Während Benedikt sich über Dänemark ausließ, nickte Erlendur an den Stellen, wo es angebracht zu sein schien.
Benedikt war Witwer und schien mit seinem Leben zufrieden zu sein. Er war klein und gedrungen, hatte ein rotes, rundliches und unschuldiges Gesicht und kurze, dickliche Finger. Er lebte allein in einem gepflegten kleinen Einfamilienhaus. Erlendur hatte vor der Garage einen funkelnagelneuen Mercedes-Geländewagen bemerkt. Wahrscheinlich war der ehemalige Firmeninhaber vorausschauend gewesen und hatte für seine alten Tage etwas auf die hohe Kante gelegt.
»Ich habe immer gewusst, dass ich irgendwann noch einmal Fragen über diesen Mann beantworten muss«, kam Benedikt schließlich zur Sache. Sein Vorrat an höflichem Geschwätz war erschöpft.
»Ja, es geht um diesen Leopold«, sagte Erlendur.
»Das Ganze war ziemlich rätselhaft. Wie schon gesagt, es musste irgendwann mal dazu kommen, dass sich jemand darüber Gedanken macht. Wahrscheinlich hätte ich euch schon damals die Wahrheit sagen sollen, aber …«
»Die Wahrheit?«
»Ja«, fuhr Benedikt fort. »Darf ich vielleicht erfahren, weshalb jetzt wieder nach diesem Mann gefragt wird? Mein Sohn hat mir erzählt, dass du dich auch schon bei ihm erkundigt hast. Am Telefon hast du nicht viel sagen wollen. Warum habt ihr jetzt auf einmal wieder so ein Interesse an ihm? Ich dachte, der Fall wäre damals untersucht und abgeschlossen worden. Das hatte ich zumindest gehofft.« Erlendur berichtete ihm von dem Skelettfund im Kleifarvatn, und dass die Polizei in diesem Zusammenhang einige Fälle von vermissten Personen aufrollte.
»Hast du ihn vielleicht auch privat gekannt?«, fragte Erlendur.
»Privat? Nein, das kann ich nicht behaupten. Er hat nicht viel verkauft in der Zeit, in der er bei uns gearbeitet hat.
Wenn ich mich richtig erinnere, ist er sehr häufig auf dem Land herumgereist. Alle meine Verkäufer waren in ganz Island unterwegs, wir verkauften Landmaschinen und Bagger, aber niemand ist so viel wie Leopold durch die Gegend kutschiert und hat so wenig verkauft wie er.«
»Er war also kein Gewinn für deine Firma?«, fragte Erlendur.
»Ich wollte ihn zuerst überhaupt nicht einstellen«, sagte Benedikt.
»Was?«
»Ja. Nein, was ich meine, ist, dass sie mich eigentlich dazu gezwungen haben. Ich musste einem verflixt guten Mann kündigen, um ihn einzustellen. Es war ja keine so große Firma.«
»Moment mal, würdest du das bitte noch einmal wiederholen. Wer hat dich dazu gezwungen, ihn einzustellen?«
»Sie haben gesagt, ich dürfte niemandem davon erzählen, deswegen … Ich weiß nicht, ob ich das jetzt ans Tageslicht bringen soll. Aber ich habe mich bei dieser Geheimniskrämerei die ganze Zeit über nicht wohl gefühlt. Ich bin nicht für Geheimniskrämerei.«
»Inzwischen sind ja einige Jahrzehnte ins Land gegangen«, sagte Erlendur. »Jetzt kann es doch wohl kaum noch jemandem schaden.«
»Nein, wahrscheinlich nicht. Sie haben mir damit gedroht, jemand anderem die Vertretung zu übergeben. Das haben sie mir eiskalt angedroht, falls ich diesen Mann nicht einstellen würde. Es kam mir so vor, als sei ich der Mafia in die Klauen geraten.«
»Wer hat dich gezwungen, Leopold einzustellen?«
»Die Hersteller in Deutschland, ich meine in der DDR damals. Die hatten Traktoren, die gut und wesentlich billiger als die amerikanischen waren. Und Bagger und Planierraupen. Wir haben ziemlich viele von denen verkauft, obwohl diese ostdeutschen Marken natürlich nicht so viel hermachten wie Ferguson oder Caterpillar.«
»Konnten sie dir wirklich vorschreiben, wen du einstellst?«
»Sie haben mir gedroht«, sagte Benedikt. »Was hätte ich tun sollen? Ich konnte gar nichts anderes machen, als den Mann einzustellen.«
»Hast du eine Erklärung dafür bekommen, weswegen du diesen Mann einstellen solltest?«
