Die ersten zehn Feinde hatten das Hauptdeck der Ventulus erreicht. Obwohl sie sehr selbstsicher auftraten, bemerkte Pelitas doch, dass sie sich als Einheit bewegten und sich gegenseitig vor einem unvermuteten Angriff schützten. Sie verteilten sich ein wenig unter der sitzenden Mannschaft, und er sah die langen Lederschnüre von ihren Gürteln baumeln, mit denen die Gefangenen gefesselt werden sollten. Diese zehn waren zweifelsohne die besten Kämpfer, Veteranen, die ihr Geschäft verstanden und sich aus brenzligen Situationen heraushauen konnten. Pelitas wünschte, Julius hätte ihn ein Schwert mit an Deck nehmen lassen. Ohne Waffe fühlte er sich entsetzlich nackt.
Die Mannschaft ließ sich ohne Gegenwehr fesseln, und Pelitas zögerte. Es war zu früh für seinen Signalruf, weil erst zehn von ihnen an Deck waren, aber sie arbeiteten sehr konzentriert, und wenn sie die restlichen Männer genauso schnell fesselten, würden sie keine Hilfe mehr sein, sobald der Kampf begann. Er sah vier weitere Piraten über die Reling der Ventulus steigen und blickte dann in das ernste Gesicht eines Mannes, der mit Riemen in der Hand auf ihn zutrat. Vierzehn mussten reichen.
Als der Mann Pelitas’ Blick begegnete, stieß der Römer einen lauten Ruf aus, woraufhin der Pirat erschrocken sein Schwert hob.
»Accipiter!«, schrie Pelitas und rappelte sich auf.
Der Pirat sah ihn verdutzt an und bellte eine Antwort, doch dann flogen die Luken auf, und römische Legionäre mit in der Sonne glänzenden Rüstungen schwärmten aus.
Der Mann neben Pelitas wirbelte herum und starrte sie mit offenem Mund an. Ohne zu zögern sprang ihm Pelitas auf den Rücken und drückte ihm mit aller Kraft seinen Unterarm gegen die Kehle. Der Mann wankte stolpernd ein paar Schritte nach vorne, drehte dann das Schwert in seiner Hand um und rammte es nach hinten in Pelitas’ Brust. Der Römer ging im Todeskampf zu Boden.
Julius führte den Angriff an. Er tötete den ersten Mann, der vor ihm auftauchte und fluchte dann, als er erkannte, dass Pelitas zu früh gerufen hatte. Die Bogenschützen waren immer noch auf dem anderen Schiff. Dunkle Pfeile regneten auf das Deck und töteten eines der gefesselten Mannschaftsmitglieder. Ohne Schilde konnte man ihnen nicht entgehen, und Julius hoffte inständig, der Angriff möge nicht zusammenbrechen. Seine Männer hatten noch nie im feindlichen Feuer gestanden, und selbst den erfahrenen Soldaten fiel es schwer, nicht ihrem Instinkt zu folgen und in Deckung zu springen. Seine Klinge krachte scheppernd gegen eine andere, mit der anderen Hand schlug er seinen Gegner zu Boden. Rasch stach er ihm in die ungeschützte Kehle und trat über ihn hinweg.
Julius schaute sich um und versuchte die Lage zu überblicken. Die meisten Piraten auf der Ventulus waren ausgeschaltet. Seine Männer kämpften gut, obwohl einer oder zwei sich mühten, vor Schmerzen schreiend Pfeile aus ihren Gliedmaßen zu ziehen.
Ein surrender Pfeil traf Julius an der Brust und warf ihn einen Schritt zurück. Er raubte ihm den Atem, aber dann fiel das Ding klappernd auf das hölzerne Deck, und Julius wurde klar, dass ihn seine Rüstung gerettet hatte.
»Entern!«, schrie er, und seine Männer stürzten gemeinsam mit ihm auf das Piratenschiff zu. Weitere Pfeile zischten zwischen ihnen hindurch, ohne großen Schaden anzurichten, und Julius dankte den Göttern für die harten römischen Panzer. Er sprang auf die Reling der Ventulus und rutschte mit seinen eisenbeschlagenen Sandalen aus.
Fluchend landete er mit einem metallischen Scheppern vor den Füßen des Feindes. Ein nach ihm stoßendes Schwert stieß er mit dem Unterarm fort und zog sich dabei eine Wunde zu. Sein Gladius lag unter ihm, und er musste sich erst herunterwälzen, um ihn freizubekommen. Eine weitere Klinge prallte scheppernd gegen seine Schulter und brach ein Stück von seinem Harnisch ab.
