Ein wenig schüchtern erzählte Brutus ihnen von dem Schwertturnier, in dem er gegen die Besten der Legion gewonnen hatte.
»Dafür habe ich ein Schwert bekommen, das aus gehärtetem Eisen gemacht ist, also schärfer bleibt. Der Griff ist mit Gold eingelegt. Ich zeige es euch später.«
»Ob es Julius wohl gut geht?«, fragte Cornelia unerwartet dazwischen.
Brutus beantwortete ihre Frage mit einem Lächeln. »Natürlich. Das Lösegeld ist doch gezahlt worden, also ist er jetzt nicht mehr in Gefahr.« Die Worte kamen ihm schnell über die Lippen und Cornelia schien fürs Erste beruhigt. An seinen eigenen Sorgen hatte sich nichts geändert.
An diesem Nachmittag ging er mit Tubruk zusammen wieder den Hügel hinauf zu der Eiche. Beide trugen eine Axt über der Schulter. Als sie bei der Eiche angekommen waren, stellten sie sich links und rechts vom Stamm auf und schlugen abwechselnd mit den Äxten in die Kerbe, die sich immer tiefer in das Holz fraß, je weiter der Tag voranschritt.
»Es gibt noch einen anderen Grund, warum ich nach Rom zurückgekommen bin«, sagte Brutus und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Tubruk ließ die Axt sinken und keuchte eine Weile schwer, ehe er etwas sagte.
»Und was ist das für ein Grund?«
»Ich will meine Mutter suchen. Ich bin kein kleiner Junge mehr, und ich will wissen, woher ich komme. Ich dachte, vielleicht weißt du, wo ich sie finden kann.«
Tubruk schnaufte vernehmlich und nahm die Axt wieder auf.
»Das wird dir nur Kummer und Schmerz einbringen, mein Junge.«
»Ich muss es aber tun. Ich habe doch eine Familie.«
Tubruk hieb die Klinge seiner Axt mit so gewaltiger Wucht in die Kerbe, dass sie sich tief im Holz verkeilte.
»Deine Familie ist hier«, sagte er mit Bestimmtheit, und hebelte die Axt wieder heraus.
»Aber die andere Familie ist mein eigen Fleisch und Blut. Meinen Vater habe ich nie kennen gelernt. Ich will wenigstens wissen, wer meine Mutter ist. Wenn sie stirbt, ohne dass ich sie je zu Gesicht bekommen habe, würde ich das mein Leben lang bedauern.«
Tubruk hielt erneut inne und seufzte dann, bevor er zu einer Antwort ansetzte.
»Sie lebt in der Villa Festus am äußeren Rande der Stadt, in der Nähe des Quirinalbergs. Überleg es dir gut, bevor du dort hingehst. Es könnte eine Enttäuschung für dich sein.«
»Nein, das glaube ich nicht. Sie hat mich damals im Stich gelassen, als ich erst ein paar Monate alt war. Was sollte mich jetzt noch enttäuschen?«, fragte Brutus leise, ehe auch er wieder die Axt aufnahm und weiter auf den alten Baum einhieb.
Als die Sonne unterging, lag die Eiche gefällt am Boden, und sie gingen im Dämmerlicht zusammen zum Gutshaus zurück. Dort stand Renius im Schatten des Tores und wartete auf sie.
»An der Stelle, an der mein Haus stand, haben sie schon wieder gebaut«, sagte er wütend zu Brutus. »Und ein paar junge Legionäre haben mich als Unruhestifter vor die Tore der Stadt geführt. Sie haben mich aus meiner eigenen Stadt hinausgeworfen!«
Tubruk brach in schallendes Gelächter aus.
»Hast du ihnen etwa gesagt, wer du bist?«, fragte Brutus und versuchte ernst zu bleiben.
Sichtlich verärgert von ihrer Heiterkeit knurrte Renius wütend: »Sie kannten noch nicht mal meinen Namen. Alles Milchbärte, kaum der Mutterbrust entwöhnt.«
»Wir haben noch ein Zimmer für dich frei«, sagte Tubruk.
Renius sah seinem ehemaligen Schüler zum ersten Mal richtig in die Augen.
»Wie viel verlangst du?«, fragte er misstrauisch.
»Lediglich das Vergnügen deiner Gegenwart, alter Freund. Sonst nichts.«
Renius schnaubte verächtlich. »Dann bist du ein Dummkopf. Ich hätte anständig gezahlt.«
Auf Tubruks Zuruf hin wurde das Tor geöffnet, und Renius stolzierte vor ihnen her in den Innenhof. Brutus fing Tubruks Blick von der Seite auf und musste schmunzeln, als er sah, wie viel Zuneigung darin lag.
