»Ich hätte gedacht, du würdest älter aussehen«, murmelte er, und in ihren Augen blitzte Verärgerung auf.
»Ich sehe aus, wie ich aussehe. Aber ich weiß immer noch nicht, wer du bist.«
Brutus steckte das Schwert weg und fragte sich, ob er nicht einfach gehen sollte. Das hieß, falls sie ihn gehen ließ. Die beiden Wachen waren vielleicht nicht die einzigen Soldaten in ihren Diensten. Er wollte sagen, wer er war, ihre Selbstsicherheit erschüttern, wollte sehen, wie sich ihre Augen vor Staunen weiteten, wenn ihr klar wurde, was für ein eindrucksvoller junger Mann er geworden war.
Dann kam ihm das alles sinnlos vor. Nachdem er die Erinnerung daran lange unterdrückt hatte, fiel ihm wieder ein, wie er Julius’ Vater über sie hatte reden hören, und er seufzte, da er dessen Worte nun bestätigt fand. Er war in einem Bordell, egal, wie vornehm es auch erscheinen mochte. Es spielte eigentlich keine Rolle, was sie von ihm hielt.
»Mein Name ist Marcus. Ich bin dein Sohn«, sagte er mit einem Achselzucken.
Sie erstarrte wie eine der Statuen. Lange hielt sie seinem Blick stand, dann füllten sich ihre Augen mit Tränen. Scheppernd ließ sie den Bogen fallen, lief den Korridor hinunter und schlug die Tür mit einem Krachen hinter sich zu, das die Wände erzittern ließ.
Die Wachen starrten Brutus mit offenem Mund an.
»Stimmt das, Herr?«, fragte einer der beiden brummig. Marcus nickte, und der Mann wurde rot vor Verlegenheit. »Das wussten wir nicht.«
»Ich habe es euch auch nicht gesagt. Hört zu, ich gehe jetzt wieder. Wartet da draußen irgendjemand, der mir einen Bolzen durch den Leib jagen will, wenn ich durch die Tür komme?«
Der Mann entspannte sich sichtlich. »Nein«, antwortete er. »Ich und der Junge sind die einzigen Posten hier. Normalerweise braucht sie keine.«
Brutus wandte sich zum Gehen, als der Mann noch etwas sagte.
»Sulla hat die Primigenia im Senat von der Liste streichen lassen. Wir mussten jede Arbeit annehmen, die wir finden konnten.«
Brutus drehte sich wieder zu ihm um und wünschte, er könnte ihnen mehr anbieten.
»Ich weiß jetzt, wo ihr seid. Ich weiß, wo ich euch finde, wenn ich euch brauche«, sagte er. Der Wächter streckte die Hand aus, und Brutus ergriff sie nach Art der Legionäre.
Beim Hinausgehen gelangte Brutus wieder in den Raum mit dem Wasserbecken, der nun glücklicherweise verlassen war. Er blieb kurz stehen, um seinen Helm mitzunehmen und sich Gesicht und Hals mit Wasser zu benetzen. Seine Verwirrung konnte es nicht kühlen. Er fühlte sich von den Ereignissen wie betäubt und wünschte, er wäre an einem ruhigen Ort, wo er über alles, was geschehen war, nachdenken konnte. Der Gedanke, sich durch die wimmelnden Menschenmengen drängen zu müssen, behagte ihm nicht, aber er musste auf das Gut zurückkehren. Er hatte kein anderes Zuhause.
Am Tor kam eine Sklavin auf ihn zugerannt. Beim Klang der Schritte hätte er beinahe wieder das Schwert gezogen, doch es war nur ein junges, unbewaffnetes Mädchen. Sie schnappte nach Luft, als sie ihn einholte, und beinahe abwesend betrachtete er, wie sich ihre Brust hob und senkte. Noch eine ungewöhnliche Schönheit. Das Haus war voll davon.
»Die Herrin hat gesagt, du sollst morgen früh wiederkommen. Sie wird dich dann empfangen.«
Verwundert stellte Brutus fest, dass sich seine Laune bei diesen Worten besserte.
»Ich werde hier sein«, erwiderte er.
Der Küstenverlauf deutete darauf hin, dass es bis zur nächsten Siedlung weiter war, als die Soldaten an einem Tag marschieren konnten. Bisher waren sie besser vorangekommen, wenn sie den Trampelpfaden großer Tiere folgten, bis diese sich wieder von der Küste wegschlängelten. Julius wollte sich nicht zu weit vom Geräusch der Brandung entfernen, weil er fürchtete, sich zu verirren. Sobald sie einen Pfad verließen, mussten sie sich ihren Weg unter schweißtreibender Arbeit durch Gestrüpp und mannshohe Hecken bahnen, deren rote Dornen aussahen, als wären sie bereits in Blut getaucht worden. Nur ein Stück weit vom Meer entfernt war die Luft stickig und feucht, und die Soldaten wurden von stechenden Insekten gepeinigt, die unsichtbar von den schweren Blättern aufstiegen, sobald die Römer sie berührten.
