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»Kannten Sie jemanden, der ihn gerne aus dem Weg geräumt hätte?«

»Nein.«

»Was ist mit diesem russischen Apparat, woher könnte der stammen?«

»Aus jeder x-beliebigen kommunistischen Botschaft in Reykjavik. Wir haben alle russische Geräte verwendet. Dort wurden die meisten davon hergestellt, und alle Botschaften hatten solche Geräte aus der Sowjetunion. Sendegeräte, Aufnahmegeräte, Abhörgeräte. Sogar Radios und diese hoffnungslosen russischen Fernsehapparate. Die haben uns mit diesem ganzen Mist bombardiert, und wir waren gezwungen, die Sachen zu kaufen.«

»Soweit wir sehen können, haben wir ein Abhörgerät gefunden, das dazu verwendet worden ist, die amerikanischen Streitkräfte in Keflavík zu überwachen.«

»Das war im Grunde genommen das Einzige, was gemacht wurde«, sagte Miroslav. »Und dann haben wir noch andere Botschaften abgehört. Außerdem hatten die Amerikaner natürlich im ganzen Land Radarstationen. Aber darüber will ich nicht sprechen. Quinn hat mir gesagt, dass Sie etwas über das Verschwinden von Lothar Weiser wissen wollen.«

Erlendur reichte Sigurður Óli das Blatt, und er las die Frage vor, die Erlendur eingefallen war.

»Wissen Sie, weshalb Weiser nach Island geschickt worden war?«

»Weshalb?«, sagte Miroslav.

»Uns wurde gesagt, dass Island für diplomatische Kreise am Ende der Welt liegt und beim diplomatischen Korps nicht sonderlich beliebt ist«, sagte Sigurður Óli.

»Für uns, die wir aus der Tschechoslowakei kamen, war es ganz okay«, sagte Miroslav. »Mir ist nicht bekannt, dass Lothar Weiser sich etwas hat zuschulden kommen lassen und womöglich deswegen nach Island geschickt wurde, falls Sie darauf anspielen. Soweit ich weiß, ist er einmal aus Norwegen ausgewiesen worden. Die Norweger fanden heraus, wer er war, als er versuchte, einen hoch gestellten Beamten im Außenministerium zur Zusammenarbeit zu bewegen.«

»Was wissen Sie über Lothar Weisers Verschwinden?«

»Das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe, war bei einem Empfang in der sowjetischen Botschaft. Kurze Zeit später hieß es dann, dass er spurlos verschwunden wäre. Das war im Jahr 1968. Es waren schlimme Zeiten damals wegen dem, was in Prag passierte, und in dem Zusammenhang hat sich Weiser auf diesem Empfang über den Ungarnaufstand 1956 ausgelassen. Ich hörte nur ein paar Gesprächsfetzen, aber ich kann mich noch daran erinnern, denn das, was er sagte, war irgendwie typisch für ihn.«

»Und was hat er gesagt?«, fragte Sigurður Óli.

»Er sprach über irgendwelche Ungarn, die er in Leipzig kannte«, sagte Miroslav. »Vor allem über eine Frau, die damals viel mit isländischen Studenten in Leipzig zusammen war.«

»Erinnern Sie sich daran, was er genau gesagt hat?«

»Er sagte, dass er wüsste, wie man mit diesen politischen Abweichlern umspringen müsste, diesen Dissidenten in der Tschechoslowakei. Am besten sollte man sie sich alle, wie sie da waren, einfach schnappen und in den Gulag befördern. Er war angetrunken, als er das sagte, und worüber er genau gesprochen hat, weiß ich nicht, aber so hat er sich ausgedrückt.«

»Und kurz darauf haben Sie gehört, dass er verschwunden war?«

»Er hat sich bestimmt was zuschulden kommen lassen«, sagte Miroslav. »Davon gingen die Leute aus. Es ging das Gerücht, dass sie ihn selber liquidiert hätten, die Ostdeutschen, um ihn anschließend per Kurier in die DDR zu schicken. Das hätte durchaus der Fall sein können. Diplomatenpost unterlag keinerlei Kontrollen. Wir konnten damals auf diese Weise alles einführen oder ausführen, was wir wollten, es waren unglaubliche Dinge darunter.«

»Oder sie haben ihn im Wasser versenkt«, sagte Sigurður Óli.

»Ich weiß nur das eine, nämlich dass er komplett von der Bildfläche verschwand und man nie wieder etwas von ihm gehört hat.«

»Wissen Sie, was er sich möglicherweise hat zuschulden kommen lassen?«

»Wir glaubten damals, dass er eine Kehrtwendung gemacht hätte.«

»Eine Kehrtwendung?«

»Sich von den anderen hat kaufen lassen. Das passierte nicht selten. Schauen Sie mich an. Aber in der DDR verfuhr man nicht so gnädig mit solchen Überläufern wie bei uns in der Tschechoslowakei.«

»Sie meinen, dass er Informationen an …«

»Ist ganz bestimmt kein Geld für mich drin?«, unterbrach Miroslav Sigurður Óli. Die Frauenstimme im Hintergrund war wieder da, und zwar durchdringender als zuvor.

