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»Ich war so idiotisch zu glauben, dass wir Freunde wären«, sagte er leise. »Wir waren doch noch so jung, wir waren beide gerade erst zwanzig.« Er drehte sich um und wollte gehen.

»Ilona war eine verdammte Schlampe«, ließ Emíl sich verächtlich hinter ihm vernehmen.

In dem Augenblick, als er das hörte, fiel sein Blick auf eine Schaufel, die an einer alten, verstaubten Kommode lehnte. Er packte sie, drehte sich blitzschnell um und ließ unter Aufbietung aller seiner Kräfte die Schaufel mit einem Schrei auf Emíl niedergehen. Sie traf ihn an der Schläfe, und er sah, wie die Augen erloschen. Emíl sackte zusammen.

Er stand da und starrte auf den leblosen Körper herunter.

Er schien sich in einer anderen Welt zu befinden. Ihm fiel ein längst vergessener Ausspruch ein: Am besten schlägt man sie mit einer Schaufel tot.

Eine dunkle Blutlache bildete sich auf dem Fußboden.

Ihm war sofort klar, dass er Emíl getötet hatte, aber es regte sich keinerlei Reue in ihm. Er stand bewegungslos und ungerührt da und betrachtete Emíl auf dem Boden, während sich die Blutlache vergrößerte. Er war nur ein Zuschauer, den nichts etwas anzugehen schien. Er war nicht in diesen Schuppen gekommen, um zu töten. Er hatte sich nicht vorgenommen, einen Mord zu begehen. Das war geschehen, ohne dass er es auch nur für einen Sekundenbruchteil geplant hatte.

Er wusste nicht, wie viel Zeit verstrichen war, als er plötzlich bemerkte, dass jemand neben ihm stand. Jemand, der ihn berührte und ihm einen leichten Schlag auf die Wange versetzte und etwas sagte, was er nicht hörte. Er blickte den Mann an, erkannte ihn jedoch nicht gleich. Er sah, wie er sich über Emíl beugte und ihm die Finger an den Hals legte, um den Puls zu fühlen. Er wusste, dass es hoffnungslos war. Er wusste, dass Emíl tot war. Er hatte Emíl umgebracht.

Der Mann richtete sich wieder auf und wandte sich zu ihm um. Jetzt erkannte er, wer es war. Diesem Mann war er durch die Straßen von Reykjavik gefolgt, und er hatte ihn zu Emíl geführt.

Es war Lothar.

Vierunddreißig

Karl Antonsson war zu Hause, als Elínborg an seiner Tür klingelte. Seine Neugierde war sofort geweckt, als sie ihm sagte, dass sie im Zusammenhang mit dem Skelettfund auf dem Grund des Kleifarvatn gekommen sei, weil sie sich mit den Isländern unterhalten mussten, die in Leipzig studiert hatten. Er ging unverzüglich mit Elínborg ins Wohnzimmer. Er und seine Frau hatten vorgehabt, eine Runde Golf zu spielen, aber das hatte keine Eile.

Morgens hatte Elínborg mit Sigurður Óli telefoniert und sich erkundigt, wie es Bergþóra ginge. Er sagte, alles liefe nach Wunsch.

»Und dieser Mann, hat er aufgehört, dich nachts anzurufen?«, fragte sie.

»Er meldet sich immer noch ab und zu.«

»Hat er nicht mit Selbstmordgedanken gespielt?«

»Ja, und ob«, sagte Sigurður Óli und erklärte, dass Erlendur ihn erwartete. Sie wollten zu Haraldur im Altersheim, weil Erlendur auf diesen verschollenen Leopold fixiert war. Zu Erlendurs großem Ärger war dem Antrag auf eine Durchsuchung des Hofgeländes nicht stattgegeben worden.

Karl wohnte am Reynimelur in einem schönen Dreiparteienhaus mit gepflegtem Garten. Seine Frau Ulrike war Deutsche, sie stammte aus Leipzig. Sie schüttelte Elínborg mit festem Druck die Hand. Das Ehepaar hatte sich gut gehalten, beide machten den Eindruck, als ob ihnen das Alter nichts anhaben könnte. Vielleicht liegt das am Golfspielen, dachte Elínborg. Sie waren sehr erstaunt über diesen unerwarteten Besuch und blickten einander verständnislos an, als sich herausstellte, um was es ging.

»Ist dann der, den ihr im See gefunden habt, einer von den isländischen Studenten in Leipzig?«, fragte Karl. Ulrike ging in die Küche, um Kaffee zu kochen.

»Das wissen wir nicht«, sagte Elínborg. »Kannst du dich, oder könnt ihr euch, an einen Mann in Leipzig erinnern, der Lothar hieß, Lothar Weiser?« Karl schaute seine Frau an, die in der Tür stand.

