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»Und doch ist diese Siedlung hier verschont geblieben«, meinte der Jüngere der beiden.

Varro warf ihm einen scharfen Blick zu und bemerkte den durchdringenden Blick der blauen Augen.

Eines der Augen sah ihn durch eine dunkle, geweitete Mitte an, die den wahren Varro hinter seinem heiteren Gebaren zu erkennen schien. Trotz der Bärte standen die Männer vor ihm alle gerader und kraftvoller da, als die jämmerlichen Grüppchen, die Celsus sonst alle paar Jahre hier aussetzte. Varro ermahnte sich zur Vorsicht, weil er sich der Situation nicht ganz sicher war. Immerhin standen draußen seine Söhne, bewaffnet und jederzeit zum Eingreifen bereit. Es zahlte sich immer aus, vorsichtig zu sein.

»Die Geiseln, für die sie Lösegeld bekommen haben, setzen sie immer hier an dieser Küste aus. Ich denke, sie begrüßen es, wenn die Männer wieder in die Zivilisation zurückgebracht werden, damit weiter Lösegelder gezahlt werden. Was sollen wir eurer Meinung nach tun? Wir alle hier sind nur einfache Bauern. Rom hat uns das Land überlassen, damit wir einen ruhigen Lebensabend genießen können – nicht, damit wir gegen Piraten kämpfen. Ich denke, das ist wohl eher die Aufgabe unserer Galeeren.«

Beim letzten Satz zwinkerte er viel sagend und erwartete, der junge Mann werde lächeln oder sich vielleicht schämen, bei seiner eigentlichen Aufgabe versagt zu haben. Aber sein ungerührter Blick änderte sich nicht, und Varro fühlte, wie seine gute Laune langsam dahinschwand.

»Die Siedlung ist zu klein für ein Badehaus, aber es gibt ein paar Privathäuser, die euch aufnehmen und euch Rasierzeug leihen werden.«

»Was ist mit Kleidung?«, wollte der ältere der beiden Stehenden wissen.

Varro wurde sich bewusst, dass er ihre Namen nicht kannte, und blinzelte nervös. Diese Unterhaltung verlief anders als sonst. Die letzte Gruppe war beinahe in Tränen ausgebrochen, in so einem fernen Land auf einen Römer zu stoßen, der in einem solide gebauten Steinhaus auf einer Liege saß.

»Bist du der Offizier hier?«, fragte Varro zurück, behielt aber dabei den jüngeren Mann im Auge.

»Ich war der Kapitän der Accipiter, aber du hast meine Frage noch nicht beantwortet«, entgegnete Gaditicus.

»Ich fürchte, wir haben keine Kleidung für euch…«, begann Varro.

Da sprang der junge Mann auf ihn zu, packte ihn am Hals und riss ihn von seinem Sitz hoch. Varro röchelte erschrocken, als er auf den Tisch gezerrt und darauf niedergedrückt wurde. Er starrte nach oben in die blauen Augen, die alle seine Geheimnisse zu kennen schienen.

»Für einen Bauern lebst du aber in einem sehr schönen Haus«, zischte die Stimme. »Hast du etwa geglaubt, wir merken das nicht? Welchen Rang hattest du in der Legion, und unter wem hast du gedient?«

Der Griff um seinen Hals lockerte sich etwas, so dass Varro wieder sprechen konnte. Zuerst wollte er nach seinen Söhnen schreien, doch solange die Hand des Mannes seine Kehle umklammerte, wagte er es nicht.

»Ich war Zenturio unter Marius«, krächzte er heiser. »Wie kannst du es wagen…« Der Druck der Finger verstärkte sich wieder, und seine Stimme versagte. Er konnte kaum noch atmen.

»Dann stammst du wohl aus einer reichen Familie, wie? Draußen verstecken sich zwei Männer. Wer ist das?«

»Meine Söhne…«

»Ruf sie herein. Wir werden sie am Leben lassen, aber wir lassen uns beim Hinausgehen nicht überfallen. Wenn du versuchst, sie zu warnen, stirbst du, noch bevor sie bei dir sind, das schwöre ich.«

Varro glaubte ihm aufs Wort, und als er wieder zu Atem kam, rief er seine Söhne herein. Entsetzt musste er zusehen, wie die Fremden rasch zur Tür traten, die Hereinstürmenden packten und ihnen die Waffen wegnahmen. Die beiden Männer versuchten noch um Hilfe zu schreien, aber da hagelten schon von allen Seiten Schläge auf sie ein und sie gingen zu Boden.

