Der vierte Mann fing sofort an zu reden, als Julius ihm die Fragen stellte.
»Ihr werdet mich so oder so umbringen«, sagte er.
»Nicht, wenn du mir sagst, was ich wissen will«, antwortete Julius.
Der Mann sackte erleichtert zusammen. »Dann bin ich der Kapitän. Tötest du mich jetzt nicht?«
»Wenn du mir sagen kannst, wo Celsus ist, hast du mein Wort«, sagte Julius und beugte sich zu ihm vor.
»Im Winter fährt er nach Samos, in Asien. Das liegt auf der anderen Seite der Griechischen See.«
»Den Namen kenne ich nicht«, sagte Julius misstrauisch.
»Es ist eine große Insel vor der Küste, in der Nähe von Milet. Die römischen Schiffe patrouillieren nicht in dieser Gegend, aber ich bin schon dort gewesen. Ich sage dir die Wahrheit!«
Julius glaubte dem Mann und nickte.
»Ausgezeichnet. Wir machen uns sofort auf den Weg dorthin. Wie weit ist es?«
»Einen Monat, allerhöchstens zwei.«
Bei dieser Antwort furchte Julius die Stirn. Sie würden irgendwo anlegen und Proviant besorgen müssen, was stets ein Risiko bedeutete. Er blickte zu den beiden Soldaten auf.
»Werft die anderen den Haien vor.«
Der Piratenkapitän blickte bei dem Befehl finster drein. »Aber mich nicht. Du hast gesagt, du lässt mich am Leben.«
Julius stand langsam auf. »Ich habe durch deinesgleichen gute Freunde verloren, und auch ein Jahr meines Lebens.«
»Du hast mir dein Wort gegeben! Du brauchst mich, um euch dorthin zu führen. Ohne mich findet ihr die Stelle nie«, sagte der Pirat schnell, und seine Stimme überschlug sich vor Angst.
Julius ignorierte ihn und richtete das Wort an die Soldaten, die seine Arme festhielten.
»Sperrt ihn an einem sicheren Ort ein.«
Als sie gegangen waren, saß Julius alleine in der Kabine und hörte, wie die restlichen Piraten an Deck gezerrt und über Bord geworfen wurden. Er blickte auf seine Hände hinunter, als der Lärm endlich geendet hatte und er wieder nur das Knarren und Ächzen eines Schiffes unter Segeln hörte. Er hatte damit gerechnet, Scham oder Gewissensbisse wegen seines Befehls zu empfinden, aber überraschenderweise passierte nichts dergleichen. Dann schloss er die Tür, damit er um Pelitas weinen konnte.
18
Alexandria seufzte wütend, als sie sah, dass an den Sachen, die sie am Abend zuvor zusammengefaltet weggelegt hatte, ihre Spange fehlte. Wie ein kurzer Blick in die anderen Zimmer ergab, hatte Octavian das Haus schon früh verlassen. Mit energisch vorgerecktem Kinn schloss Alexandria die Haustür hinter sich und machte sich auf den Weg in Tabbics Werkstatt. Es ging ihr nicht nur um das wertvolle Silber oder die vielen Arbeitsstunden, die sie auf das Schmieden und Polieren der Spange verwendet hatte. Es war die einzige, die sie eigens für sich gemacht hatte, und viele Leute, die das Stück gesehen und sie darauf angesprochen hatten, waren später zu ihren Kunden geworden. Das Motiv war ein einfacher Adler, den sie kaum für ihre eigene Schulter ausgewählt hätte, wäre er nicht zum Symbol für alle Legionen geworden, womit er sich allgemeiner Beliebtheit erfreute. Es waren in erster Linie Offiziere, die sie anhielten und sich danach erkundigten, und bei dem Gedanken, dass sie von einem kleinen Gassenjungen gestohlen worden war, ballte sie beim Gehen die Fäuste, während ihr der Mantel ohne die Spange immer wieder von der Schulter rutschte und ständig wieder hochgezogen werden musste.
Er war nicht nur ein Dieb, sondern auch ein Dummkopf, dachte sie. Wie kam er nur auf den Gedanken, dass er nicht erwischt werden würde? Vielleicht – diese beunruhigende Möglichkeit bestand allerdings – war der Junge schon zu sehr an Bestrafungen gewöhnt und bereit, für die Brosche alles über sich ergehen zu lassen, wenn er sie nur behalten konnte. Wütend schüttelte Alexandria den Kopf und malte sich leise murmelnd aus, was sie tun würde, sobald sie ihn zu Gesicht bekam. Er schämte sich für nichts, nicht einmal vor seiner Mutter. Das hatte sie gesehen, als die Schlachterjungen wegen des Fleischs kamen, das er gestohlen hatte.
