Vor dem letzten Schild angekommen, legte Julius eine effektvolle Pause ein, und wie auf ein geheimes Signal hin verstummte die Menge. Dann zog er den Stoff herunter und enthüllte den letzten Schild. Er glänzte im Morgenlicht, war aber völlig leer.
In die Stille hinein sprach Julius mit lauter Stimme: »Volk von Rom! Das letzte Bild gestalten wir am heutigen Tag!«, und die Zuschauer brachen in tosenden Jubel aus. Der Prätor stand auf und rief seinen Wachen Befehle zu. Der Abstand zwischen Zuschauermenge und Gericht wurde vergrößert, indem die Soldaten die Leute mit ihren Stöcken zurückdrängten. Die Menge wich nur widerwillig, stieß trotzige Drohungen aus und verhöhnte Antonidus. Dann wurde abermals Marius’ Name skandiert, und es klang, als stimme ganz Rom ein.
Cornelia sah im grauen Licht, wie sich Tubruk zu Clodia neigte und sie küsste. Er war so zärtlich, dass es fast schmerzte, dabei zuzusehen, aber sie konnte den Blick nicht abwenden. Sie hielt sich hinter einem dunklen Fenster vor ihnen versteckt und fühlte sich einsamer als je zuvor. Clodia würde um ihre Freiheit bitten, dessen war sie sich sicher, und dann hatte sie niemanden mehr.
Cornelia erkundete die wunden Stellen ihrer Erinnerungen und lächelte bitter. Es hätte alles ganz anders sein sollen. Julius wirkte so voller Kraft und Leben, während er Rom in seine Hände nahm, aber nichts davon blieb für sie übrig. Sie erinnerte sich an die Worte, die damals, als Marius noch am Leben war, aus ihm herausgesprudelt waren. Sie hatte ihm eine Hand auf den Mund legen müssen, damit die Sklaven ihres Vaters nicht hörten, dass er heimlich bei ihr war, mit ihr sprach und mit ihr lachte. Damals war so viel Freude in ihm gewesen. Jetzt war er ein Fremder, und obwohl sie ihn ein- oder zweimal dabei ertappt hatte, dass er sie mit dem alten Feuer ansah, war es doch so alsbald wieder erloschen. Früher einmal hatte sie den Mut gefunden, ihn zu ermuntern, mit ihr zu schlafen, um das Eis zu brechen, das sich zwischen ihnen zu bilden drohte. Sie wollte es, träumte sogar davon, doch jedes Mal machte die Erinnerung an Sullas grobe Finger ihre Entschlossenheit zunichte, und sie versank wieder in ihren einsamen Albträumen. Sulla war tot, sagte sie sich, doch sie sah immer noch sein Gesicht vor sich, und manchmal nahm sie im Wind seinen Geruch wahr. Dann trieb sie das Entsetzen in ihr Bett, wo sie sich vor der Welt verkroch.
Tubruk legte den Arm um ihr Kindermädchen, und Clodia lehnte den Kopf an seine Schulter, flüsterte ihm etwas zu. Cornelia hörte sein leises, brummendes Lachen und beneidete die beiden um das, was sie gefunden hatten. Sie würde es nicht fertig bringen, Clodia ihre Bitte abzuschlagen, auch wenn der Gedanke, ihr Leben hier als vergessene Ehefrau zu verbringen, während Julius sich im Glanz der Stadt und seiner Legion sonnte, unerträglich war. Sie kannte sie, diese giftigen römischen Matronen mit den Ammen für ihre Kinder und den Sklaven, die die Hausarbeit verrichteten. Sie verbrachten ihre Tage damit, teure Kleider zu kaufen oder einen Kreis von Freundinnen zu unterhalten, was Cornelia wie einen vorzeitigen Tod empfunden hätte. Wie sie sie bemitleiden würden, wenn sie die Wahrheit über ihre lieblose Ehe aus ihr herauspressten.
Wütend rieb sie sich die Augen. Sie war zu jung, um sich von so etwas zugrunde richten zu lassen, sagte sie sich. Wenn es ein Jahr dauern sollte, um wieder zu genesen, dann würde sie eben so lange auf die Genesung warten. Obwohl Julius sich in der Gefangenschaft verändert hatte, steckte immer noch der junge Mann in ihm, den sie einst gekannt hatte. Derjenige, der sein Leben und den Zorn ihres Vaters riskiert hatte, um über die glatten Dächer in ihr Zimmer zu steigen. Wenn sie diesen Mann in Erinnerung behielt, wäre sie wieder fähig, mit ihm zu reden, und vielleicht würde auch er sich wieder an das Mädchen erinnern, das er einmal geliebt hatte. Vielleicht würde die Unterhaltung nicht in einem Streit enden, und keiner von beiden würde den anderen allein lassen.
