Suetonius sah bei dem Lachen sofort auf, weil er schnell alles als Beleidigung auffasste. Es fiel Julius schwer, den jungen Mann nicht ständig zu reizen, aber in diesem Punkt hatte er sich selbst strengste Zurückhaltung auferlegt. Er spürte, wie sehr die Bosheit der Furcht entsprang, Julius könnte seine neu gewonnene Autorität dazu benutzen, alte Rechnungen zu begleichen. Doch er durfte sich nicht einen Augenblick dieser Verlockung hingeben, wenn er die Einigkeit, die er zu schaffen hoffte, nicht gefährden wollte. Er wusste, dass er ein Anführer werden musste, der über derlei kleine Streitigkeiten erhaben war, der auf die anderen wirkte, wie Marius einst auf ihn gewirkt hatte – als wäre er aus besserem Holz geschnitzt. Er nickte Suetonius kurz zu und blickte dann zu den anderen hinüber.
Gaditicus und Prax beaufsichtigten das Lager und markierten seine Grenzen in Ermangelung von etwas Besserem mit heruntergefallenen Ästen. Julius hörte sie die Vorschriften für Wachposten mit den Männern wiederholen, und lächelte bei den Erinnerungen, die dies weckte.
»Wie oft wird angerufen?«, fragte Prax Ciro, so wie vorher alle anderen Männer.
»Einmal, Herr. Sie rufen, dass sie sich dem Lager nähern wollen, und ich sage: ›Tretet vor und gebt euch zu erkennen.‹«
»Und falls sie nicht rufen, wenn sie sich dem Lager nähern?«, fragte Prax gut gelaunt.
»Dann wecke ich jemanden, warte, bis sie näher gekommen sind, und schlage ihnen die Köpfe ab.«
»Guter Junge. Hals und Unterleib, denk immer dran. An allen anderen Stellen könnte ihnen immer noch genug Kraft bleiben, um dich mitzunehmen. Hals und Unterleib geht am schnellsten.«
Ciro grinste und nahm eifrig jede noch so winzige Information auf, die Prax ihm zuwarf. Julius gefiel der Mut des großen Mannes. Er wollte ein Legionär sein, das erfahren, was sein Vater einst geliebt hatte. Auch Prax hatte seine Freude daran entdeckt, anderen all die Dinge beizubringen, die er in den Jahrzehnten, während derer er für Rom marschiert und gesegelt war, gelernt hatte. Mit der Zeit würden die neuen Männer jeden täuschen. Sie würden wie Legionäre aussehen und in dem gleichen lockeren Tonfall reden, die gleichen Ausdrücke benutzen.
Julius legte die Stirn in Falten, während er eine gemütliche Position zum Liegen suchte. Ob sie standhalten würden, wenn alle um sie herum gefallen waren und der Feind ihnen unter Triumphgeheul den sicheren Tod brachte… das würden sie erst erfahren, wenn es so weit war. Es war nicht gerade hilfreich, dass auch die Männer der Accipiter nicht sicher waren, woher dieser verwegene Mut stammte. Ein Mann konnte sein ganzes Leben lang jedem Konflikt aus dem Weg gehen und dann sein Leben wegwerfen, um jemanden zu beschützen, den er liebte. Julius schloss die Augen. Vielleicht war das der Schlüssel, doch nur wenige Männer liebten Rom. Die Stadt war zu groß, zu unpersönlich. Die Legionäre, die Julius gekannt hatte, dachten nie an die Republik der freien Wähler, erbaut auf sieben Hügeln an einem Fluss. Sie kämpften für ihren Feldherrn, ihre Legion, sogar für ihre Zenturie oder ihre Freunde. Ein Mann, der neben seinen Freunden steht, kann nicht weglaufen, schon der Schande wegen nicht.
Plötzlich schrie Suetonius laut, sprang auf und schlug wütend auf sich herum.
»Hilfe! Hier ist irgendwas auf dem Boden!«, rief er.
Julius sprang auf, und die anderen Männer sammelten sich mit gezogenen Schwertern um das Feuer. Mit Freude bemerkte Julius, dass Ciro auf seinem Posten geblieben war.
Im Licht des Feuers zog sich eine schwarze Reihe riesiger Ameisen wie Öl über den Boden und verlor sich in den Schatten jenseits des Lichtkreises. Suetonius fing an, sich wie rasend die Kleidung vom Leib zu reißen.
»Sie sind überall auf mir!«, jammerte er.
Pelitas trat hinzu, um ihm zu helfen, und sobald er seinen Fuß in die Nähe der Kolonne gesetzt hatte, hielt ein Teil davon auf ihn zu. Mit einem Aufschrei wich er zurück und zupfte mit den bloßen Fingern an seinen Beinen.
»Aah, bei den Göttern, macht sie ab!«, schrie er.
Im Lager brach Chaos aus. Diejenigen, die an der Küste aufgewachsen waren, blieben viel ruhiger als die Offiziere der Accipiter. Die Ameisen verbissen sich so tief wie Ratten, und wenn die Soldaten sie erwischten, brachen die Körper ab und die Köpfe blieben zurück und bohrten sich im Todeskampf in die Haut. Sie saßen zu fest, um sich mit den Fingern entfernen zu lassen, und schon bald war Suetonius über und über mit den schwarzen Köpfen bedeckt. Seine Hände waren voller Blut, weil er an ihnen zerrte.
