Über die Arbeit sprachen sie nur einmal, als Sigurður Óli Überlegungen anstellte, weshalb das russische Gerät demoliert worden war, bevor es mit der Leiche im Wasser versenkt wurde. Erlendur hatte die Informationen aus der Spurensicherungsabteilung an sie weitergegeben. Sie standen zu dritt auf der kleinen Sonnenterrasse. Elínborg war mit den Grillvorbereitungen beschäftigt.
»Was schließen wir daraus?«, fragte sie.
»Ich weiß es nicht«, sagte Erlendur. »Ich habe keine Ahnung, was für eine Rolle es spielt, ob es funktionierte oder nicht. Ich sehe da keinen Unterschied. Abhörgerät ist Abhörgerät. Russen sind Russen.«
»Ja, das mag stimmen«, sagte Sigurður Óli. »Vielleicht war es kaputt, weil es bei Handgreiflichkeiten auf den Boden gefallen und zu Bruch gegangen ist.«
»Denkbar«, sagte Erlendur. Er schaute in die Sonne und wusste eigentlich nicht so recht, was er da auf der Terrasse zu suchen hatte. Er war noch nie bei Sigurður Óli und Bergþóra zu Besuch gewesen, obwohl sie schon lange zusammenarbeiteten. Es überraschte ihn nicht, dass bei den beiden alles tipptopp in Ordnung war. Alles designermäßig eingerichtet — teure Möbel, exquisite Kunstgegenstände und geschmackvolle Teppiche. Nirgends ein Staubkörnchen. Nirgends ein Buch.
Erlendur lebte auf, als sich herausstellte, dass sich Elínborgs Mann Teddi mit der Automarke Ford Falcon auskannte. Der Automechaniker Teddi liebte die Köchin Elínborg und war entsprechend wohlgenährt. Bei ihm ging die Liebe durch den Magen, und so ging es den meisten Menschen, die mit Elínborg in Berührung kamen. Teddis Vater hatte einmal einen Falcon besessen und war begeistert gewesen. Er sagte Erlendur, dass das Auto hervorragende Fahreigenschaften gehabt hätte, vorne hatte es eine durchgehende Bank und keine Schalensitze gegeben, ein Automatik-Wagen mit elfenbeinfarbenem Steuerrad. Ein Pkw, der im Vergleich zu anderen amerikanischen Autos aus den sechziger Jahren relativ klein gewesen war.
»Aber er eignete sich nicht besonders für die isländischen Straßen, so wie sie früher waren«, erklärte Teddi und schnorrte eine Zigarette von Erlendur. »Er war nicht stabil genug gebaut. Einmal sind wir echt in Schwierigkeiten geraten, als wir einen Ausflug aufs Land gemacht haben. Wir hatten einen Achsenbruch. Mein Vater musste das Auto mit einem Lastwagen in die Stadt transportieren lassen.
Viel Power hatten die nicht, diese Autos, aber es war ein richtig netter Wagen für eine kleine Familie.«
»Hatte er irgendwelche besonderen Radkappen?«, fragte Erlendur und gab Teddi Feuer.
»Die Radkappen bei den amerikanischen Autos waren meist ziemlich was fürs Auge, und das war auch beim Falcon der Fall. Aber ansonsten eigentlich nichts Besonderes. Beim Chevrolet allerdings …«
Für kleine Familien, dachte Erlendur und hörte gar nicht mehr hin, was Teddi sagte. Der Handelsreisende, der spurlos verschwand, hatte ein nettes Auto für die kleine Familie gekauft, die er mit der jungen Frau aus dem Milchladen gründen wollte. Das war für die Zukunftsperspektive. Als er verschwand, fehlte eine Radkappe an seinem Auto. Erlendur hatte mit Elínborg und Sigurður Óli darüber geredet, wie sich Radkappen von der Felge lösten. Vielleicht hatte er eine zu enge Kurve genommen und war an eine Bordsteinkante gekommen. Oder vielleicht war die Radkappe einfach vor dem Busbahnhof geklaut worden.
»… aber dann kam die Ölkrise in den siebziger Jahren, und deswegen mussten sparsamere Motoren entwickelt werden.« Teddi redete unbeirrt weiter und trank einen Schluck Bier.
Erlendur nickte abwesend und drückte die Zigarette aus. Er sah, wie Sigurður Óli die Fenster und die Tür zur Terrasse aufriss, um zu lüften. Erlendur versuchte, das Rauchen einzuschränken, aber rauchte doch immer mehr, als er sich vornahm. Er überlegte, ob er nicht einfach aufhören sollte, sich Gedanken wegen der Zigaretten zu machen. Bislang hatte es jedenfalls nichts gebracht. Er dachte an Eva Lind, die noch nichts von sich hatte hören lassen, seit sie aus der Therapie entlassen worden war. Sie machte sich keine Gedanken über ihre Gesundheit. Er betrachtete die Terrasse von Bergþóras und Sigurður Ólis kleinem Reihenhaus. Elínborg war immer noch am Grill beschäftigt, und er glaubte zu sehen, dass sie vor sich hinsummte. Als sein Blick in die Küche wanderte, sah er, wie Sigurður Óli im Vorbeigehen Bergþóra einen Kuss auf den Nacken drückte.
