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Es war seltsam, eine freie Frau am Rande der Armut zu sehen. Auf dem Gut, auf dem Alexandria gearbeitet hatte, waren sogar die Sklaven besser ernährt und gekleidet gewesen als die Familie dieser Frau. Aus dieser Warte hatte sie das Leben noch nie betrachtet, und es überkam sie ein seltsames Gefühl der Scham, als sie hier in ihren guten Kleidern stand, mit einer ihrer eigenen Silberbroschen als Schließe ihres Umhangs.

»Ich sehe mir die anderen an und komme dann wieder«, sagte Alexandria entschlossen.

Atia machte sich ohne weiteren Kommentar daran, das Gemüse klein zu schneiden und es in einen eisernen Tiegel zu werfen, der auf einem an die Wand gebauten Lehmofen stand. Selbst die Klinge des Messers, das sie benutzte, war abgenutzt und so schmal wie ein Finger, wurde aber in Ermangelung eines besseren immer noch verwendet.

Draußen auf der Straße wurde plötzlich schrilles Geschrei laut. Kurz darauf kam eine schmuddelige Gestalt durch die Tür gerannt und prallte mit Alexandria zusammen.

»Langsam, Bursche! Du hättest mich ja fast umgerannt!«, sagte Alexandria lächelnd.

Spöttisch sah er sie an. Sein Gesicht war so schmutzig wie der Rest, aber Alexandria konnte trotzdem sehen, dass seine Nase dunkel und geschwollen war. An der Nasenspitze klebte ein Rest Blut, das er sich über die Wange schmierte, als er sich schniefend die Nase abwischte.

Die Frau ließ das Messer fallen und schloss ihn in die Arme. »Was hast du denn jetzt schon wieder angestellt?«, fragte sie ihn und legte besorgt die Finger auf die blutige Nase.

Der Junge grinste und versuchte sich aus ihrer Umarmung zu befreien.

»Nur eine kleine Rauferei, Mama. Die Jungen, die beim Metzger arbeiten, haben mich bis nach Hause gejagt. Ich habe einem von ihnen ein Bein gestellt, als er auf mich losgehen wollte, da ist er auf meiner Nase gelandet.« Der Junge strahlte seine Mutter an, griff unter seine Tunika und zog zwei unverpackte, bluttriefende Koteletts hervor. Seine Mutter stöhnte und nahm sie ihm mit einer schnellen Handbewegung weg.

»Nein, Mama. Die gehören mir! Ich habe sie nicht gestohlen. Sie lagen einfach auf der Straße.«

Das Gesicht seiner Mutter wurde bleich vor Wut, trotzdem hielt er sie mit aller Kraft fest, als sie auf die Tür zuging, und sprang so hoch wie möglich, um ihr seine Beute wieder abzujagen.

»Ich habe dir gesagt, du sollst nicht stehlen und nicht lügen. Nimm deine Hände weg. Wir müssen das hier wieder dorthin zurückbringen, wohin es gehört.«

Alexandria stand zwischen Atia und der Tür, deshalb trat sie hinaus auf die Straße, um sie durchzulassen. Eine Gruppe recht bedrohlich aussehender Jungen lungerte vor der Tür herum. Sie lachten, als sie den kleinen Kerl um seine Mutter herumspringen sahen. Einer von ihnen streckte die Hand aus, und die Koteletts landeten ohne ein Wort klatschend in seiner Handfläche.

»Er ist schnell, Frau. Das muss ich ihm lassen. Der alte Tedus lässt dir ausrichten, dass er beim nächsten Mal die Wache holt, wenn dein Bengel noch einmal klaut.«

»Das ist nicht nötig«, fuhr Atia ihn wütend an und wischte sich das Blut mit einem Lappen von den Händen, den sie aus dem Ärmel zog. »Sag Tedus, er hat immer alles zurückgekriegt, was ihm entwendet wurde, und wenn er die Wache holt, sage ich allen, dass sie nicht mehr in seinem Laden einkaufen sollen. Meinen Sohn bestrafe ich schon selbst, vielen Dank.«

»Man sieht ja, wohin das führt«, sagte der ältere Junge hämisch grinsend.

Atia hob die Hand, und er wich unter schallendem Gelächter zurück. Mit dem Finger zeigte er auf die gedemütigte Gestalt, die immer noch an ihrem Rockzipfel hing.

»Wenn ich deinen kleinen Thurinus noch mal in der Nähe des Ladens entdecke, verpasse ich ihm selber eine Tracht Prügel. Das wirst du schon sehen.«

Atia schoss die Zornesröte ins Gesicht, und sie machte einen Schritt auf die Jungen zu, die das zum Vorwand nahmen, um auseinander zu stieben und davonzurennen, wobei sie sie lauthals beschimpften.

