»Ich… sollte mich bei einer neuen Legion verpflichten«, sagte er gedehnt. »Ich könnte fast überall einen Posten als Zenturio annehmen.«
»Ach, ich glaube, für meinen Sohn kann ich etwas Besseres arrangieren«, sagte sie unbekümmert.
Er blieb stehen und ergriff sanft ihren Arm. »Was… wie?«, setzte er an.
Seine Verwirrung brachte sie zum Lachen, und er errötete.
»Manchmal vergesse ich ganz, wie naiv du doch sein kannst«, meinte sie und nahm ihren Worten mit einem Lächeln die Schärfe. »Wahrscheinlich hast du zu viel Zeit mit Marschieren und Kämpfen zugebracht. Ja, daran wird es wohl liegen. Du warst zu lange unter Wilden und Soldaten und hast dich in deinem Leben noch nie um Politik gekümmert.«
Sie hob die Hand und legte sie mit liebevollem Druck auf die seine, die sie festhielt.
»Der Senat besteht eben nur aus Männern, und Männer tun nur selten das, was richtig ist. Meistens tun sie nur dann etwas, wenn man sie dazu überredet, es ihnen befiehlt oder wenn man sie einschüchtert. Großzügige Bestechungssummen wandern von einer Hand zur anderen, aber Roms eigentliche Währung besteht aus Einfluss und Gefälligkeiten. Ersteren besitze ich, und man schuldet mir viele Gefallen. Die Hälfte der Posten dürfte bereits bei geheimen Vortreffen vergeben worden sein. Über den Rest kann man verhandeln oder ihn einfach einfordern.«
Sie hatte mit einem Lächeln als Reaktion auf ihre Worte gerechnet, aber Brutus sah gequält aus. Sie nahm ihre Hand von seiner.
»Ich dachte, es wäre… anders«, sagte er leise.
Servilia nahm sich zusammen. Sie war hin und her gerissen zwischen dem Verlangen, seine Illusionen nicht zu zerstören und der dringenden Notwendigkeit, den jungen Soldaten mit der Realität vertraut zu machen, ehe er darin umkam.
»Siehst du diese Einfriedung? Weißt du noch, dass ich dir erzählt habe, dass das Volk Roms dorthin kommt, um über die Ernennung des Senats, der Tribunen, der Quästoren und sogar der Prätoren abzustimmen? Es ist eine geheime Abstimmung, und sie nehmen sie sehr ernst. Trotzdem werden immer wieder die gleichen Männer gewählt, die gleichen Familien, mit nur wenigen Abweichungen. Es scheint gerecht zuzugehen, aber die Wähler kennen keine Außenseiter. Nur die Senatoren besitzen genug Ruhm und Reichtum, damit auch die niedrigsten freien Männer der Stadt ihren Namen kennen. Es ist alles nur eine Illusion, aber eine elegante. Das Erstaunliche daran ist, dass einige im Senat wirklich versuchen, das Richtige zu tun und die Stadt und die Lage ihrer Bürger zu verbessern.« Servilia deutete auf das Senatsgebäude. »Es gibt große Männer in diesem Haus, Männer, deren Tätigkeit die Stadt erstrahlen lässt. Den meisten anderen hingegen fehlt jedwede Stärke. Sie bedienen sich der Macht des Senats, um ihren eigenen Reichtum und Einfluss zu mehren. Darüber muss man sich einfach im Klaren sein. Der Senat ist weder böse noch heilig, sondern eine Mischung aus beidem – wie alles andere, dem wir in unserem Leben begegnen.«
Brutus sah sie an und hörte ihr aufmerksam zu. Servilia war weder so distanziert noch so weltverdrossen, wie sie gerne tat. Ihre sonst so zynische Grundhaltung war wie weggeblasen, als sie von den korrupten Senatoren sprach, denen sie offenkundige Verachtung entgegenbrachte. Sie war keine einfache Frau, dachte er nicht zum ersten Mal.