Als sie am Abend ihr Lager aufschlugen, fragte sich Julius, ob die isolierte Lage der römischen Siedlungen einem weitsichtigen Plan des Senats zu verdanken war, der verhindern sollte, dass diese weit verstreuten Dörfer sich zusammenschlossen, doch er vermutete, dass ihnen so einfach Raum zum Wachsen bleiben sollte. Er überlegte, ob er die Männer auch durch die Dunkelheit weitermarschieren lassen konnte, aber die Offiziere von der Accipiter fühlten sich in der heißen afrikanischen Nacht weitaus weniger wohl als die Neulinge, die hier aufgewachsen waren. Die Rufe und Schreie unbekannter Tiere weckten sie und ließen sie nach ihren Schwertern greifen, wohingegen die Rekruten ungerührt weiterschliefen.
Julius hatte Pelitas die Aufgabe zugeteilt, Wachposten auszuwählen und dabei immer neue Männer mit anderen seines Vertrauens zu Paaren zusammenzustellen. Er war sich darüber im Klaren, dass sich den jungen Dorfbewohnern auf jeder Meile entlang der schmalen Trampelpfade die Gelegenheit zum Desertieren bot. Da sie nur über wenige Waffen verfügten, blieben sie tagsüber unbewaffnet, den Lagerwachen jedoch musste man Schwerter aushändigen, und der eine oder andere musterte die alten, eisernen Klingen mit einer gewissen Habgier. Julius hoffte, dass es nur die Gier nach den Dingen ihrer Väter war und nicht das Verlangen, etwas zu stehlen und sich damit aus dem Staub zu machen.
Die Nahrungssuche stellte ihn vor ähnliche Probleme. Es war von entscheidender Bedeutung für die Männer der Accipiter, dass sie sich hinsichtlich der Verpflegung nicht von ihren Schützlingen abhängig machten. Das nämlich hätte eine kleine, aber nicht unwichtige Änderung der Autoritätsstruktur bedeutet, die Julius vorgegeben hatte, denn diejenigen, die das Essen verteilten, waren die Herren, völlig unabhängig von ihrem Rang. Diese Wahrheit war älter als Rom selbst.
Er dankte den Göttern für Pelitas, der in diesem fremden Land kleine Tiere ebenso leicht aufspürte und fing, wie früher beim Wildern in den Wäldern Italiens. Sogar die Rekruten waren beeindruckt, wenn sie sahen, wie er nach wenigen Stunden mit den leblosen Körpern von vier Hasen wieder zur Gruppe stieß. Bei fünfzehn Mann, die ernährt werden wollten, war die abendliche Jagd zu einer überlebenswichtigen Fähigkeit geworden. Pelitas verhinderte so, dass sich der Trupp in zwei Gruppen aufteilte: diejenigen, die selbst jagen konnten, und die, die darauf warten mussten, von den anderen etwas zu essen zu bekommen.
Julius sah zu seinem Freund hinüber, der gerade damit beschäftigt war, Scheiben von einem Ferkel abzuschneiden, das er am Tage gefangen hatte, indem er ihm mit einem flink geschleuderten Stein ein Bein gebrochen hatte, als es kurz vor ihnen aus dem Gebüsch hervorgebrochen war. Die Mutter ließ sich nicht blicken, obwohl aus dem entfernten Dickicht Quieken zu hören war. Julius wünschte, sie wäre näher gekommen, damit sie sich auf ein Festmahl und nicht nur auf ein paar heiße Bissen freuen könnten. An den Männern der Accipiter war kein Gramm überflüssiges Fett, und es würde noch eine Weile dauern, bis sie nicht mehr so ausgemergelt aussahen. Sein Mund zuckte, als ihm klar wurde, dass er selbst nicht anders aussah. Es war lange her, seit er das letzte Mal in einen Spiegel geblickt hatte, und er fragte sich, ob sich sein Aussehen eher zum Guten oder zum Schlechten verändert hatte. Würde Cornelia erfreut sein, wenn sie ihn wiedersah, oder eher erschrocken und bestürzt über den verbitterten Blick, den er in seinen Augen wähnte, ein stummes Zeugnis der Schrecken seiner Gefangenschaft?
Dann musste er über seine eigenen Gedanken lachen. Er war derselbe, egal, wie sehr sich sein Gesicht auch verändert haben mochte.