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»Wir wissen jetzt, dass er zu euch gekommen ist«, sagte Erlendur.

»Pah. Verdammter Blödsinn. Wie wollt ihr so was wissen?«

»Wir haben sein Auto gründlich untersucht«, sagte Erlendur. Er hatte eigentlich nichts in der Hand, fand es aber die Mühe wert, dem Alten etwas zuzusetzen und ihn glauben zu machen, dass es Indizien gäbe. »Seinerzeit wurde das Auto nämlich nicht sehr genau unter die Lupe genommen, und seitdem hat sich die gesamte Technik revolutioniert.« Erlendur versuchte zu bluffen. Haraldur ließ den Kopf hängen und starrte auf den Boden.

»Auf diese Weise haben wir neue Indizien gefunden«, fuhr Erlendur fort. »Der Fall wurde damals nicht als kriminelles Delikt angesehen und nicht entsprechend bearbeitet. Das wird bei Vermisstenmeldungen im seltensten Fall gemacht, weil es hierzulande gar nichts Besonderes ist, wenn Leute verschwinden. Vielleicht wegen der Wetterverhältnisse. Vielleicht liegt es auch daran, dass man in Island so etwas gern auf die leichte Schulter nimmt. Vielleicht genügt uns ja die simple Erklärung, dass die Selbstmordrate hier erschreckend hoch ist.«

»Ich habe keine Ahnung, wovon du redest«, entgegnete Haraldur.

»Er hieß Leopold. Kannst du dich daran erinnern? Er war Verkäufer, und du hattest ihm in Aussicht gestellt, einen neuen Traktor bei ihm zu kaufen. Und an dem bewussten Tag hatte er nichts anderes mehr vor, als zu euch hinauszufahren. Ich glaube, das hat er gemacht.«

»Irgendein Recht muss man doch haben«, sagte Haraldur.

»Du kannst doch nicht einfach hier aufkreuzen, wann es dir passt.«

»Leopold ist zu euch auf den Hof gekommen«, sagte Erlendur.

»Quatsch.«

»Er kam zu euch Brüdern, und irgendwas ist passiert. Ich weiß nicht, was das war. Er hat vielleicht etwas gesehen, was er nicht hätte sehen dürfen. Ihr habt euch mit ihm angelegt wegen etwas, das er gesagt hat. Vielleicht war er zu penetrant. Er wollte an diesem Tag den Kaufvertrag unter Dach und Fach bringen.«

»Ich weiß nicht, wovon du redest«, beharrte Haraldur. »Er ist nie zu uns gekommen. Er hatte es vor, aber er ist nicht erschienen.«

»Was glaubst du wohl, wie lange du noch zu leben hast?«, fragte Erlendur.

»Einen Scheißdreck glaube ich. Du hast überhaupt keine Beweise, sonst hättest du mir sie schon längst unter die Nase gerieben. Aber du hast gar nichts in der Hand. Du kannst nämlich nichts in der Hand haben, weil er nie zu uns gekommen ist.«

»Willst du mir nicht einfach sagen, was passiert ist?«, sagte Erlendur. »Du wirst es nicht mehr sehr lange machen. Du würdest dich besser fühlen. Selbst wenn er zu euch gekommen ist, muss das nicht bedeuten, dass ihr ihn umgebracht habt. Davon habe ich nichts gesagt. Er kann genauso gut wieder weggefahren sein und sich dann aus dem Staub gemacht haben.«

Haraldur hob den Kopf, und die Augen unter den buschigen Brauen waren starr auf ihn gerichtet.

»Mach, dass du wegkommst«, sagte er. »Ich will dich nie wieder hier sehen.«

»Ihr hattet Kühe da auf dem Hof, nicht wahr?«

»Raus mit dir!«

»Ich bin hingefahren und habe den Kuhstall und den Misthaufen dahinter gesehen. Du hast mir gesagt, ihr hättet zehn Kühe gehabt.«

»Was soll denn das?«, sagte Haraldur. »Wir waren Bauern, willst du mich etwa deswegen einbuchten?« Erlendur stand auf. Er ließ sich von Haraldur irritieren und provozieren, obwohl er wusste, dass er über den Dingen stehen sollte. Er hätte einfach gehen und mit der Ermittlung weitermachen sollen, anstatt sich über ihn zu ärgern und sich von ihm reizen zu lassen. Haraldur war nichts anderes als ein unangenehmer alter Griesgram. Erlendur ließ sich aber nicht lange von solchen Gedanken beeinflussen.

»Wir haben Kuhscheiße im Auto gefunden«, sagte er.

