Alexandria biss sich vor Lust auf die Lippen, zog den Umhang enger und enger um sie beide, bis er ihr beinahe in den Hals schnitt. Sein Brustpanzer drückte kalt gegen sie, aber sie spürte das harte Metall kaum, sondern nur seine Hitze tief in ihr. Sein Atem brannte heiß auf ihren Lippen, sie keuchte und spürte, wie er alle Muskeln anspannte.
Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sie sich ihrer verkrampften Glieder und der Kälte bewusst wurden. Alexandria stöhnte leise auf, als er sich aus ihr zurückzog. Brutus blieb in der Dunkelheit dicht vor ihr stehen und liebkoste wie im Traum die Haut, die er nicht sehen konnte. Zwischen ihren Körpern stieg Hitze auf, Hitze, die sie erzeugt hatten. Er sah ihr in die Augen, und sie erwiderte seinen Blick. Er sah eine Verletzlichkeit darin, trotz ihres zur Schau getragenen Selbstvertrauens, doch es spielte keine Rolle. Er würde sie nicht verletzen. Er suchte nach Worten, um ihr zu sagen, was sie ihm bedeutete, aber sie legte eine Hand auf seinen Mund und erstickte sein Gemurmel.
»Schsch… ich weiß. Komm einfach wieder zu mir zurück, mein schöner Mann. Komm wieder zurück zu mir.«
Sie drapierte den Umhang so, dass er die Unordnung darunter verdeckte, und nachdem sie ihn ein letztes Mal geküsst hatte, öffnete sie die Tür, wurde kurzzeitig vom Licht der drinnen brennenden Lampe angestrahlt und war dann verschwunden.
Brutus stand allein draußen und richtete sich mit einigen Handgriffen wieder so her, dass er einigermaßen in Würde durch die Straßen gehen konnte. Jeder Nerv in ihm vibrierte immer noch von ihrer Berührung, und er fühlte sich durch die Intensität dessen, was geschehen war, so lebendig wie noch nie. Er ging ein wenig stolzer und breitspuriger, als er sich leichten Schrittes auf den Weg zurück in die Kaserne machte.
35
Julius keuchte ein wenig in der kalten Luft. Er drehte sich um und schaute zurück auf die schimmernde Schlange, die sich die Via Flaminia unterhalb des steilen Passes hinabwand. Die ersten drei Tage waren anstrengend für ihn gewesen, bis die Ausdauer der Zeit in Griechenland nach und nach wieder zurückgekehrt war. Jetzt wölbten sich wieder die Muskelstränge unter der Haut seiner Schenkel, und er genoss die Freude, die simple Anstrengung mit sich bringt, wenn sich der Körper anfühlt, als gäbe es keine Grenzen für seine Belastung. Am Ende des zehnten Tages freute er sich an diesem Marsch auf Ariminum, mit den Legionen hinter sich. Am Abend im Feldlager übte er mit den Experten, die Crassus mitgenommen hatte, mit dem Gladius, und obwohl er wusste, dass er es darin niemals bis zur Meisterschaft bringen würde, wurden seine Handgelenke von Tag zu Tag kräftiger, bis nur noch die Ausbilder selbst seine Deckung durchbrechen konnten.
Der Wind wehte kräftig um die Marschkolonne. Julius schauderte ein wenig. Obwohl er in der Zeit, die er außerhalb Roms verbracht hatte, viele verschiedene Länder kennen gelernt hatte, war die Kälte auf den Höhen des Apennins neu für ihn, und er ertrug sie mit einem grimmigen Widerwillen, den er auch in den Gesichtern vieler Soldaten rings um sich herum sah.
Um den Staubgeschmack aus seiner Kehle zu spülen, nahm Julius einen großen Schluck aus seinem Wasserschlauch, wobei er das Gewicht seiner Ausrüstung verlagern musste, um den verkorkten Auslass an die Lippen zu führen. Die Kolonne machte nur zweimal pro Tag Halt: einmal kurz zur Mittagszeit und dann am Abend, der jedoch mit drei Stunden erschöpfender Arbeit begann, denn jeden Abend hieß es, die Grenzen des Lagers gegen Hinterhalte und Angriffe zu sichern. Wieder drehte er sich nach der Marschkolonne um und staunte, wie lang sie war. Von der Passhöhe aus konnte er in der klaren Luft sehr weit sehen, doch die für ihn unsichtbare Nachhut der Kavallerie war mehr als dreißig Meilen weiter hinten. Da Crassus ein straffes Tempo von fünfundzwanzig Meilen von Tagesanbruch bis zur Abenddämmerung angeordnet hatte, hieß das, dass die Nachhut einen ganzen Tag hinter der Vorhut hermarschierte und diese erst in Ariminum wieder einholen würde. Jeder Halt musste entlang der Marschkolonne von den Signalbläsern durchgegeben werden, deren blökende Laute in der Ferne immer leiser wurden, bis sie schließlich nicht mehr zu hören waren.
