In seinem Zornesausbruch lag viel Wahrheit. Julius sah ihn an und bemerkte, dass er sich aufrechter hielt.
»Korruption kann man ausbrennen«, sagte er. »Seit Sulla an der Macht ist, stirbt der Senat.«
Varro schüttelte langsam den Kopf.
»Die Republik lag schon im Sterben, lange bevor Sulla kam, mein Junge. Du bist nur zu jung, um das zu erkennen.«
Varro ließ sich wieder auf seinen Sitz zurückfallen, rieb sich aber noch immer den Hals. Als Julius seinen Blick von Varro löste und sich umsah, schauten ihn alle Offiziere der Accipiter an und warteten geduldig.
»Was jetzt, Julius?«, fragte Pelitas ruhig. »Was tun wir als Nächstes?«
»Wir suchen zusammen, was wir brauchen und gehen zum nächsten Dorf, und danach zum übernächsten. Dafür, dass sie die Piraten in ihrer Mitte aufgenommen haben, sind uns diese Leute einiges schuldig. Ich zweifle nicht daran, dass es noch viele wie ihn gibt«, sagte er und deutete dabei auf Varro.
»Du glaubst, du kannst einfach so weitermachen?«, fragte Suetonius; er war entsetzt darüber, was hier vor sich ging.
»Natürlich. Nur dass wir beim nächsten Mal Schwerter und anständige Kleidung haben werden. Dann wird es nicht mehr so schwer sein.«
10
Schwungvoll hieb Tubruk die Axt genau in die Kerbe in der sterbenden Eiche. Ein Splitter gesunden Holzes sprang unter dem Schlag weg, doch die dürren Äste zeigten, dass es höchste Zeit war, den alten Baum zu fällen. Es würde nicht mehr sehr lange dauern, bis er zum Kernholz vordrang, und er war sicher, dass dort bereits alles morsch war. Er arbeitete schon über eine Stunde, und der Schweiß klebte die leinenen Bracae an die Beine. Als er zu schwitzen anfing, hatte er die Tunika ausgezogen, und trotz der leichten Brise, die durch das Wäldchen wehte, hatte er sie bis jetzt noch nicht wieder angelegt. Der trocknende Schweiß kühlte ihn ab, Ruhe und Frieden erfüllten ihn. Es war schwer genug, jetzt, nachdem das Lösegeld gezahlt worden war, nicht ständig an die Probleme der Verwaltung des Gutes zu denken. Aber er schob die Gedanken erst einmal beiseite und konzentrierte sich auf das Ausholen und Zuschlagen mit der schweren Eisenaxt.
Keuchend hielt er einen Moment inne und stützte die Hände auf den langen Schaft der Axt. Früher hatte er den ganzen Tag Bäume fällen können, aber jetzt hatten selbst die Haare auf seiner Brust die Farbe eisigen Wintergraus angenommen. Vielleicht war es töricht, sich selbst so anzutreiben, andererseits holte das Alter diejenigen am schnellsten ein, die sich hinsetzten und darauf warteten. Außerdem blieb durch die körperliche Betätigung wenigstens sein Bauch flach.
»Früher bin ich immer auf diesen Baum hinaufgeklettert«, sagte plötzlich eine Stimme hinter ihm. Die Stille des Waldes war mit einem Mal dahin, und Tubruk schreckte auf. Mit der Axt in der Hand drehte er sich rasch um.
Nicht weit von ihm saß Brutus mit verschränkten Armen auf einem Baumstumpf. Ein vertrautes Grinsen ließ seine Augen aufleuchten. Tubruk lachte vor Freude, ihn zu sehen, laut los. Dann lehnte er den Axtstiel gegen den dicken Stamm der Eiche. Einen Augenblick sagte keiner der beiden ein Wort. Dann trat Tubruk zu Brutus, schlang die Arme fest um ihn und zog ihn vom Baumstumpf hoch.
»Bei den Göttern, Marcus. Wie schön, dich zu sehen«, sagte Tubruk gerührt und ließ Brutus wieder los. »Du hast dich verändert. Du bist größer geworden! Lass dich anschauen!«
Der alte Gladiator machte einen Schritt zurück und streifte sich dabei seine Tunika über.
»Das ist die Rüstung eines Zenturio. Also ist es dir gut ergangen.«
»Bronzefaust«, erwiderte Brutus einfach. »Wir haben nie eine Schlacht verloren. Obwohl es ein- oder zweimal ziemlich knapp war, weil ich das Kommando hatte.«
»Das bezweifle ich! Bei den Göttern, ich bin stolz auf dich. Bleibst du hier oder bist du nur auf der Durchreise?«
»Meine Pflichtzeit ist abgelaufen. Ich will hier in der Stadt noch ein paar Dinge erledigen, bevor ich mir eine neue Legion suche.«
Erst jetzt bemerkte Tubruk, wie schmutzig und müde der junge Mann war.