Ein Schatten bewegte sich im Hof, und Cornelia hob den Kopf. Es hätte einer der Soldaten auf seiner Runde sein können, dachte sie, dann atmete sie erleichtert auf, als das graue Licht der Nacht ihn enthüllte. Es war Octavian, der die Liebenden heimlich beobachtete. Wenn sie ihn anrief, wäre der innige Augenblick zwischen Clodia und Tubruk zerstört, und sie hoffte nur, dass der Junge schlau genug war und sich nicht zu nahe heranwagte.
Auch Julius war in diesen Mauern aufgewachsen, und auch er war einmal ebenso wie Octavian von der Liebe fasziniert gewesen.
Schweigend sah sie zu, wie sich Octavian hinter einen Wassertrog kauerte und zu Tubruk hinüberspähte. Das Paar küsste sich wieder, und Tubruks Hand fuhr suchend auf dem Boden herum, während er abermals leise lachte. Als er das, was er suchte, gefunden hatte, sah Julia, wie sein Arm plötzlich nach hinten und wieder nach vorne schnellte und einen kleinen Stein dorthin schleuderte, wo sich Octavian versteckte.
»Marsch ins Bett!«, rief Tubruk dem Jungen zu.
Cornelia lächelte und nahm sich vor, der Aufforderung ebenfalls Folge zu leisten.
»Die Tore des Senats öffnen sich!«, sagte Quintus, der schräg hinter Julius stand.
Julius drehte sich um und sah die Richter aus dem Gebäude kommen.
»Das ging aber schnell«, sagte er ein wenig nervös zu dem Anwalt.
Der alte Mann nickte.
»Schnell ist bei einem Eigentumsstreitfall nicht gut«, murmelte er düster.
Mit einem Mal verspürte Julius Angst. Hatte er genug getan? Falls die Entscheidung gegen ihn ausfiel und die Richter dem Antrag auf Todesstrafe stattgaben, wäre er noch vor Sonnenuntergang tot. Er hörte ihre Sandalen auf den Steinen des Forums, als mäßen sie seine letzten Sekunden ab. Julius spürte, wie ihm der Schweiß unter der Toga herablief und auf der Haut kalt wurde.
Gemeinsam mit allen anderen erhob er sich, um die Richter zu empfangen, und verneigte sich bei ihrem Eintreffen. Die Soldaten, die sie vom Senatsgebäude begleitet hatten, nahmen ihre Posten in einer zweiten Reihe zwischen der Menge und dem Gericht ein. Ihre Hände ruhten auf den Schwertknäufen. Julius sank der Mut. Wenn sie Ärger erwarteten, dann wahrscheinlich deshalb, weil die Richter sie von ihrem Urteilsspruch in Kenntnis gesetzt hatten.
Die drei Magistrates schritten mit maßvoller Würde zu ihren Plätzen. Julius suchte ihre Blicke, um dort etwas von dem zu lesen, was ihm bevorstand. Sie gaben jedoch nichts preis, und die Menge verstummte abwartend, als die Spannung stieg.
Der Magistrat, der während der Verhandlung gesprochen hatte, erhob sich gewichtig und mit grimmiger Miene.
»Vernimm unser Urteil, Rom!«, rief er. »Wir haben nach der Wahrheit gesucht und sprechen als das Gesetz, und unsere Worte sind Gesetz.«
Julius hielt unbewusst den Atem an, und die Stille, die ihn umgab, kam ihm nach dem donnernden Jubel und den Gesängen beinahe schmerzhaft vor.
»Ich befinde zugunsten von General Antonidus«, sagte der Mann, Kopf und Hals starr gereckt. Die Menge heulte vor Wut auf, verstummte jedoch sogleich wieder, als sich der zweite Richter erhob.
»Auch ich befinde zugunsten von Antonidus«, sagte er und ließ den Blick über das Chaos der Menge schweifen. Wieder brandete höhnisches Geschrei auf, und Julius verspürte einen leichten Schwindel.
Jetzt erhob sich der Tribun, schaute erst auf die Menge hinab, dann zu den Bronzebildern des Marius, und ließ den Blick schließlich auf Julius ruhen.
»Als Tribun habe ich das Recht, ein Veto gegen die Urteile meiner ehrenwerten Kollegen einzulegen. Von dieser Möglichkeit würde ich niemals leichtfertig Gebrauch machen, und ich habe die Argumente sorgfältig gegeneinander abgewogen.« Er legte eine kleine Pause ein, um seinen Worten Gewicht zu verleihen, und alle Augen waren auf ihn gerichtet.