Brutus zögerte. Er musste die Frage stellen, sonst würde er immer wieder darüber nachgrübeln, warum er die Chance nicht ergriffen hatte.
»Aber wäre es möglich? Wenn ich das Risiko eingehen würde, könnten die Männer, die du erwähnt hast, anordnen, dass die Legion neu gebildet wird?«
Servilia zuckte die Achseln, und ein weiterer Passant starrte sie einen Augenblick lang gebannt an. Brutus legte die Hand auf den Griff seines Gladius’, und der Mann ging weiter.
»Ja, wenn ich sie darum bitten würde… Aber die Primigenia ist in Ungnade gefallen. Marius wurde zum Staatsfeind erklärt. Wer soll schon unter diesem Namen kämpfen wollen? Nein, das ist unmöglich.«
»Ich möchte sie haben. Nur den Namen und das Recht, Männer zu sammeln und auszubilden. Es gibt nichts, was ich mir sehnlicher wünschte.«
Servilia sah ihm tief in die Augen. »Bist du dir sicher?«
»Können Crassus, Cinna und Pompeius das erreichen?«, fragte er mit fester Stimme.
Servilia lächelte und musste wieder einmal staunen, wie es diesem jungen Mann gelang, ihre Gefühle innerhalb kürzester Zeit zwischen Wut, Belustigung und Stolz wechseln zu lassen. Sie konnte ihm nichts abschlagen.
»Das würde jeden Gefallen erfordern, den ich einklagen kann. Aber diese Männer sind es mir schuldig. Für meinen eigenen Sohn würden sie mir die Primigenia nicht verweigern.«
Brutus warf die Arme um sie, und lachend erwiderte sie seine Umarmung, während er sie vor Glück von den Füßen riss.
»Um eine Legion von den Toten auferstehen zu lassen, musst du Unmengen an Kapital zusammenbringen«, sagte sie, als er sie wieder absetzte. »Ich stelle dich dem Crassus vor. Ich kenne keinen reicheren Mann, und ich glaube auch nicht, dass es irgendwo einen reicheren Mann gibt, aber er ist kein Narr. Du musst ihm irgendetwas als Gegenleistung für sein Gold bieten.«
»Ich denke darüber nach«, sagte Brutus und schaute sich nach dem Senatsgebäude um, das hinter ihnen lag.
Julius, der sich noch gut an seine frustrierenden Erlebnisse an Bord der Accipiter erinnern konnte, hätte es nie für möglich gehalten, einmal für das schwere Gewicht und die geringe Geschwindigkeit einer römischen Galeere dankbar zu sein. Als der Morgen mit dem plötzlichen grellen Licht der tropischen Küste anbrach, hatten seine Männer vor Angst aufgeschrieen, als sie das viereckige römische Segel das erste Mal sichteten. Julius hatte es während der ersten Tageslichtstunden beobachtet, bis er sich sicher war, dass der Abstand schwand. Grimmig hatte er den Befehl gegeben, die Fracht über Bord zu werfen.
Wenigstens hatte der Kapitän, der noch immer an einen Stuhl in seiner Kabine gefesselt war, dies nicht mit ansehen müssen. Wenn er davon erfuhr, würde er vor Wut toben, das wusste Julius, und er würde ihm noch mehr von Celsus’ Gold geben müssen, falls ihnen das Glück hold war. Es blieb ihm wirklich keine andere Wahl, obwohl es eine unangenehme Stunde gewesen war, in der seine Männer die Besatzung in kleinen Gruppen an Deck gebracht hatten, damit sie ihnen dabei half, die kostbaren Waren eines Kontinents ins Kielwasser zu werfen. Einige der wertvollen Hölzer hatten noch auf den Wellen getanzt, auf die sie gefallen waren, die Häute und Stoffballen jedoch waren schnell versunken. Als Letztes gingen die riesigen Stoßzähne aus gelbem Elfenbein über Bord. Julius wusste, wie unbezahlbar sie waren, und er überlegte, ob er sie behalten sollte, ehe sich sein Entschluss festigte und er widerstrebend das Zeichen gab, sie mit dem Rest über Bord zu werfen.
Dann hielt er seine Männer in Bereitschaft und behielt das Segel am Horizont im gleißenden Licht der aufgehenden Sonne im Auge. Falls es noch näher käme, blieb ihm als einziger Ausweg nur, alles, was nicht niet- und nagelfest war, über Bord zu werfen, doch als die Stunden vergingen, wurde die Galeere, die sie verfolgte, immer kleiner, bis sie sich in der Reflexion des Lichts auf dem Meer verlor.