»Sie fragt nach Lothar«, sagte er. »Lothar? Was ist mit ihm?«, fragte sie.

»Sie glauben, dass er da im See gelegen hat.«

»Das stimmt nicht ganz«, sagte Elínborg und lächelte die Frau an. »Wir wissen es nicht.«

»Er hat seinerzeit Geld von uns bekommen, um uns die Wege zu ebnen«, sagte Ulrike.

»Die Wege zu ebnen?«, fragte Elínborg erstaunt.

»Damit Ulrike mit mir nach Island gehen konnte«, sagte Karl. »Er hatte Einfluss und konnte uns behilflich sein. Aber es hat was gekostet. Meine Eltern haben Geld zusammengekratzt, und natürlich auch Ulrikes Eltern in Leipzig.«

»Und Lothar hat euch geholfen?«

»Sehr«, sagte Karl. »Er hat dafür kassiert, insofern kann man es vielleicht nicht direkt als Nettigkeit bezeichnen. Ich glaube, dass er auch noch anderen geholfen hat, nicht nur uns.«

»Und Geld allein hat ausgereicht?«, fragte Elínborg.

Karl und Ulrike schauten einander an, und Ulrike ging in die Küche.

»Er sprach davon, dass man vielleicht später Kontakt mit uns aufnehmen würde, verstehst du. Aber das ist nicht geschehen, und was uns betrifft, es wäre auch nie in Frage gekommen. Niemals. Ich habe nichts mehr mit der Partei zu tun gehabt, nachdem wir nach Island zurückgekehrt waren. Ich bin nie zu Versammlungen oder dergleichen gegangen. Ich habe mich völlig aus der Politik zurückgezogen. Ulrike ist nie politisch gewesen, sie war schon immer allergisch dagegen.«

»Meinst du damit, dass man später möglicherweise irgendetwas von euch verlangt hätte?«, fragte Elínborg.

»Ich habe keine Ahnung«, sagte Karl, »Es ist nie dazu gekommen. Lothar haben wir nie wieder gesehen. Wenn man an diese Zeiten zurückdenkt, möchte man manchmal gar nicht glauben, was man da erlebt hat. Das war eine vollkommen andere Welt.«

»Die Isländer haben das den ›Krampf‹ genannt«, sagte Ulrike, die wieder ins Wohnzimmer gekommen war. »Ich fand, dass das hundertprozentig passte. Das war ein einziger Krampf.«

»Habt ihr noch irgendwelchen Kontakt zu den ehemaligen Kommilitonen?«, fragte Elínborg.

»Nur ganz wenig«, sagte Karl. »Man trifft sich natürlich ab und zu auf der Straße oder bei Geburtstagen.«

»Einer von ihnen hieß Emíl«, sagte Elínborg. »Wisst ihr etwas über ihn?«

»Soweit ich weiß, ist er nie nach Island zurückgekehrt«, entgegnete Karl. »Er ist in der DDR geblieben. Ich habe ihn nie wieder gesehen … Lebt er noch?«

»Ich weiß es nicht«, sagte Elínborg.

»Ich mochte ihn nie«, sagte Ulrike. »Er war ein unangenehmer Typ.«

»Emíl war immer ein ziemlicher Eigenbrötler. Er kannte nur wenige, und wenige kannten ihn. Es hieß aber, dass er willfährig war. Davon habe ich aber nichts mitbekommen.«

»Und ihr wisst sonst nichts über diesen Lothar?«

»Nein, gar nichts«, erwiderte Karl.

»Besitzt du vielleicht Fotos von den Studenten in Leipzig?«, fragte Elínborg. »Von Lothar Weiser oder den anderen?«

»Nein, nicht von Lothar, und ganz bestimmt nicht von Emíl«, sagte er. »Aber ich habe ein Bild von Tómas und seiner Freundin, Ilona hieß sie. Sie war Ungarin.« Karl stand auf und ging zu einem großen Schrank, der im Wohnzimmer stand. Er holte ein altes Fotoalbum hervor und blätterte darin, bis er ein Foto fand, das er Elínborg reichte. Es war ein Schwarzweißfoto und zeigte ein junges Paar, das sich an der Hand hielt. Die Sonne schien, und sie lachten in die Kamera.

»Das Bild wurde vor der Thomaskirche gemacht«, sagte Karl. »Ein paar Monate bevor Ilona verschwand.«

»Davon habe ich bereits gehört«, sagte Elínborg.

»Ich war bei ihr, als sie abgeführt wurde«, sagte Karl. »Es war grauenvoll, diese Gewalt und die Bösartigkeit. Niemand wusste, was aus ihr geworden ist, und ich glaube, Tómas hat es nie verwunden.«