Suetonius hatte ihm gesagt, dass einäugige Männer keine guten Kämpfer sein könnten. Außerdem hatte er gemerkt, dass er oft an Dingen vorbeigriff. Seine Hand fuhr einfach durch die Luft, weil er die Entfernungen falsch einschätzte. Jetzt, nachdem das Augenlicht zurückgekehrt war, schaffte er wenigstens das wieder. Doch die verschwommenen Umrisse, die er immer noch mit dem linken Auge sah, machten ihn wütend, und er versuchte unbewusst ständig, sich das Auge sauber zu reiben. Gewohnheitsmäßig hob sich seine Hand, doch er ertappte sich gerade noch rechtzeitig dabei; er wusste, dass es nichts nützen würde.
Der Kopfschmerz schien noch einen anderen Weg in seinem Kopf zu finden und arbeitete sich vor, bis auch dieser Punkt wie aus Mitgefühl mit dem ersten zu pochen begann. Hoffentlich würde es dabei bleiben und nicht noch schlimmer werden. Der Gedanke daran, was nach und nach mit ihm geschah, war für ihn eine Angst, der er sich noch nicht offen gestellt hatte, aber schon dreimal war der Kopfschmerz so stark geworden, dass Julius nur noch zuckende Lichtblitze sah, die ihn verzehrten. Dann war er jedes Mal mit dem Geschmack von Galle auf den Lippen wieder zu sich gekommen und hatte in seinem eigenen Dreck gelegen, während Gaditicus ihn energisch zu Boden drückte. Beim ersten Anfall hatte er sich so heftig auf die Zunge gebissen, dass sich sein Mund mit Blut füllte und er beinahe daran erstickt wäre. Jetzt hielten sie immer einen schmutzigen Stoffstreifen bereit, den sie aus seiner Tunika herausgerissen hatten. Den pressten sie ihm zwischen die Zähne, wenn er sich blind und in Krämpfen am Boden wälzte.
Bei dem Geräusch von Schritten auf der schmalen Treppe, die vom Deck herunterführte, hoben die rotäugigen, stinkenden Soldaten die Köpfe. Jedes ungewöhnliche Ereignis bedeutete für sie eine Ablenkung von der endlosen Langeweile. Selbst die zwei Männer, die im Fieber lagen, versuchten zu erkennen, wer da kam, obgleich der eine von ihnen sogleich wieder erschöpft zurücksank.
Es war der Kapitän des Schiffes, der, verglichen mit den Männern der Accipiter, vor Gesundheit und Sauberkeit nur so zu strotzen schien. Er war so groß, dass er den Kopf einziehen musste, um die Zelle zu betreten, und er hatte einen mit Schwert und Dolch bewaffneten Mann bei sich, der sich bereithielt, um sofort gegen eventuelle Angriffe vorzugehen.
Julius hätte über diese Vorsichtsmaßnahme laut gelacht, wenn ihm sein Kopf nicht so wehgetan hätte. Da sie keine Möglichkeit zur körperlichen Ertüchtigung hatten, hatten die Römer ihre Kraft rasch verloren. Es überraschte ihn immer noch, wie schnell Muskeln schwanden, wenn man sie nicht benutzte. Cabera hatte ihnen zwar gezeigt, wie sie sich gegenseitig durch Ziehen und Drücken wenigstens einigermaßen bei Kräften halten konnten, aber sonderlich viel schienen diese Übungen nicht zu bewirken.
Der Kapitän atmete flach und richtete seinen Blick auf den überlaufenden Eimer. Sein Gesicht war sonnengebräunt und vom jahrelangen Anblinzeln gegen das Gleißen des Meeres zerfurcht. Selbst seinen Kleidern haftete ein frischer Geruch an. Julius sehnte sich plötzlich so sehr danach, draußen an der frischen Luft zu sein, dass sein Herz vor Verlangen wild zu pochen begann.
»Wir haben jetzt einen sicheren Hafen erreicht. Vielleicht werdet ihr in ungefähr sechs Monaten irgendwann in einer einsamen Nacht wieder als freie, ausgelöste Männer am Strand abgesetzt werden.« Der Kapitän machte eine Pause, um sich an der Wirkung seiner Worte zu erfreuen. Die bloße Erwähnung, dass ihre Gefangenschaft ein Ende haben könnte, ließ die Blicke der Männer wie gebannt auf ihm ruhen.
»Aber die Summen, die wir für euch verlangen müssen, sind ein heikles Problem«, fuhr er fort. Seine Stimme klang so freundlich, als redete er mit Männern, die er gut kannte, statt mit Soldaten, die ihn mit den Zähnen in Stücke gerissen hätten, wenn ihnen die Kraft dazu geblieben wäre.