Julius rief Ciro herbei und sah zu, wie er ruhig die beiden Römer untersuchte und die verbliebenen Insektenkörper mit seinen kräftigen Händen abbrach.
»Sie stecken immer noch in mir! Kannst du ihre Köpfe nicht rauskriegen?«, flehte ihn Suetonius an. Er zitterte vor Schrecken, während er fast vollkommen nackt vor dem großen Mann stand, der seine Haut nach den letzten Ameisen absuchte.
Ciro zuckte die Achseln. »Die Kiefer muss man mit einem Messer herausschneiden, man kann sie nicht aufbrechen. Die Stämme hier benutzen sie, um Wunden zu schließen, wie Nähte.«
»Was sind das für Biester?«, fragte Julius.
»Soldaten des Waldes. Sie bewachen die Kolonne auf dem Marsch. Mein Vater sagte immer, sie wären wie die Vorreiter, die Rom einsetzt. Wenn man sie in Ruhe lässt, greifen sie einen nicht an, aber wenn man ihnen im Weg ist, machen sie einem Beine, wie bei Suetonius.«
Pelitas blickte hasserfüllt auf die Kolonne, die immer noch durch das Lager strömte.
»Wir könnten sie verbrennen«, meinte er.
Ciro schüttelte heftig den Kopf. »Die Reihe ist endlos. Es ist besser, wenn wir uns einfach von ihr entfernen.«
»In Ordnung, ihr habt gehört, was er gesagt hat«, entschied Julius. »Packt eure Sachen und macht euch bereit. Wir ziehen eine Meile weiter die Küste entlang. Suetonius, zieh dich an und mach dich marschbereit. Du und Pelitas, ihr könnt die Köpfe aus eurer Haut holen, wenn wir unser neues Lager aufgeschlagen haben.«
»Es ist die Hölle«, wimmerte Suetonius.
Ciro blickte ihn an, und Julius verspürte Scham und Wut über den jungen Offizier, der den Rekruten ein so jämmerliches Bild bot.
»Beweg dich, oder ich binde dich höchstpersönlich über den Ameisen fest«, sagte er.
Die Drohung zeigte Wirkung, und ehe der Mond viel weiter über den Himmel gewandert war, hatten sie ein neues Lager aufgeschlagen. Ciro führte die Wache mit seinen beiden Gefährten zu Ende. Am Morgen würden alle müde sein, weil sie wegen der ganzen Aufregung zu wenig geschlafen hatten.
In Julius’ Kopf pochte es langsam, ein Schmerz, der sich den Rhythmen der brummenden Insekten um sie herum anzupassen schien. Jedes Mal, wenn er in den Schlaf sank, spürte er den Stich eines Insekts, das sich auf einer unbedeckten Stelle der Haut niedergelassen hatte. Wenn er die Plagegeister totschlug, hinterließen sie Spuren seines eigenen Blutes, aber stets schienen die nächsten nur darauf zu warten, dass er still lag. Er legte sich das Gepäck als Kissen unter den Kopf, bedeckte sein Gesicht mit einem Tuch und sehnte sich nach dem fernen römischen Himmel. Im Geiste sah er Cornelia vor sich und lächelte. Kurz darauf holte ihn die Erschöpfung ein.
Mit roten, juckenden Pusteln auf der Haut und dunklen Ringen unter den Augen erreichten sie vor der Mittagsstunde die nächste Siedlung, die weniger als eine Meile von der Küste entfernt lag. Julius führte die Männer auf den Dorfplatz und genoss den Anblick und den Geruch der Zivilisation. Wieder überraschte ihn das Fehlen jeglicher Befestigungsanlagen. Die alten Soldaten, die an dieser Küste Land zugeteilt bekommen hatten, schienen keine Angst vor Angriffen zu haben, dachte er. Die Höfe waren klein, doch es musste Handel zwischen diesen abgelegenen Orten und den Dörfern der Eingeborenen tiefer im Landesinneren geben. Er erblickte einige schwarze Gesichter unter den Römern, die sich versammelt hatten, um seine Männer zu betrachten. Im Stillen fragte er sich, wie lange es wohl dauern würde, bis sich das römische Blut völlig vermischt und verloren hatte, bis spätere Generationen in ferner Zukunft nichts mehr von den Stammvätern und ihrem Leben wussten. Wahrscheinlich fiel das Land wieder in den Zustand zurück, in dem es sich befunden hatte, ehe die Römer kamen, und auch die Geschichten am Lagerfeuer würden immer weniger werden und schließlich in Vergessenheit geraten. Ob sie sich wohl noch an das Reich der Karthager erinnerten, die mit Tausenden von Schiffen von Häfen an ebenjener Küste aus die Welt erforscht hatten? Es war ein bedrückender Gedanke, über den er später weiter nachdenken wollte, denn er wusste, dass er sich jetzt konzentrieren musste, wenn er diesen Ort mit noch mehr von dem, was er brauchte, verlassen wollte.