»Deswegen musste ich an deine Kühe denken, Skjalda oder Huppa oder wie du sie genannt hast. Ich glaube nicht, dass der Dreck von Leopold ins Auto getragen wurde. Es ist natürlich eine Möglichkeit, dass er mit Kuhscheiße an den Schuhen eingestiegen und weggefahren ist. Ich bin aber eher der Ansicht, dass jemand anderes das gemacht hat. Jemand, der auf dem Hof lebte, jemand, der in einen Streit mit ihm geriet. Jemand, der über ihn herfiel und sich dann ins Auto setzte, um es zum Busbahnhof zu bringen.«

»Lass mich in Ruhe. Ich weiß nichts von Kuhscheiße.«

»Ganz bestimmt nicht?«

»Nein. Hau ab, und bleib mir vom Leib.«

Erlendur sah auf Haraldur herunter.

»Da ist nur ein Haken an meiner Theorie«, fuhr er fort.

»Pah«, ließ Haraldur sich vernehmen.

»Und zwar die Sache mit dem Busbahnhof.«

»Was damit?«

»Da sind zwei Dinge, die nicht zusammengehen.«

»Es interessiert mich nicht, was du da quasselst. Hau ab!«

»Das ist nämlich viel zu genial eingefädelt.«

»Pah.«

»Und dazu bist du viel zu blöd.«

Die Firma, bei der Leopold bis zu seinem Verschwinden gearbeitet hatte, existierte immer noch, war aber jetzt Teil eines großen Autoimportunternehmens. Der ehemalige Besitzer hatte die Firma vor vielen Jahren verkauft. Sein Sohn hatte Erlendur zu verstehen gegeben, dass er sich lange damit abgestrampelt hatte, den Betrieb am Laufen zu halten, aber es sei so hoffnungslos gewesen, dass er ihn schließlich verkaufte, bevor es zum Bankrott kam. Der Sohn war beim Verkauf mit in die neue Firma gewechselt und hatte nun die Abteilung für Bau- und Landmaschinen unter sich. Diese Veränderungen waren vor mehr als zehn Jahren eingetreten. Ein paar der alten Mitarbeiter waren wie er übernommen worden, aber von denen arbeitete niemand mehr in der Firma. Erlendur erfuhr den Namen des früheren Eigentümers — und eines Mannes, der über den insgesamt längsten Zeitraum in der Firma tätig gewesen war, eben auch zu der Zeit, als Leopold dort arbeitete.

Als Erlendur wieder in seinem Büro war, suchte er im Telefonbuch die Nummern heraus. Er versuchte es bei dem ehemaligen Verkäufer, aber niemand ging an den Apparat.

Das Gleiche war der Fall, als er beim früheren Besitzer der Firma anrief.

Erlendur nahm noch einmal den Hörer auf. Er schaute aus dem Fenster und sah den Sommer auf den Straßen von Reykjavik. Er wusste nicht, warum ihn der Fall des Falcon-Manns nicht losließ. Der Mann hatte bestimmt Selbstmord begangen. Es gab kaum Hinweise, die in eine andere Richtung deuteten, und trotzdem hatte er bereits den Hörer in der Hand und war im Begriff, die Genehmigung zu beantragen, das ehemalige Land der beiden Brüder in einer groß angelegten Suchaktion zu durchkämmen, zu der mindestens fünfzig Polizisten und Angehörige von Rettungsmannschaften benötigt wurden, was wiederum ein gefundenes Fressen für die Medien sein würde.

Aber es war nicht auszuschließen, dass der Vertreter dieser Lothar war, und es war denkbar, dass er die ganzen Jahre auf dem Grund des Sees gelegen hatte. Vielleicht handelte es sich tatsächlich um ein und denselben Mann? Langsam legte er den Hörer wieder auf die Gabel. War er so besessen davon, das spurlose Verschwinden von Menschen aufzuklären, dass er nun weit über das Ziel hinausschoss? In seinem Innersten wusste er, dass es vernünftiger wäre, den Fall Leopold in die Schublade zu packen und da vergammeln zu lassen, genau wie die anderen Vermisstenmeldungen, für die es keine plausible Erklärung gab.

Das Telefon auf seinem Schreibtisch klingelte, während sich Erlendur diese Gedanken durch den Kopf gehen ließ.

Es war Patrick Quinn aus der amerikanischen Botschaft.

Sie tauschten ein paar Höflichkeiten aus, aber dann kam der Botschaftsangehörige zur Sache.

»Ihre Leute haben von uns die Informationen erhalten, die wir damals zur Verfügung stellen konnten«, erklärte Quinn. »Jetzt haben wir aber die Erlaubnis erhalten, diesbezüglich noch etwas weiter zu gehen.«