Vielleicht war es besser, die Angelegenheit Atia gegenüber nicht zu erwähnen. Der Gedanke daran, die Erniedrigung in ihrem Gesicht sehen zu müssen, war zu schmerzlich. Schon nach weniger als einer Woche in ihrer neuen Bleibe hatte Alexandria die Frau ins Herz geschlossen. Sie besaß Stolz und eine gewisse Würde. Leider schien der Sohn nichts davon abbekommen zu haben.
Tabbics Laden war gegen Ende der Aufstände vor zwei Jahren beschädigt worden. Alexandria hatte ihm beim Wiederaufbau geholfen und ein wenig Tischlern gelernt, als er eine neue Tür und neue Werkbänke gebaut hatte. Seine Lebensgrundlage hatte er gerettet, indem er die wertvollen Metalle rechtzeitig in seine eigene Wohnung über dem Laden gebracht und sich dort gegen die Banden von Raptores verbarrikadiert hatte, die plündernd umherzogen, während die Stadt im Chaos versank. Als sich Alexandria dem bescheidenen kleinen Haus näherte, beschloss sie, sich nichts von ihrer Verärgerung anmerken zu lassen. Sie schuldete ihm viel, und nicht nur, weil sie die schlimmste Zeit in der Geborgenheit seiner Familie hatte verbringen dürfen. Es bedurfte keiner Worte, aber sie stand in Tabbics Schuld, und sie hatte sich geschworen, diese Schuld zu begleichen.
Als sie die Eichentür öffnete, wurde sie von schrillem Geschrei empfangen. Befriedigung blitzte in ihren Augen auf, als sie Tabbic erblickte, der den wild um sich schlagenden Octavian mit einem muskulösen Arm in die Luft hielt. Der Kunstschmied sah bei dem Geräusch der sich öffnenden Tür auf und drehte den Jungen zu Alexandria hin.
»Du wirst es nicht glauben, was mir der Bengel hier gerade verkaufen wollte«, sagte er.
Octavian zappelte noch wilder, als er sah, wer gerade hereingekommen war. Er trat nach dem Arm, der ihn anscheinend ohne jede Mühe in die Luft hielt. Tabbic achtete nicht darauf.
Alexandria schoss quer durch die Werkstatt auf die beiden zu.
»Wo ist meine Spange, du kleiner Dieb?«, wollte sie wissen.
Tabbic öffnete die andere Hand. Darin lag der silberne Adler. Alexandria nahm die Spange und steckte sie sich wieder an.
»Der Bursche kam hier einfach rotzfrech hereinmarschiert und sagte, ich solle ihm ein Angebot machen!«, knurrte Tabbic wütend. Als ein Mensch, der selbst ehrlich lebte, verachtete er all jene, die glaubten, sich mit Stehlen ein leichtes Leben machen zu können. Noch einmal schüttelte er Octavian, der wimmerte und dann wieder um sich trat, während seine Augen nach einer Fluchtmöglichkeit suchten.
»Was sollen wir mit ihm machen?«, fragte Tabbic.
Alexandria dachte eine Weile nach. So verlockend es auch sein mochte, den Jungen die ganze Straße hinunterzuprügeln, würde er sich doch mit seinen kleinen Fingern jederzeit wieder an ihrem Eigentum vergreifen können, das war ihr klar. Sie brauchte eine dauerhaftere Lösung.
»Ich denke, ich könnte seine Mutter davon überzeugen, ihn für uns arbeiten zu lassen«, sagte sie nachdenklich.
Tabbic ließ Octavian so weit herunter, bis seine Füße den Boden berührten. Augenblicklich biss ihn der Junge in die Hand, und Tabbic hob ihn lässig wieder in die Luft, wo er in ohnmächtiger Wut an seiner Faust baumelte.
»Das ist doch wohl nicht dein Ernst? Der ist doch nichts weiter als ein Tier!«, sagte Tabbic und betrachtete die schmerzhaften weißen Zahnabdrücke auf seinen Fingerknöcheln.
»Du kannst ihm etwas beibringen, Tabbic. Er hat keinen Vater, der das tun könnte, und wenn er so weitermacht, dürfte er nicht mehr lange genug leben, um erwachsen zu werden. Du hast doch selbst gesagt, dass du jemanden brauchst, der den Blasebalg bedient, und hier gibt es immer etwas zu fegen und zu tragen.«
»Lasst mich los! Ich mache hier überhaupt nichts!«, schrie Octavian.