»Nein, keine. Keine einzige Erklärung. Ich habe ihn eingestellt, aber ich habe ihn eigentlich nie richtig kennen gelernt. Sie haben gesagt, es sei nur vorübergehend. Und, wie gesagt, er war nicht so oft in der Stadt, sondern hat meist das ganze Land bereist.«
»Vorübergehend?«
»Es hieß, dass er nicht lange bei mir bleiben würde. Und sie haben bestimmte Bedingungen gestellt. Er durfte auf keiner Gehaltsliste erscheinen. Er war freiberuflich für mich tätig, und die Provision musste ich ihm schwarz bezahlen, was gar nicht so einfach war. Mein Steuerberater hat mir dauernd vorgehalten, dass es nicht in Ordnung sei. Es ging allerdings nicht um große Summen, er hat bestimmt nicht davon leben können, was ich ihm gezahlt habe. Er muss von irgendwo anders her Einkünfte bezogen haben.«
»Was glaubst du, was bei diesen Leuten dahinter gesteckt hat?«
»Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung. Und dann ist er auf einmal verschwunden, und seitdem habe ich nichts mehr von Leopold gehört, außer natürlich, als ihr mich dann über ihn ausgefragt habt.«
»Du hast also damals nichts von dem, was du mir jetzt gesagt hast, erwähnt?«
»Ich habe niemandem etwas davon gesagt. Sie haben mir gedroht. Mein Auskommen hing von diesem Unternehmen ab, und ich musste an meine Angestellten denken.
Obwohl die Firma nicht sehr groß war, haben wir ganz gutes Geld gemacht, als sie anfingen, die Kraftwerke bei Búrfell und Sigalda zu bauen. Da fehlten Maschinen. An den Kraftwerken haben wir uns eine goldene Nase verdient. Das war genau zu dieser Zeit. Die Firma vergrößerte sich, und ich hatte genügend anderes zu tun.«
»Und dann hast du einfach versucht, das Ganze zu verdrängen?«
»Genau. Ich war immer der Meinung, dass mich das nichts anginge. Weil der Hersteller darauf bestand, dass ich diesen Mann einstellte, habe ich es getan, aber persönlich ging es mich nicht das Geringste an.«
»Hast du dir damals Gedanken darüber gemacht, was aus ihm geworden sein könnte?«
»Nein. Er hatte diesen Termin in Mosfellssveit, ließ sich dort aber nicht blicken, soweit man weiß. Vielleicht hatte er es einfach aufgegeben oder ihn auf den nächsten Tag verschoben. Das ist denkbar. Vielleicht hatte er etwas Dringenderes zu erledigen.«
»Du glaubst nicht, dass der Bauer, mit dem er verabredet war, gelogen haben könnte?«
»Da bin ich überfragt.«
»Wer hat sich wegen der Anstellung von Leopold mit dir in Verbindung gesetzt? Er selber?«
»Nein, nicht er selber. Da hat sich jemand aus dieser DDR-Botschaft an der Ægisíða an mich gewandt. Eigentlich war es eine kleine Handelsvertretung und keine richtige Botschaft, die sie damals hier in Island unterhielten. Später haben sie sich dann vergrößert. Wir haben uns übrigens in Leipzig getroffen.«
»In Leipzig?«
»Wir sind einmal im Jahr zur Leipziger Messe gefahren. Dort wurden alle möglichen Industriemessen veranstaltet, und von hier aus fuhr immer eine ziemlich große Delegation hin. Ich meine, von den Firmen, die Geschäftsbeziehungen zu den Betrieben in der DDR unterhielten.«
»Wer war der Mann, der damals mit dir gesprochen hat?«
»Er hat sich nie vorgestellt.«
»Kommt dir der Name Lothar bekannt vor? Lothar Weiser? Er war Deutscher.«
»Nie gehört. Lothar Weiser? Der Name ist mir noch nie untergekommen.«
»Kannst du mir diesen Mann aus der Botschaft beschreiben?«
»Das ist alles so lange her. Er war ziemlich stämmig und gar nicht mal unsympathisch, würde ich sagen, wenn er mich nicht dazu gezwungen hätte, diesen Leopold einzustellen.«
»Findest du nicht, dass du seinerzeit die Polizei darüber hättest informieren müssen? Siehst du nicht, dass das ein anderes Licht auf den Fall geworfen hätte?« Benedikt zögerte, dann zuckte er mit den Achseln.
»Ich habe versucht, weder mich noch meine Firma damit zu belasten. Und ich fand, dass mich das wirklich nichts anging. Dieser Mann hatte nichts mit mir zu tun, und er hatte im Grunde genommen genauso wenig mit der Firma zu tun. Ich wurde unter Druck gesetzt. Was sollte ich tun?«