Alexandria stand neben dem Paar und fragte sich, ob sie einfach gehen sollte. Die Szene, die sie miterlebt hatte, ging sie nichts an, aber es interessierte sie doch, was jetzt, da seine Mutter mit ihm allein war, mit dem Lausbuben geschehen würde.

Der kleine Junge schniefte und rieb sich behutsam die Nase.

»Tut mir Leid, Mama. Ich dachte, du würdest dich freuen. Ich habe nicht gedacht, dass sie mich bis nach Hause verfolgen.«

»Du denkst nie. Wenn dein Vater noch lebte, würde er sich für dich schämen, Junge. Er würde dir sagen, dass wir niemals lügen und niemals stehlen. Dann würde er dir mit dem Riemen ordentlich den Hintern versohlen, und das sollte ich eigentlich auch tun.«

Der Junge versuchte ihr zu entkommen und trat nach ihr, doch sie hielt ihn am Arm fest.

»Er war ein Geldwechsler. Du hast gesagt, das sind alles Diebe, also muss er auch einer gewesen sein.«

»Untersteh dich, so etwas zu sagen!«, herrschte Atia ihn mit bleichen Lippen an. Ohne eine Antwort abzuwarten, legte sie den Jungen übers Knie und schlug sechsmal fest zu. Während der ersten drei Schläge wehrte er sich, den Rest ließ er still über sich ergehen. Als sie ihn losließ, sauste er um die beiden Frauen herum, schoss die Straße hinab und verschwand um die nächste Ecke.

Atia seufzte, als sie ihm nachblickte. Alexandria faltete nervös die Hände. Es war ihr peinlich, einen so vertraulichen Augenblick miterlebt zu haben. Plötzlich schien sich Atia an sie zu erinnern und errötete, als sie sie ansah.

»Es tut mir Leid. Es stiehlt andauernd. Allem Anschein nach gelingt es mir nicht, ihm beizubringen, dass man das nicht tut. Er wird immer dabei erwischt, aber eine Woche später versucht er es wieder.«

»Heißt er Thurinus?«, fragte Alexandria.

Die Frau schüttelte den Kopf. »Nein. Die nennen ihn nur so, weil er mit seiner Familie aus Thurin hier in die Stadt gezogen ist. Sie wollen ihn damit ärgern, aber ihm scheint es zu gefallen. Sein richtiger Name ist Octavian, nach seinem Vater. Ein schrecklicher Junge. Erst neun Jahre alt, aber schon mehr auf den Straßen zu Hause als hier in der Wohnung. Ich mache mir große Sorgen um ihn.« Sie blickte Alexandria an, musterte ihre Kleidung und die Brosche.

»Ich sollte dich nicht mit unseren Problemen belästigen. Wir könnten die Miete für das Zimmer gut gebrauchen, das gebe ich gerne zu. Er würde dir nichts stehlen, und wenn er es täte, würde ich es dir sofort zurückgeben, bei meiner Familienehre. Man sieht es ihm nicht an, aber in seinen Adern fließt gutes Blut, das der Octavii und der Cäsar, wenn ihm das bloß mal klar werden würde.«

»Der Cäsar?«, fragte Alexandria barsch.

Die Frau nickte.

»Seine Großmutter war eine Cäsar, ehe sie in meine Familie einheiratete. Zweifelsohne würde sie weinen, wenn sie sehen könnte, wie er bei einem keine drei Straßen weit entfernten Metzger stiehlt. Ich meine, die kennen ihn dort doch! Die brechen ihm die Arme, wenn er es wieder tut, und was soll ich dann machen?« Die Tränen schossen ihr in die Augen, und ohne nachzudenken ging Alexandria zu ihr und legte den Arm um sie.

»Lass uns hineingehen. Ich glaube, ich nehme das Zimmer.«

Die Frau richtete sich auf und funkelte sie wütend an.

»Ich brauche keine Almosen. Wir kommen schon zurecht, und der Junge wird es früher oder später auch noch lernen.«

»Das ist kein Almosen. Dein Zimmer war das erste saubere Zimmer, das ich gesehen habe. Außerdem habe ich vor einigen Jahren einmal… für einen Cäsar gearbeitet. Es könnte dieselbe Familie sein. Wir sind also so gut wie verwandt.«

Die Frau zog erneut das Tuch aus dem Ärmel, wo es eine Beule gebildet hatte, und trocknete sich die Augen.