»Ich verstehe dich. Es ist nur so… als ich Marius kennen gelernt habe, hielt ich ihn für einen Gott. Kleinigkeiten haben ihn nicht interessiert. Ich bin so vielen Menschen begegnet, deren Blick nicht über ihre Arbeit oder ihren Rang hinausreichte. Wenn ich heute zurückdenke, war er von einer Vision für diese Stadt erfüllt, und alles, was er anpackte, tat er, um diese Vision in die Realität umzusetzen, ganz egal, was es ihn kosten würde. Er hat alles riskiert, was er besaß, um Sulla zu stürzen, und er hatte Recht damit! Sobald Marius tot war, hat sich Sulla aufgeführt wie der König von Rom.«
Servilia schaute sich besorgt um, ob jemand in Hörweite war, und sagte mit gesenkter Stimme: »Sprich diesen Namen in der Öffentlichkeit nicht so laut aus, Brutus. Die Männer sind vielleicht tot, aber die Wunden sind noch frisch, und Sullas Mörder sind immer noch nicht gefunden worden. Ich bin froh, dass du Marius kennen gelernt hast. Er kam nie in mein Haus, aber selbst seine Gegner hatten Respekt vor ihm. Ich weiß das. Ich wünschte, es gäbe mehr Männer wie ihn.« Ihr Ton wurde wieder fröhlicher, als sie zu einem weniger ernsthaften Thema überging. »Komm, wir gehen weiter, ehe sich die Klatschmäuler fragen, worüber wir uns unterhalten. Ich möchte den Hügel zum Tempel des Jupiter hinaufsteigen. Sulla hat ihn nach dem letzten Bürgerkrieg wieder herrichten lassen und eigens die Säulen von den Ruinen des Zeustempels in Griechenland herbringen lassen. Dort wollen wir ein Opfer darbringen.«
»In seinem Tempel?«, fragte Brutus, nachdem sie sich bereits in Bewegung gesetzt hatten.
»Die Toten haben keine Tempel. Er gehört Rom, oder dem Gott selbst, wenn du so willst. Männer versuchen immer verzweifelt, etwas zu hinterlassen. Ich glaube, aus diesem Grunde liebe ich sie.«
Brutus blickte sie an, wieder einmal überwältigt von dem Gefühl, dass diese Frau schon so viel mehr gesehen und erlebt hatte als er.
»Was meinst du – soll ich einen Posten bei einer Legion annehmen?«, fragte er.
Sie lächelte über seinen Themenwechsel.
»Das wäre wohl der richtige Schritt. Es hat ja wenig Sinn, wenn man mir Gefallen schuldet und ich sie nie einfordere, oder? Du könntest deine ganze Laufbahn als Zenturio verbringen, übergangen von blinden Vorgesetzten, und deine Tage auf einem kleinen Bauernhof in einer kaum befriedeten neuen Provinz fristen, wo du jede Nacht neben deinem Schwert schlafen musst. Nimm, was ich dir geben kann. Es ist mir eine Freude, dass ich dir helfen kann, nachdem du so lange aus meinem Leben verschwunden warst. Verstehst du mich? Das bin ich dir schuldig, und ich begleiche meine Schulden immer.«
»Woran hattest du gedacht?«, fragte er.
»Aha! Habe ich endlich dein Interesse geweckt? Schön. Es würde mir ganz und gar nicht gefallen, wenn es meinem Sohn an Ehrgeiz mangelte. Mal sehen. Du bist kaum neunzehn Jahre alt, also kommen religiöse Posten für die nächsten Jahre noch nicht in Betracht. Es müsste etwas Militärisches sein. Pompeius wird seine Freunde so abstimmen lassen, wie ich es wünsche. Er ist ein alter Weggefährte. Auch Crassus ist mir noch ein paar Gefallen schuldig. Cinna würde den Ausschlag geben. Er ist… eher ein gegenwärtiger Freund.«
Brutus stotterte vor Erstaunen.
»Cinna? Cornelias Vater? Ich dachte, der ist ein alter Mann.«
Servilia lachte leise; es klang tief und sinnlich. »Manchmal ist er das, manchmal auch nicht.«
Brutus wurde dunkelrot vor Scham. Wie sollte er nur Cornelias Blick begegnen, wenn er sie das nächste Mal traf?
Servilia achtete nicht auf seine Verwirrung und fuhr lächelnd fort.
»Mit ihrer Unterstützung könntest du den Befehl über tausend Mann in jeder der vier Legionen bekommen, die derzeit zur Debatte stehen. Was hältst du davon?«
Brutus wäre fast gestolpert. Was sie ihm anbot, war mehr als erstaunlich, aber ihm war klar, dass er aufhören musste, von allem überrascht zu sein, was er über Servilia erfuhr. Sie war auf vielerlei Art eine sehr ungewöhnliche Frau, erst recht als Mutter. Ihm kam ein Gedanke, und er blieb stehen. Sie drehte sich um und blickte ihn mit fragend erhobenen Augenbrauen an.
»Was ist mit Marius’ alter Legion?«
Servilia zog die Stirn kraus. »Die Primigenia gibt es nicht mehr. Selbst wenn man den Namen wieder einführen würde, kann es nicht mehr als eine Hand voll Überlebende geben. Benutze doch mal deinen Kopf, Brutus. Jeder Freund Sullas würde deinen Namen erfahren. Mit viel Glück würdest du ein Jahr überleben.«