»Ihr tut uns Unrecht. Wir leben hier in Frieden«, krächzte Varro erstickt.

»Du hast Söhne. Warum sind sie nicht nach Rom zurückgekehrt, um in der Armee zu dienen wie ihre Vorväter? Was außer einem Abkommen mit Celsus und Männern wie ihm kann sie hier festhalten?«

Der junge Offizier drehte sich zu den Soldaten um, die Varros Söhne festhielten.

»Bringt sie nach draußen und schneidet ihnen die Kehle durch«, befahl er kurz.

»Nein! Was wollt ihr von mir?«, rief Varro rasch.

Die blauen Augen hielten seinen Blick wieder gefangen.

»Ich will Schwerter und das Gold, das dir die Piraten zahlen, weil du ihnen Unterschlupf gewährst. Dann will ich Kleidung für die Männer, und Rüstungen, falls du welche hast.«

Varro versuchte zu nicken; die Hand umklammerte noch immer seinen Hals.

»Ihr werdet alles bekommen, aber Gold habe ich nicht viel«, sagte er unglücklich.

Einen Moment lang verstärkte sich der Griff um seinen Hals.

»Spiel kein falsches Spiel mit mir«, sagte der junge Mann drohend.

»Wer bist du?«, keuchte Varro.

»Ich bin der Neffe des Mannes, dem bis in den Tod zu dienen du geschworen hast. Mein Name ist Julius Cäsar«, sagte er ruhig.

Julius ließ den Mann aufstehen. Nach außen behielt er seinen unnachgiebigen Gesichtsausdruck bei, doch insgeheim hob sich seine Stimmung. Wie lange war es her, dass Marius gesagt hatte, ein Soldat müsse manchmal seinen Instinkten folgen? Von dem Moment an, als sie in das friedliche Dorf gekommen waren und die gepflegte Hauptstraße mit den ordentlichen Häusern gesehen hatten, war ihm klar gewesen, dass Celsus das Dorf mit Sicherheit nicht ohne irgendeine Abmachung verschont hatte. Er fragte sich, ob das wohl bei allen Dörfern entlang der Küste so war, und fühlte einen Augenblick lang einen Anflug von Schuldgefühlen. Rom versetzte seine ausscheidenden Legionäre an diese fremde Küste, gab ihnen hier Land und erwartete, dass sie sich fortan um sich selbst kümmerten und allein durch ihre Anwesenheit für Frieden sorgten. Wie aber sollten sie überleben, ohne mit den Piraten einen Handel abzuschließen? Ganz zu Anfang hatten sich einige von ihnen vielleicht sogar zur Wehr gesetzt, doch sie waren mit Sicherheit getötet worden. Ihre Nachfolger jedoch hatten gar keine Wahl mehr gehabt.

Er sah hinüber zu Varros Söhnen und seufzte. Dieselben ausgeschiedenen Legionäre hatten Kinder, die Rom noch nie zu Gesicht bekommen hatten und sich den Piraten anschlossen, wenn sie kamen. Er betrachtete die dunkle Haut der beiden. Auch ihre Gesichtszüge waren eine Mischung aus Afrika und Rom. Wie viele von dieser Sorte gab es hier wohl, die nichts mehr von der Treue ihrer Vorväter wussten? Sie konnten genauso wenig wie er einfach nur Bauern bleiben, wenn die Welt da draußen nur auf sie zu warten schien.

Varro rieb sich nachdenklich den Nacken, beobachtete Julius und versuchte, seine Gedanken zu erraten. Sein Mut sank noch tiefer, als er sah, wie der seltsame Blick der blauen Augen auf seinen Söhnen zu ruhen kam. Er hatte Angst um sie, denn selbst jetzt spürte er den unbändigen inneren Groll des jungen Offiziers.

»Uns ist nichts anderes übrig geblieben«, sagte er. »Celsus hätte uns alle getötet.«

»Du hättest Nachricht nach Rom senden und dem Senat die Piraten melden sollen«, erwiderte Julius abwesend.

Varro hätte fast gelacht. »Glaubst du denn, die Republik kümmert es, was mit uns geschieht? Sie lässt uns an ihre Träume glauben, solange wir noch jung und stark genug sind, um für sie zu kämpfen. Aber sobald Kraft und Jugend verflogen sind, vergisst sie uns und fängt an, die nächste Generation von Narren auf ihre Seite zu ziehen. Dabei wird der Senat durch die Ländereien, die wir für ihn erobert haben, immer reicher und fetter. Wir waren auf uns allein gestellt, und ich habe getan, was ich tun musste.«