Die anderen Römer brüllten auf, als sie ihn fallen sahen, und stürzten sich wütend auf die Piraten, die sich ihnen entgegenstellten. Sie warfen sich ohne jede Vorsicht auf das feindliche Schiff und dehnten ihre Kampflinie an Julius vorbei aus. Gaditicus griff nach seinem Arm und zog ihn auf die Füße.
»Jetzt bist du mir noch etwas schuldig«, knurrte er, als sie zusammen über das feindliche Deck stürmten. Julius rannte auf einen Piraten zu und wollte sich mit ausgestrecktem Gladius auf ihn stürzen, wobei er gleichzeitig mit einem Gegenangriff rechnete. Stattdessen verlor der Mann den Halt, als er außer Reichweite sprang, und warf sein Schwert weg, das über die Planken wirbelte. Er sah völlig verängstigt aus, als Julius langsam seinen schweren Gladius auf seine Kehle niedersinken ließ.
»Bitte! Genug!«, schrie er entsetzt. Julius hielt inne und riskierte einen weiteren raschen Blick in die Runde. Die Piraten wankten. Viele lagen tot auf den Planken, die anderen hatten die Arme gehoben und baten um Gnade. Schwerter fielen aufs Deck. Diejenigen Bogenschützen, die noch am Leben waren, nahmen ihre Bogen herunter. Selbst in der Niederlage gingen sie behutsam mit ihren Waffen um.
Julius trat einen Schritt zurück und drehte sich um. Sein Herz füllte sich mit Stolz.
Seine Rekruten standen in ihren glänzenden Rüstungen und mit ihren Schwertern in der ersten Position da. Sie sahen von Kopf bis Fuß aus wie eine Einheit Legionäre, stark und diszipliniert.
»Steh auf«, sagte er zu dem gestürzten Mann. »Ich nehme dieses Schiff für Rom in Besitz.«
Die Überlebenden wurden mit den Riemen gefesselt, die für die Mannschaft der Ventulus gedacht gewesen waren. Es war schnell getan, auch wenn Julius ein Mannschaftsmitglied zurückhalten lassen musste, dass seinem vormaligen Peiniger gegen den Kopf getreten hatte, nachdem man ihn gefesselt hatte.
»Zehn Peitschenhiebe für diesen Mann«, befahl Julius mit fester und kräftiger Stimme. Seine Männer hielten den Seemann fest gepackt, während die restliche Mannschaft der Ventulus Blicke wechselte. Julius starrte sie streng an. Er wusste, wie wichtig es war, dass sie seine Befehle befolgten. Auf sich alleine gestellt, hätten sie die Gefangenen wahrscheinlich zerstückelt und ihrem jahrelang aufgestauten Hass in einer Orgie der Folter und der Gewalt freien Lauf gelassen. Keiner der Seeleute konnte ihm in die Augen sehen, und schließlich lösten sie sich von den Gruppen der sich gegenseitig beglückwünschenden Männer. Endlich wandte sich Julius ab, um das weitere Vorgehen zu überwachen. Die Ruderer, vor denen er sich gefürchtet hatte, konnte man unter Deck vor Entsetzen über die Kampfgeräusche schreien hören. Er würde Männer nach unten schicken, um sie zu beruhigen.
»Julius! Hier drüben!«, rief eine Stimme.
Prax stützte Pelitas’ Oberkörper und presste eine Hand auf eine offene Wunde weit oben in der Brust. Der Mund seines Freundes war voller Blut, und als Julius ihn sah, wusste er, dass es keine Hoffnung für ihn gab. Cabera hätte ihn vielleicht retten können, aber niemand sonst.
Pelitas röchelte leise. Seine Augen waren geöffnet, aber sie nahmen nichts mehr wahr. Jeder harsche Atemzug ließ mehr Blut von seinen Lippen tröpfeln. Julius hockte sich neben die beiden, und viele andere umringten sie und verdeckten die Sonne. Während sie schweigend zusahen, schienen sich die Sekunden zu dehnen, bis der gequälte Atem schließlich erstarb und der helle Blick sich in ein glasiges Starren verwandelte.
Julius stand auf und sah auf die Leiche seines Freundes hinab. Er gab zweien seiner Männer ein Zeichen.
»Helft Prax, ihn unter Deck zu bringen. Ich werfe keinen von uns zusammen mit denen ins Meer.« Ohne ein weiteres Wort ging er davon, und von ihnen allen verstanden nur die Offiziere der Accipiter, warum er sich so unnahbar geben musste. Der Kommandant durfte vor seinen Männern kein Zeichen der Schwäche zeigen, und jetzt zweifelte keiner von ihnen mehr daran, wer sie anführte. Selbst Gaditicus hielt den Kopf gesenkt, als Julius allein an ihm vorbeischritt.