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»Ich glaube, das ist sehr vernünftig«, nickte er.

»Also schön«, sagte sie und erhob sich. Erlendur stand ebenfalls auf. Sie sagte irgendetwas darüber, dass sie sich mit ihren Söhnen treffen musste, aber er hörte nur mit halbem Ohr hin. Er dachte an etwas anderes. Sie ging zur Tür, und er half ihr in den Mantel. Sie spürte, dass er unschlüssig war. Sie öffnete die Wohnungstür und fragte, ob alles in Ordnung sei. Erlendur blickte sie an. »Geh nicht«, sagte er. Sie hielt in der Tür inne. »Bleib bei mir«, sagte er. Valgerður zögerte. »Bist du sicher?«

»Ja«, sagte er, »geh nicht.«

Sie stand unbeweglich da und schaute ihn lange an. Er trat zu ihr, führte sie wieder zurück in den Flur, schloss die Tür und begann, ihr den Mantel auszuziehen, ohne dass sie protestierte.

Sie liebten sich ohne Hast und in völliger Harmonie. Beide waren anfangs etwas zurückhaltend und unsicher, aber das legte sich. Sie sagte ihm, er sei der zweite Mann in ihrem Leben, mit dem sie geschlafen hatte.

Sie lagen im Bett, und er blickte zur Decke, während er ihr erzählte, dass er manchmal in die Ostfjorde fuhr, die Heimat seiner Kindheit, und sich in ihrem früheren Wohnhaus einquartierte, das nur noch aus nackten Wänden und einem halb eingefallenen Dach bestand. Nur wenig deutete darauf hin, dass seine Familie dort gelebt hatte. Trotzdem gab es noch Reste von entschwundenem Leben. Ein Stück kariertes Linoleum, an das Muster konnte er sich erinnern. Kaputte Schränke in der Küche. Er sagte ihr, es sei gut, dorthin zu kommen und sich mit seinen Erinnerungen zur Ruhe zu legen und wieder einen Ort in der Welt zu finden, der voller Licht und Stille war.

Valgerður drückte seine Hand.

Dann begann er, ihr die tragische Geschichte eines jungen Mädchens zu erzählen, das sein Zuhause und seine Mutter verließ, ohne genau zu wissen, wonach es suchte. Diese junge Frau hatte es nicht einfach gehabt, sie war willensschwach und hatte Angst vor sich selbst und ihrem Platz in der Welt, was vielleicht verständlich war, weil sie nie das bekommen hatte, wonach sie sich am meisten sehnte. Sie hatte das Gefühl, dass etwas in ihrem Leben fehlte. Es war, als fühlte sie sich um etwas betrogen. Sie torkelte in einem merkwürdigen Selbstzerstörungstrieb vorwärts und verstrickte sich darin mehr und mehr, bis sie am Ende in den eigenen Vernichtungsmechanismen festsaß. Als sie gefunden wurde, erhielt sie wieder ein Zuhause und wurde gesund gepflegt, aber kaum hatte sie ausreichend Kraft gesammelt, verschwand sie wieder ohne Vorwarnung. Sie ließ sich erneut treiben und suchte manchmal Schutz bei ihrem Vater. Er setzte sich nach besten Kräften für sie ein und versuchte, sie vor den entsetzlichen Schicksalsschlägen des Lebens zu schützen, aber sie hörte nie auf ihn. Zerstörung schien ihr vorbestimmt zu sein.

Valgerður sah ihn an.

»Keiner weiß, wo sie jetzt ist. Sie ist noch am Leben, weil ich bestimmt erfahren hätte, wenn ihr etwas passiert wäre. Ich warte auf eine Nachricht. Ich habe versucht, ihr zu helfen, aber ich bin mir nicht mehr sicher, ob ihr überhaupt irgendjemand helfen kann.«

»Sei dir da nicht so sicher«, sagte Valgerður nach einigem Schweigen.

Auf dem Nachttisch klingelte das Telefon. Erlendur starrte hin und wollte nicht abnehmen, aber Valgerður meinte, so spät am Abend sei es bestimmt etwas Dringendes. Seiner Meinung nach konnte es nur Sigurður Óli mit irgendwelchem Quatsch sein, aber trotzdem streckte er seine Hand nach dem Hörer aus.

Erst nach geraumer Zeit begriff er, dass der Mann am anderen Ende der Leitung Haraldur war. Er rief aus dem Altersheim an. Er hatte sich heimlich in eins der Büros geschlichen und wollte Erlendur treffen.

»Was willst du von mir?«, fragte Erlendur.

»Ich will dir sagen, was damals geschehen ist«, sagte Haraldur.

»Warum?«, fragte Erlendur.