Die steilen Berghänge links und rechts wurden von den Einheiten der so genannten Extraordinarii gesichert, Reiter, die zur Sicherheit des Vormarsches immer ein Stück voraus kundschafteten. Die Männer mussten nach Julius’ Schätzung auf ihren ausdauernden Pferden auf ihren Erkundungsritten kreuz und quer durch die Umgebung drei- oder viermal so viel Wegstrecke zurücklegen wie die Kolonne der marschierenden Legion. Er wusste, dass diese Taktik den Vorschriften entsprach, obwohl nur ein Haufen Lebensmüder es gewagt hätte, eine Streitmacht von ihrer Stärke anzugreifen.
Ganz vorne ging die Voraus-Legion, die jeden Tag durch das Los bestimmt wurde. Da die Primigenia noch immer nicht ihre volle Kampfstärke erreicht hatte, konnte sie an diesem Wechsel nicht teilnehmen und war deshalb stets ungefähr zehn Meilen weiter hinten stationiert, irgendwo mitten in der Kolonne, außer Sichtweite. Julius fragte sich, wie Brutus und Renius den Marsch wohl fanden. Cabera war älter als einige der Veteranen, die mit ihm gegen Mithridates gekämpft hatten. In Rom hatte Julius es für wichtig gehalten, sich in Crassus’ Nähe aufzuhalten, jetzt jedoch vermisste er seine Freunde. Wie sehr er sich auch anstrengte, es wollte ihm nicht gelingen, die Adlerstandarte der Primigenia in dem Wald von Bannern hinter ihm auszumachen. Er sah zu, wie die Reiterei der Legionen an den Flanken der Kolonne auf und ab patrouillierte wie die Ameisensoldaten, die er in Afrika gesehen hatte, ständig auf der Hut vor einem Angriff, dem sie so lange standhalten würden, bis sich die Reihen der Legionäre formiert hatten.
Julius marschierte mit der Vorhut in Rufweite von Crassus und Pompeius, die im Schritt vor den Männern herritten, die sie anführten. Da mehr als viertausend Mann vor ihnen marschierten, hatten die Heerführer dafür gesorgt, dass das Hauptlager angelegt und die Zelte aufgebaut waren, wenn sie es erreichten. So konnten sie ohne Verzug mit ihren Besprechungen anfangen und ihr Abendessen zu sich nehmen, während die anderen die gewaltigen Erdwälle rings um das Lager errichteten und damit eine Befestigungsanlage schufen, die fast alles aufhalten konnte.
Die drei Lager wurden jeden Abend auf die exakt gleiche Weise mit Fahnen gekennzeichnet. Wenn die Sonne schließlich hinter den Bergen unterging, waren die sechs Legionen in riesigen Quadraten geschützt, kampierten in mit Haupt- und Nebenstraßen versehenen Städten, die wie aus dem Nichts mitten in der Wildnis entstanden waren. Julius hatte über die Organisation gestaunt, die die anderen Soldaten für selbstverständlich ansahen. Abend für Abend hämmerte er gemeinsam mit ihnen die eisernen Zeltpflöcke an der ihnen zugewiesenen Stelle in den Boden. Dann schloss er sich den Einheiten an, die den Graben aushoben, und den Erdwall, der die äußere Schutzmauer bildete, mit Holzpfählen bestückten und so eine lückenlose Festung errichteten, die nur durch vier, mit Wachen versehenen und nur mit Losungsworten passierbaren Toren unterbrochen wurde. Obwohl ihm seine Lehrer viel über Regelwerk und Taktiken der Legion beigebracht hatten, war Julius fasziniert von der Wirklichkeit, und er erkannte von Anfang an, dass ein Teil ihrer Kampfstärke daraus resultierte, dass sie aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hatten. Hätte Mithridates eine Befestigung um sein Lager gebaut wie die Legionen, wäre Julius womöglich immer noch in Griechenland und würde nach einer Möglichkeit suchen, sie zu überwinden.
Die Via Flaminia war an dieser Stelle durch eine schmale Schlucht zwischen steilen Hängen aus losem Geröll angelegt worden. Obwohl das Licht bereits schwand, nahm Julius an, dass Crassus die Soldaten weitermarschieren lassen würde, bis sie für das erste Lager offeneres Gelände erreicht hatten. Eine der Legionen würde um der Sicherheit willen ein Stück des Weges zu den tiefer gelegenen Ebenen zurückmarschieren müssen, womit der Pass bis auf die Wachen und die Extraordinarii, die auch in der Nacht berittene Patrouillen aufstellten, frei blieb. Was auch geschah, die Legionen würden von keinem Feind überrascht werden, eine Vorsichtsmaßnahme, die sie vor über hundert Jahren gelernt hatten, als sie auf den Ebenen gegen Hannibal in die Schlacht gezogen waren. Julius erinnerte sich an die Bewunderung, die Marius dem alten Feind entgegengebracht hatte. Trotzdem war auch der Karthager am Ende an Rom gescheitert.