Julius drehte sich zu seinen Männern um, die gemeinsam mit der Mannschaft arbeiteten. Gaditicus war nicht dabei, stellte er fest; er war unter Deck geblieben, als der Befehl erteilt worden war, die Fracht nach oben zu bringen. Sein Blick verfinsterte sich, aber er beschloss, nicht hinunterzugehen und die Konfrontation zu suchen. Früher oder später würde er schon einsehen, dass sie sich an ihren ursprünglichen Plan halten mussten. Das war ihre einzige Hoffnung. Er würde mit der Ventulus ein paar Wochen lang fernab der Küste kreuzen und seine Rekruten weiter in der Kriegsführung zur See ausbilden. Gerne hätte er einen Corvus bauen lassen, aber um einen Piraten zum Angreifen zu verleiten, mussten sie wie ein ganz gewöhnliches Handelsschiff aussehen. Erst dann würde sich herausstellen, ob es ihm gelungen war, aus Bauern Legionäre zu machen, oder ob sie versagen und ihn zwingen würden, mit anzusehen, wie die Ventulus ebenso unter ihm versenkt wurde wie die Accipiter. Er biss die Zähne zusammen und schickte ein kurzes Gebet zu Mars. Sie mussten diese zweite Chance nutzen.
16
Alexandria sah sich in dem kleinen Zimmer um, das ihr angeboten worden war. Es machte nicht viel her, aber wenigstens war es sauber. Jetzt, da sie mit ihrem Schmuck selbst Geld verdiente, ging es einfach nicht mehr an, Tabbic in seinem kleinen Haus weiterhin Platz wegzunehmen. Sie wusste, dass sie der alte Handwerker auch weiter bei sich wohnen lassen und auch eine kleine Miete von ihr annehmen würde, wenn sie darauf bestand, doch in der kleinen Wohnung im ersten Stock war kaum Platz genug für seine eigene Familie.
Sie hatte ihnen nichts von ihrer Suche erzählt, denn sie wollte sie mit einer Einladung zum Essen überraschen, sobald sie etwas gefunden hatte. Inzwischen war schon fast ein Monat der Suche vergangen. Vielleicht empfanden sie es als merkwürdig, wenn eine Frau, die als Sklavin geboren worden war, überhaupt etwas ablehnte, aber die Zimmer, die man ihr für das Geld, das sie auszugeben bereit war, angeboten hatte, waren alle schmutzig, feucht oder mit allerlei hastig davonkrabbelnden Bewohnern bevölkert gewesen, die sie gar nicht genauer kennen lernen wollte.
Sie hätte sich mehr als nur ein Zimmer leisten können, sogar ein eigenes kleines Haus. Ihre Broschen verkauften sich schneller, als sie sie herstellen konnte, und obwohl sie für den größten Teil des Gewinns neue und edlere Metalle erwarb, blieb doch jeden Monat genug übrig, um etwas beiseite zu legen. Vielleicht hatte sie durch ihr Sklavendasein gelernt, den Wert des Geldes zu schätzen, denn sie trauerte jeder Bronzemünze nach, die sie für Essen oder ein Dach über dem Kopf ausgeben musste. Eine hohe Miete zu zahlen kam ihr wie eine Riesenidiotie vor, wenn einem letztendlich nichts davon gehören würde, nachdem man jahrelang sein hart verdientes Geld dafür hergegeben hatte. Es war besser, so wenig wie möglich auszugeben und sich eines Tages ein eigenes Haus zu kaufen, dessen Tür sie vor allem Ungemach der Welt verschließen konnte.
»Nimmst du das Zimmer?«, fragte die Besitzerin.
Alexandria zögerte. Sie war versucht, die Miete weiter herunterzuhandeln, aber die Frau sah erschöpft aus, nachdem sie den ganzen Tag über auf dem Markt gearbeitet hatte, und der Preis war durchaus angemessen. Es wäre nicht richtig gewesen, die offensichtliche Armut der Familie auszunutzen. Alexandria sah die Hände der Frau, die von der Farbe in den Färbebottichen fleckig und wund waren und einen blassblauen Schmierer über dem Auge zurückließen, als sie sich mit einer unbewussten Geste die Haare zurückstrich.
»Ich sehe mir morgen noch zwei andere an. Dann sage ich dir Bescheid«, erwiderte Alexandria. »Soll ich morgen Abend vorbeikommen?«
Die Frau schaute sie resigniert an und zuckte die Achseln. »Frag nach Atia. Ich bin bestimmt hier irgendwo. Aber für den Preis, den du zahlen willst, findest du nichts Besseres. Das ist hier ein sauberes Haus, und die Katze kümmert sich um die Mäuse, die womöglich von draußen reinkommen. Wie du willst.« Sie wandte sich ab und begann die abendlichen Arbeiten damit, dass sie die Lebensmittel zubereitete, die sie als Teil ihres Lohns vom Markt mitgebracht hatte. Das meiste davon war wohl schon fast verdorben, das wusste Alexandria, trotzdem schien Atia ungebrochen von der Mühsal ihres Lebens.