11
Brutus stand an der Kreuzung am Fuße des Quirinalhügels und ließ die geschäftige Menge an sich vorbeiziehen. Er war früh aufgestanden, hatte seine Rüstung überprüft und Tubruk insgeheim für die frische Untertunika gedankt, die er ihm herausgelegt hatte. Obwohl er wusste, dass es in gewisser Hinsicht lächerlich war, sich deswegen Gedanken zu machen, hatte er jedes Teil der Rüstung eingeölt und poliert, bis es glänzte. Er hatte das Gefühl, aus den dunkleren Farben der Menge herauszustechen, andererseits beruhigte ihn allein schon das Gewicht, als könnte es ihn vor mehr schützen als vor Waffen.
Die Bronzefaust hatte ihren eigenen Waffenschmied, und wie alle anderen in der Zenturie war er der Beste gewesen. Die Beinschiene, die Brutus am rechten Bein trug, war kunstvoll gestaltet und folgte dem Verlauf der Muskeln. Sie war mit einem mit Säure eingeätzten, kreisförmigen Muster verziert und hatte ihn einen ganzen Monatssold gekostet. Schweiß rann hinter der Hülle aus Metall hinab. Er bückte sich und versuchte erfolglos, die Haut dahinter zu kratzen. Den Federbusch des Helmes hatte er aus praktischen Erwägungen auf dem Gut gelassen. Es ging nicht, dass er damit an den Türstürzen im Haus seiner Mutter hängen blieb.
Er war vor dem Gebäude stehen geblieben und betrachtete es jetzt nachdenklich. Eigentlich hatte er ein Wohnhaus mit vier oder fünf Stockwerken erwartet, sauber, aber klein. Stattdessen war die Straßenfront mit dunklem Marmor verkleidet, fast wie ein Tempel. Die Hauptgebäude waren wegen des Staubs und des Gestanks etwas von der Straße zurückgesetzt und nur durch das Gitter eines hohen Tores zu sehen. Brutus überlegte, ob das Haus des Marius größer gewesen war… wahrscheinlich schon, aber das war schwer zu sagen.
Tubruk hatte ihm nicht mehr als die Adresse verraten, doch als Brutus sich umschaute, sah er, dass er sich hier in einer wohlhabenden Gegend befand. Ein großer Teil der Menschen auf den Straßen waren Diener und Sklaven, die Besorgungen für ihre Herren machten und mit Gütern aller Art beladen waren. Er hatte erwartet, seine Mutter würde von ihrem Sohn, der es bis zum Zenturio gebracht hatte, beeindruckt sein, jetzt jedoch, wo er das Haus sah, wurde ihm klar, dass sie ihn vielleicht nur für einen gewöhnlichen Soldaten halten würde, und er zögerte.
Er überlegte, ob er zum Gut zurückkehren sollte. Renius und Tubruk würden ihn willkommen heißen, ohne über sein Versagen zu urteilen. Aber hatte er dieses Treffen nicht auf dem ganzen langen Heimweg aus Griechenland geplant? Es wäre lächerlich, beim Anblick des prächtigen Hauses kehrtzumachen.
Er holte tief Luft und überprüfte ein letztes Mal den perfekten Sitz seiner Rüstung. Die Lederriemen waren verschnürt, er konnte keinen Makel feststellen. So war es in Ordnung.
Als er weiterging, machte ihm die Menge Platz, ohne zu drängeln. Aus der Nähe weckte das Tor Erinnerungen an Marius’ Haus am anderen Ende der Stadt. Kaum hatte er das Gitter erreicht, schwangen die Flügel auch schon auf; ein Sklave verbeugte sich und winkte ihn herein.
»Hier entlang, Herr«, sagte der Sklave, verriegelte das Tor und ging ihm durch einen schmalen Korridor voran. Brutus folgte ihm mit klopfendem Herzen. Wurde er etwa erwartet?
Der Bedienstete führte ihn in einen Raum, der zu den luxuriösesten Gemächern gehörte, die er jemals gesehen hatte. Von unten und oben vergoldete Marmorsäulen trugen die Decke. Weiße Statuen säumten die Wände, Liegen waren um ein zentrales Wasserbecken gruppiert, in dem große Fische fast bewegungslos durch die kühlen Tiefen glitten. Seine Rüstung erschien ihm in der Stille schwerfällig und laut, und Brutus wünschte sich, er hätte vor dem Eintreten die Beinschiene abgeschnürt und sich ordentlich gekratzt.
Der Sklave verschwand durch eine andere Tür, und Brutus blieb alleine mit dem Plätschern des Wassers zurück. Es war sehr friedlich, und nach kurzer Überlegung nahm er seinen Helm ab und fuhr sich mit den Händen durch das feuchte Haar.