Neben ihm schlürfte Teddi sein Bier. Vielleicht war das hier das Lebensglück. Vielleicht war alles ganz einfach, wenn die Sonne an einem schönen Sommertag schien.
Statt abends zu sich nach Hause zu fahren, nahm er Kurs aus der Stadt heraus, am neuen Viertel Grafarholt vorbei in Richtung Mosfellsbær. Er bog in eine Seitenstraße ein, die zu einem ansehnlichen Bauernhof führte, von da aus nahm er einen schmalen Feldweg zum Meer hinunter, bis er sich auf dem ehemaligen Land von Haraldur und dessen Bruder befand. Von Haraldur, der sich Mühe gab, so unleidlich wie nur möglich zu sein, hatte er nur begrenzte Informationen erhalten. Er war nicht auf die Frage eingegangen, ob die alten Hofgebäude noch stünden, und behauptete, nichts darüber zu wissen. Er hatte erklärt, dass sein Bruder Jóhann einen Herzschlag erlitten hatte und eines plötzlichen Todes gestorben war. »Nicht alle haben so viel Glück wie Jói«, hatte er hinzugefügt.
Die Hofgebäude waren noch vorhanden. Auf dem ehemaligen Land der beiden Brüder befanden sich einige Sommerhäuser. Nach der Höhe der Bäume zu schließen, von denen sie umgeben waren, standen sie schon länger dort.
Es gab aber auch einige neuere. Etwas weiter entfernt sah Erlendur einen Golfplatz. Obwohl der Abend schon vorgerückt war, schlugen immer noch ein paar Gestalten nach den Bällen.
Die Hofgebäude, ein kleines Wohnhaus und etwas weiter unterhalb die Stallungen, waren völlig verfallen. Das Haus war von außen mit Wellblech verkleidet. Das Blech war irgendwann einmal gelb angestrichen worden, aber die Farbe war inzwischen fast völlig abgeblättert. Einige der rostigen Platten saßen noch fest, aber teilweise hatten sie vor Wind und Wetter kapituliert und waren abgefallen.
Die Dachplatten waren wahrscheinlich vom Sturm aufs Meer hinausgetragen worden. Sämtliche Fensterscheiben waren zerbrochen, und die Haustür war nicht mehr vorhanden. Nicht weit entfernt befanden sich die Relikte eines kleinen Geräteschuppens, der an den Kuhstall und die Scheune angebaut war.
Er blieb vor dem verlassenen Hof stehen. Die Szenerie erinnerte ihn an den Hof seiner Jugend.
Er betrat das Haus und kam zunächst in eine Diele und einen engen Korridor. Rechter Hand waren Küche und Waschküche und linker Hand eine Vorratskammer. In der Küche stand noch ein vorsintflutlicher Rafha-Herd mit drei Platten und einem kleinen, völlig verrosteten Backofen. Der schmale Flur führte zu zwei kleineren Räumen und dem ehemaligen Wohnzimmer. Die Dielen knarrten laut in der Abendstille. Er wusste überhaupt nicht, wonach er suchte. Er wusste nicht, weshalb er hierher gefahren war.
Er ging zu den Stallungen hinunter, und seine Blicke schweiften an den Boxen im Kuhstall entlang. Die Scheune hatte einen gestampften Lehmboden. Als er um die Ecke bog, konnte er sehen, wo früher der Misthaufen hinter dem Kuhstall gewesen war. Der Geräteschuppen hatte noch eine Tür, aber als er nach ihr griff, ging sie aus den Angeln, fiel auf den Boden und zersplitterte geräuschvoll.
An den Wänden des Schuppens befanden sich kleine Regale mit Fächern für Schrauben und Muttern. Die Nägel an einer Wand gaben zu erkennen, dass hier früher das Werkzeug gehangen hatte, das aber nicht mehr da war. Haraldur hatte bestimmt alles, was noch genutzt werden konnte, mitgenommen, als er den Hof verließ und nach Reykjavik zog. Der Arbeitstisch war zusammengebrochen und stützte sich schräg gegen eine Wand. Ein altes Zuggeschirr für einen Traktor gammelte zuoberst auf einem Schrotthaufen vor sich hin, und in einer Ecke lag die Hinterradfelge eines Traktors.