»Willst du es hören oder willst du nicht?«, entgegnete Haraldur. »Wir können es natürlich auch einfach vergessen.«

»Reg dich ab«, sagte Erlendur. »Ich komme morgen. Ist das in Ordnung?«

»Dann komm«, brummte Haraldur und legte auf.

Dreiunddreißig

Er steckte die Seiten, die er geschrieben hatte, in einen großen Umschlag, adressierte ihn und legte ihn auf seinen Schreibtisch. Er strich mit der Hand über den Umschlag und dachte an die Geschichte, die er enthielt. Er hatte sehr mit sich gerungen, ob er überhaupt von diesen Ereignissen berichten sollte, aber er war zu dem Schluss gekommen, dass es keine Alternative gab. Im Kleifarvatn waren die Knochen eines Mannes gefunden worden, und früher oder später würde die Spur zu ihm führen. Zwar wusste er, dass es im Grunde genommen so gut wie keine Verbindungen zwischen ihm und dem Mann im See gab und dass die Polizei es nicht leicht haben würde, die Wahrheit ohne seine Hilfe herauszufinden. Aber er wollte nicht lügen. Wenn er nichts hinterließ außer der Wahrheit, war es genug.

Der Besuch bei Hannes hatte ihm gut getan. Seit ihrem ersten Zusammentreffen hatte er ihn gemocht, selbst wenn sie nicht immer der gleichen Meinung gewesen waren.

Hannes hatte ihm geholfen. Er hatte ein neues Licht auf die Verbindung zwischen Emíl und Lothar geworfen und ihm gesagt, dass Emíl und Ilona einander kannten, bevor er nach Leipzig kam, auch wenn diese Verbindung sehr vage war. Es erklärte vielleicht besser, was sich später ereignet hatte. Oder vielleicht machte diese Verbindung die ganze Sache noch komplizierter. Er wusste immer noch nicht, was er davon halten sollte.

Er kam zu dem Ergebnis, dass er mit Emíl reden musste.

Er musste ihn nach Ilona fragen und nach Lothar und ihrer Geheimniskrämerei in Leipzig. Er war nicht sicher, ob Emíl ihm alle Antworten auf seine Fragen geben konnte, aber er musste aus ihm herausbekommen, was er wusste.

Er konnte auch nicht ewig da um diesen Schuppen herumschleichen, das war unter seiner Würde. Er wollte kein Versteckspiel mehr.

Und noch etwas anderes trieb ihn vorwärts. Etwas, über das er sich den Kopf zerbrochen hatte, seit er von Hannes zurückgekehrt war. Es hing mit seiner eigenen Verstrickung in den Gang der Dinge zusammen und damit, dass er so kindisch gewesen war, so leichtgläubig, ahnungslos und naiv. Er wusste, dass es auch andere Möglichkeiten gab, aber es konnte eben sein, dass es auch durch sein Zutun geschehen war. Er musste herausfinden, warum es so gelaufen war.

Deswegen stand er, einige Tage nachdem er Lothar gefolgt war und durch das Fenster in den Schuppen hineingespäht hatte, an einem Spätnachmittag wieder in der Bergstaðastræti. Er war direkt nach der Arbeit aufgebrochen, um zu Emíl zu gehen. Es wurde bereits dämmrig, und es war kalt. Er spürte das Herannahen des Winters.

Er betrat den Hinterhof, in dem sich der Schuppen befand.

Als er näher kam, sah er, dass er nicht verschlossen war, das Hängeschloss hing offen herunter. Er schob die Tür etwas auf und spähte hinein. Emíl saß über seinen Arbeitstisch gebeugt. Er trat vorsichtig ein. Eine nackte Glühbirne erhellte den Raum.

Emíl wurde seiner erst gewahr, als er direkt neben ihm stand. Sein Jackett hing über der Stuhllehne, und er glaubte zu erkennen, dass es zerrissen war, wie nach einer Prügelei. Emíl brummte wütend vor sich hin. Urplötzlich schien er seine Nähe zu spüren. Er blickte von den Karten auf, die vor ihm ausgebreitet waren, drehte langsam den Kopf und schaute ihn an. Er sah, dass Emíl einige Zeit brauchte, um zu begreifen, wer da vor ihm stand.

»Tómas«, stöhnte er dann. »Bist du das?«

»Grüß dich, Emíl«, sagte er. »Die Tür war offen.«

»Was machst du denn hier?«, fragte Emíl wie vom Donner gerührt. »Was … wieso weißt du …«

»Ich bin hinter Lothar hergegangen«, sagte er. »Ich bin ihm von der Ægisíða bis hierher gefolgt.«

»Du bist Lothar gefolgt?«, fragte Emíl ungläubig. Er stand auf, ohne die Augen von ihm abzuwenden. »Was willst du hier?«, fragte er. »Warum bist du Lothar nachgegangen?«