»Tut mir Leid«, sagte Sigurður Óli.

Sie hörten, wie Miroslav etwas in seiner Muttersprache sagte, um dann auf Englisch fortzufahren: »Ich habe genug gesagt. Versuchen Sie nicht noch einmal, hier anzurufen.«

Dann knallte er den Hörer auf. Sie schauten sich an. Erlendur streckte die Hand nach dem Aufnahmegerät aus und schaltete es ab.

»Wie konntest du dich nur so blöde anstellen«, sagte er zu Sigurður Óli. »Konntest du ihm nicht etwas vorlügen? Ihm sagen, dass er zehntausend Kronen kriegen würde, oder so was. Warum hast du nicht versucht, ihn noch etwas länger in der Leitung zu behalten?«

»Reg dich ab«, sagte Sigurður Óli. »Er wollte nichts mehr sagen. Er wollte nicht mehr mit uns reden. Das habt ihr doch gehört.«

»Bringt uns das hier weiter in der Frage, wer da im See gelegen hat?«, fragte Elínborg.

»Ich weiß es nicht«, sagte Erlendur. »Ein so genannter Wirtschaftsreferent aus der DDR und ein russisches Spionagegerät. Es könnte passen.«

»Meiner Meinung nach liegt es klar auf der Hand«, sagt Elínborg. »Lothar und Leopold sind ein und derselbe Mann, und seine Leiche wurde im Kleifarvatn versenkt. Er hat sich was zuschulden kommen lassen, und sie mussten ihn loswerden.«

»Und die Frau im Milchgeschäft?«, fragte Sigurður Óli.

»Sie hat keine Ahnung gehabt, was los war«, sagte Elínborg. »Sie weiß nichts über diesen Mann, außer dass er nett zu ihr gewesen ist.«

»Vielleicht war sie ein Teil seiner Camouflage hier«, sagte Erlendur.

»Vielleicht«, sagte Elínborg.

»Also, ich finde, dass die Tatsache, dass das Gerät kaputt war, als die Leiche damit versenkt wurde, etwas zu bedeuten hat«, gab Sigurður Óli zu bedenken. »Als hätte es nicht mehr verwendet werden sollen und wäre mutwillig zerstört worden.«

»Die Frage ist, ob das Gerät tatsächlich aus einer dieser Botschaften stammt. Oder ob es nicht irgendwie auf anderen Wegen ins Land gekommen sein kann«, sagte Elínborg. »Wer in aller Welt würde denn ein russisches Abhörgerät einschmuggeln wollen?«, fragte Sigurður Óli. Sie schwiegen, und alle drei dachten so ungefähr das Gleiche. Dieser Fall war so verzwickt, dass sie sich absolut keinen Reim darauf machen konnten. Sie hatten es gewöhnlich mit simplen, isländischen Verbrechen zu tun, bei denen keine rätselhaften Apparate auftauchten oder Wirtschaftsreferenten, die noch nicht einmal welche waren, wo weder ausländische Botschaften eine Rolle spielten, noch der Kalte Krieg, sondern nur die isländische Realität, unbedeutend, ereignislos, alltäglich und so unendlich weit entfernt von den Konfliktschauplätzen dieser Welt.

»Gibt es denn wirklich gar keinen isländischen Aspekt bei dieser Sache?«, fragte Erlendur schließlich, um irgendetwas zu sagen.

»Genau«, sagte Elínborg. »Was ist mit diesen Studenten? Sollten wir nicht versuchen, sie ausfindig zu machen und herauszufinden, ob einer von denen sich an diesen Lothar Weiser erinnern kann? Dem sind wir noch gar nicht nachgegangen.«

Am nächsten Tag wurde Sigurður Óli aus dem isländischen Kultusministerium eine Liste mit den Namen derjenigen zugestellt, die ein Studium in der DDR absolviert hatten, und zwar seit Ende des Zweiten Weltkriegs bis etwa 1970. Sie kamen nur langsam voran; sie begannen mit denjenigen, die Ende der sechziger Jahre dort gewesen waren, und arbeiteten sich von da aus zeitlich zurück. Es gab keinen Zeitdruck, und sie konnten sich parallel dazu mit anderen Dingen befassen, die unterdessen auf ihren Schreibtischen landeten, größtenteils Einbrüche und Diebstähle. Sie wussten zwar, dass Lothar Weiser in den fünfziger Jahren an der Leipziger Universität immatrikuliert gewesen war, aber es war durchaus denkbar, dass er sich auch noch in späteren Jahren dort herumgetrieben hatte. Sie versuchten, die Suche so effektiv wie möglich zu gestalten, deswegen tasteten sie sich von dem Zeitpunkt an, als er in Island spurlos verschwunden war, Schritt für Schritt in die Vergangenheit zurück.