»Wir dürfen natürlich nicht so viel verlangen, dass eure Verwandten nicht zahlen können. Für die, die übrig bleiben, haben wir ja keine Verwendung. Andererseits habe ich den Verdacht, dass ihr mir, wenn ich euch danach frage, was ihr euren Familien wert seid, nicht die Wahrheit sagen werdet. Versteht ihr das?«
»Wir verstehen dich gut«, sagte Gaditicus.
»Also einigen wir uns am besten auf einen Kompromiss, denke ich. Jeder von euch nennt mir seinen Namen, seinen Rang und sein Vermögen, und ich entscheide, dass ihr gelogen habt, und füge der Summe das hinzu, was ich für richtig halte. Das ist ein bisschen so wie ein Glücksspiel.«
Niemand antwortete ihm, aber stumme Flüche stiegen zu den Göttern auf, und der Hass der Männer war deutlich an ihren Gesichtern abzulesen.
»Also gut. Fangen wir an.« Er zeigte auf Suetonius, der seinen Blick auf sich gezogen hatte, weil er sich gerade einen Läusebiss kratzte. Jeder von ihnen hatte von dem Ungeziefer überall am ganzen Körper rote Schrunden.
»Suetonius Prandus. Ich bin Wachoffizier im niedrigsten Rang, und meine Familie hat nichts zu verkaufen«, sagte er mit heiserer Stimme, weil er das Sprechen nicht mehr gewohnt war.
Der Kapitän blinzelte ihn prüfend an. Suetonius’ magere Gestalt verriet ebenso wie die aller anderen nicht das kleinste Anzeichen von Wohlstand. Julius wurde klar, dass sich der Kapitän nur auf ihre Kosten amüsieren wollte. Es machte ihm Spaß, die arroganten römischen Offiziere zu erniedrigen, weil sie mit einem Feind um ihren eigenen Wert schachern mussten. Doch was hätten sie sonst tun sollen? Wenn der Pirat zu viel verlangte und ihre Familien zu Hause das Geld nicht borgen konnten oder schlimmer noch, sich sogar zu zahlen weigerten, hatten sie nicht mehr lange zu leben. Es war verdammt schwer, sich nicht auf dieses Spiel einzulassen.
»Ich denke, für den niedrigsten Rang werde ich zwei Talente verlangen, also fünfhundert in Gold.«
Suetonius stammelte entrüstet, aber Julius wusste sehr wohl, dass seine Familie diese Summe, oder sogar das Zehnfache davon, leicht aufbringen konnte.
»Bei den Göttern! So viel haben sie nicht!«, protestierte Suetonius, und sein ungepflegtes Äußeres schien seine Worte zu bestätigen.
Der Kapitän zuckte die Schultern. »Dann flehe deine Götter lieber an, dass sie das Geld zusammenbringen, sonst gehst du über Bord, mit einer Kette um den Hals, die dafür sorgt, dass du nicht wieder hochkommst.«
Scheinbar verzweifelt sank Suetonius in sich zusammen, aber Julius war sicher, dass er innerlich triumphierte, weil er den Piraten überlistet hatte.
»Und du, Zenturio? Entstammst du einer reichen Familie?«, fragte der Kapitän weiter.
Bevor er zu einer Antwort ansetzte, sah ihn Gaditicus durchdringend an. »Nein. Keinesfalls. Aber egal, was ich sage, du wirst mir ohnehin nicht glauben«, brummte er und schaute weg.
Der Kapitän zog nachdenklich die Stirn in Falten. »Nun ja… ich denke, für einen Zenturio, und noch dazu einen Kapitän, wie ich selbst einer bin,… wäre es eine Beleidigung, weniger als zwanzig Talente zu verlangen. Das wären dann also fünftausend in Gold, glaube ich. Ja, genau.«
Gaditicus beachtete ihn nicht, doch die Verzweiflung stand ihm ins Gesicht geschrieben.
»Wie lautet dein Name?«, fragte er Julius.
Auch dieser überlegte zunächst, ob er den Mann ignorieren sollte, dann aber pochten seine Kopfschmerzen besonders stark, und unbändige Wut stieg in ihm auf.
»Mein Name ist Julius Cäsar, und ich habe zwanzig Männer unter meinem Kommando. Außerdem bin ich das Familienoberhaupt eines wohlhabenden Hauses.«
Die Augenbrauen des Kapitäns hoben sich, und die anderen Männer tuschelten ungläubig miteinander. Julius wechselte einen kurzen Blick mit Gaditicus, der warnend den Kopf schüttelte.
»Ein Familienoberhaupt also! Na, dann ist es mir eine besondere Freude, dich kennen zu lernen«, erwiderte der Kapitän mit einen abfälligen Lächeln. »Vielleicht wären dann zwanzig Talente für dich ebenfalls angemessen.«