzt verschwinde!«, fügte er wütend hinzu. »Knöpf dir lieber diese verfluchten Spekulanten vor!«

»Was für Spekulanten?«

»Diese Spekulanten, die mein Land für einen Pappenstiel gekriegt haben.«

»Was wolltest du diesem Mann abkaufen? Diesem Vertreter mit dem schwarzen Auto.«

»Kaufen? Von diesem Mann? Ich wollte einen Trecker kaufen. Ich brauchte einen neuen Trecker. Erst bin ich nach Reykjavik gefahren und habe mir die Trecker da angesehen und war interessiert. Da habe ich auch diesen Mann getroffen. Ich habe ihm meine Telefonnummer gegeben, und dann hat er andauernd angerufen. Die sind doch alle gleich, diese Vertreter. Wenn sie merken, dass man Interesse hat, geben sie keine Ruhe mehr. Ich war bereit, mich mit ihm zu unterhalten, falls er zu mir nach Hause kommen könnte.

Er sagte, dass er mir Prospekte mitbringen würde. Und ich Depp habe dann auf ihn gewartet und gewartet, aber er ließ sich einfach nicht blicken. Als Nächstes ruft mich dann so ein Saftheini wie du an und fragt mich, ob ich diesen Mann gesehen hätte. Ich habe ihm das gesagt, was ich dir sage.

Mehr weiß ich nicht, also kannst du jetzt abhauen.«

»Er besaß einen neuen Ford Falcon«, sagte Erlendur, »der Mann, der dir den Traktor verkaufen wollte.«

»Ich habe keine Ahnung, wovon du redest.«

»Komischerweise existiert der Wagen immer noch und steht sogar zum Verkauf, falls jemand Interesse hat«, sagte Erlendur. »Als das Auto seinerzeit gefunden wurde, fehlte eine Radkappe. Weißt du, was aus dieser Radkappe geworden sein könnte? Hast du da eine Idee?«

»Was soll denn dieser Blödsinn, Mensch«, sagte Haraldur und sah Erlendur in die Augen. »Ich weiß nichts über diesen Mann. Und was quasselst du da über dieses Auto? Was hat das mit mir zu tun?«

»Ich hoffe, dass du uns weiterhelfen kannst«, sagte Erlendur. »Solche Autos können bis in alle Ewigkeiten Beweismaterial aufbewahren. Also wenn beispielsweise dieser Mann zu dir auf den Hof gekommen, da ausgestiegen und über den Hofplatz gegangen wäre, würde er wahrscheinlich irgendwas von dort an oder unter den Schuhen gehabt haben, was sich jetzt noch im Auto befände, sogar nach all diesen Jahren. Es braucht nichts Besonderes zu sein. Ein Sandkörnchen reicht, wenn es derselbe Sand ist wie bei dir auf dem Hofplatz. Verstehst du, was ich meine?« Der alte Mann starrte auf den Boden und gab keine Antwort.

»Steht das Haus noch?«, fragte Erlendur.

»Halt die Klappe«, sagte Haraldur.

Erlendur blickte sich im Zimmer um. Er wusste kaum etwas über diesen Mann, der vor ihm auf der Bettkante saß, außer dass er unangenehm und grob war und dass es in seinem Zimmer stank. Er las Einar Benediktsson, aber Erlendur dachte im Stillen, dass er wohl äußerst selten in seinem Leben die Worte des Dichters beherzigt hatte: Mit einem Lächeln wandelt Dunkel sich in lichten Tag.

»Hast du dort allein auf dem Hof gelebt?«

»Hau ab, sage ich!«

»Hast du eine Wirtschafterin gehabt?«

»Wir waren zu zweit, mein Bruder und ich. Jói ist tot. Lass mich in Ruhe.«

»Jói?« Erlendur konnte sich nicht erinnern, dass in den Polizeiprotokollen außer Haraldur noch jemand anderes erwähnt worden war. »Wer war das?«

»Mein Bruder Jóhann«, sagte Haraldur. »Er ist vor zwanzig Jahren gestorben. Mach, dass du rauskommst. Himmelherrgott nochmal, verschwinde jetzt endlich und lass mich in Ruhe!«

Siebzehn

Er öffnete den Karton mit den Briefen und nahm einen nach dem anderen heraus. Bei einigen überflog er nur den Absender, andere nahm er aus dem Umschlag und las sie langsam durch. Er hatte die Briefe jahrelang nicht angeschaut. Es waren Briefe von zu Hause, von seinen Eltern, seiner Schwester und den Kameraden in der Jugendorganisation, die wissen wollten, wie das Leben in Leipzig war.

Er konnte sich auch an die Antwortbriefe erinnern, die er ihnen geschickt hatte, in denen er die Stadt beschrieb, den Wiederaufbau und die Einstellung der Menschen, und wie positiv alles war. Er schrieb über die Geschlossenheit in der Arbeiterschaft und die sozialistische Solidarität — all diese klischeehaften Floskeln. Er schrieb nie über die Zweifel, die sich in seinem Inneren zu rühren begannen. Er schrieb nie über Hannes.

Er grub sich tiefer in den Karton hinein. Da war der Brief von Rut und darunter lag das Schreiben von Hannes.

Und ganz zuunterst waren die Briefe von Ilonas Eltern.

In den ersten Wochen und Monaten, in denen sie zusammen waren, dachte er an kaum etwas anderes als an Ilona.

Er war immer knapp bei Kasse und lebte äußerst sparsam, aber es gelang ihm, verschiedene Kleinigkeiten aufzutreiben, mit denen er ihr eine Freude machen konnte. Eines Tages, als sein Geburtstag sich näherte, bekam er ein Paket von zu Hause, und darin war auch ein kleines Bändchen mit Gedichten von Jónas Hallgrímsson, das er ihr schenkte. Er sagte ihr, dass es die Werke des Mannes enthielt, der jene schönsten Worte in isländischer Sprache gedichtet hatte.