»Wie weit bist du gelaufen?«
»Um die halbe Welt, scheint es. Renius gibt sein Geld nicht gern für Pferde aus. Aber wenigstens für ein Stück des Weges haben wir ein paar alte Schindmähren gefunden.«
Tubruk lachte, griff sich die Axt und schulterte sie.
»Dann ist er also mit dir zurückgekommen? Ich dachte, er hätte Rom endgültig den Rücken gekehrt, als bei den Aufständen sein Haus niedergebrannt wurde.«
Brutus zuckte die Schultern. »Er ist gleich los, um sein Land zu verkaufen, dann will er sich etwas zur Miete suchen.«
Bei dem Gedanken an Renius musste Tubruk lächeln. »Rom ist zu ruhig für ihn geworden. Wahrscheinlich langweilt er sich hier entsetzlich.« Er schlug Brutus auf die Schulter. »Komm mit hinunter zum Hof. Dein altes Zimmer ist immer noch so, wie du es verlassen hast, und ein anständiges Bad wird dir den Straßenstaub aus der Lunge spülen.«
»Ist Julius wieder da?«, fragte Brutus unvermittelt.
Tubruk sank ein wenig in sich zusammen, als sei die Axt auf einmal schwerer geworden.
»Wir mussten ein hohes Lösegeld für ihn zahlen, weil seine Galeere von Piraten gekapert wurde. Wir warten immer noch auf Nachricht, ob er wohlauf ist.«
Brutus sah ihn entsetzt an. »Bei den Göttern, das habe ich nicht gewusst! Ist er verwundet worden?«
»Wir wissen gar nichts. Mir wurde lediglich die Lösegeldforderung übermittelt. Ich musste Wachen bezahlen, die das Gold bis zur Küste gebracht und auf ein Handelsschiff verladen haben. Es waren fünfzig Talente.«
»Ich hätte nicht gedacht, dass die Familie überhaupt so viel Geld hat«, sagte Brutus leise.
»Jetzt hat sie es auf jeden Fall nicht mehr. Es ist nur noch der Gewinn von der nächsten Ernte übrig. Uns stehen ein paar harte Jahre bevor, aber wenigstens können wir von den Erträgen noch leben.«
»Er hat genug Pech gehabt. Das reicht für ein ganzes Leben.«
»Es würde mich wundern, wenn ihn das lange bedrücken würde. Julius und du, ihr seid euch sehr ähnlich. Geld kann man sich immer wieder beschaffen, wenn man lange genug lebt. Hast du gewusst, dass Sulla tot ist?«
»Ja, das habe ich gehört. Selbst in Griechenland haben die Soldaten in den Häfen Schwarz getragen. Ist es wahr, dass er vergiftet wurde?«
Tubruk zog die Augenbrauen zusammen und sah einen Moment zur Seite, bevor er antwortete.
»Das stimmt. Er hat sich im Senat viele Feinde gemacht. Antonidus, sein Oberbefehlshaber, sucht immer noch nach seinen Mördern. Ich glaube nicht, dass er die Suche jemals aufgeben wird.«
Während er sprach, dachte er an Fercus und die furchtbaren Tage, die der Nachricht gefolgt waren, dass man ihn verhaftet hatte. Tubruk hatte noch nie zuvor solche Angst verspürt und hatte ständig auf die Soldaten gewartet, die aus der Stadt zum Anwesen herausmarschiert kommen und ihn zu Prozess und Hinrichtung abholen würden. Doch sie waren nicht erschienen, und Antonidus suchte und verhörte weiter. Tubruk wagte nicht einmal, nach Fercus’ Familie zu sehen, aus Angst, Antonidus könnte sie beobachten lassen. Aber er hatte sich geschworen, diese Schuld irgendwie wieder gutzumachen. Fercus war ihm ein wahrer Freund gewesen. Darüber hinaus jedoch hatte er mit einer Leidenschaft an die Republik geglaubt, die den alten Gladiator überrascht hatte, als er ihn in seinen Plan, Sulla zu töten, eingeweiht hatte. Er hatte Fercus nicht erst lange überzeugen müssen.
»…Tubruk?«, unterbrach Brutus seine Gedanken und sah ihn neugierig an.
»Es tut mir Leid. Ich habe gerade an früher gedacht. Man sagt zwar, die Republik sei wieder auferstanden und Rom endlich wieder eine Stadt mit Gesetzen, aber das stimmt nicht. Sie zerfleischen sich gegenseitig, um sich Sullas Nachfolge streitig zu machen. Erst kürzlich sind zwei Senatoren wegen Hochverrat hingerichtet worden, und das allein auf Grund der Aussage ihrer Beschuldiger. Sie bestechen und stehlen und schenken dem Pöbel Getreide, der dann satt und zufrieden nach Hause geht. Es ist eine seltsame Stadt geworden, Marcus.«