Tabbic sah ihn sich genauer an. »Der Junge ist so dünn wie eine Ratte. Keine Kraft in den Armen«, sagte er langsam.
»Er ist neun, Tabbic. Was erwartest du denn?«
»Ich würde sagen, der rennt weg, sobald die Tür aufgeht«, fuhr Tabbic fort.
»Wenn er das tut, bringe ich ihn wieder. Irgendwann muss er ja wieder nach Hause, und dort warte ich auf ihn, versohle ihm anständig das Hinterteil und bringe ihn wieder hierher. Solange er hier ist, gerät er nicht in Schwierigkeiten, und das ist für alle Beteiligten von Nutzen. Du wirst auch nicht jünger, und mir kann er an der Esse helfen.«
Tabbic stellte Octavian wieder auf den Boden. Diesmal biss der Junge nicht, sondern betrachtete argwöhnisch die beiden Erwachsenen, die sich über ihn unterhielten, als sei er gar nicht anwesend.
»Wie bezahlt ihr mir dafür?«, fragte er und wischte sich mit schmutzigen Fingern die Tränen der Wut aus den Augen, wodurch er den Schmutz in seinem Gesicht nur noch mehr verschmierte.
Tabbic lachte.
»Dir etwas zahlen!«, sagte er verächtlich. »Junge, du wirst ein Handwerk erlernen. Eigentlich müsstest du uns dafür bezahlen.«
Octavian stieß eine Reihe von Flüchen aus und versuchte erneut, Tabbic zu beißen. Dieses Mal versetzte ihm der Metallschmied ohne hinzusehen einen Schlag mit der flachen Hand.
»Was ist, wenn er die Ware stiehlt?«, wandte er ein.
Alexandria merkte, dass er sich mit der Idee anzufreunden begann. Das war natürlich das Problem. Wenn Octavian sich mit dem Silber, oder noch schlimmer, mit den kleinen Vorräten an Gold, die Tabbic unter Verschluss hielt, aus dem Staub machte, würde er damit ihnen allen schaden. Sie setzte ihre ernsteste Miene auf, packte Octavians Kinn und drehte seinen Kopf zu sich herum.
»Wenn er das tut«, sagte sie und fixierte den kleinen Jungen mit ihrem Blick, »ist es unser gutes Recht, ihn als Sklaven zu verkaufen, um mit dem Erlös seine Schulden zu begleichen. Und seine Mutter auch, falls es nötig sein sollte.«
»Das würdet ihr nicht tun!«, sagte Octavian, der vor Entsetzen über ihre Worte vergaß, sich zu wehren.
»Mein Geschäft ist kein Wohltätigkeitsunternehmen, mein Junge. Wir würden es sehr wohl tun«, erwiderte Tabbic streng. Über Octavians Kopf hinweg zwinkerte er Alexandria zu.
»In dieser Stadt werden Schulden bezahlt – so oder so«, stimmte sie zu.
Der Winter war schnell hereingebrochen. Tubruk und Brutus trugen warme Umhänge, während sie die alte Eiche zu Feuerholz zerkleinerten, das dann mit dem Karren in die Lagerräume des Guts gebracht werden konnte. Renius schien die Kälte nicht zu spüren und ließ seinen Stumpf, hier, wo ihn kein Fremder sehen konnte, nackt im Wind. Er hatte einen Sklavenjungen vom Gut mitgebracht, der ihm die Äste festhielt, während er die Axt schwang. Seit er im Schlepptau von Renius angekommen war, hatte der Junge kein Wort gesagt, doch er trat immer ein Stück beiseite, wenn Renius ausholte. Mit vom Wind gerötetem Gesicht kämpfte er gegen ein Grinsen an, wenn die Klinge abrutschte und Renius stolperte und leise vor sich hin fluchte. Brutus kannte den alten Gladiator gut genug, um im Stillen bei dem Gedanken an die Folgen zusammenzuzucken, falls Renius bemerkte, wie sich das Kind über ihn lustig machte. Die Arbeit brachte sie alle gehörig ins Schwitzen und ließ ihren Atem in der Winterluft in eisigen Wolken aufsteigen. Brutus sah kritisch zu, wie Renius zuschlug und zwei kleinere Holzstücke durch die Luft wirbelten. Er hob erneut seine eigene Axt und blickte zu Tubruk hinüber.
»Am meisten Sorgen bereiten mir die Schulden bei Crassus. Alleine die Kasernen kosten schon viertausend Aurei.«
Brutus schlug zu, während er sprach, und ächzte leise, als der Hieb das Holz sauber durchtrennte.
»Was erwartet er denn als Gegenleistung?«, fragte Tubruk.
Brutus zuckte die Achseln. »Er sagt, ich soll mir keine Sorgen machen. Genau das raubt mir den Schlaf, weil ich ständig daran denken muss. Der Waffenschmied, den er eingestellt hat, stellt mehr an Ausrüstung her, als ich Männer zur Verfügung habe, selbst wenn ich ganz Rom durchkämmen würde. Nur um die Schwerter zu bezahlen, müsste ich mit meinem Sold als Zenturio jahrelang arbeiten.«
»Summen dieser Größenordnung bedeuten Crassus nicht viel. Wenn man den Gerüchten Glauben schenken darf, könnte er den halben Senat kaufen, wenn er wollte«, meinte Tubruk und stützte sich auf seine Axt. Der Wind wirbelte die Blätter auf. Die Luft, die sie einatmeten, biss ihnen mit einer Kälte in die Kehlen, die schon fast wieder angenehm war.
»Ich weiß. Meine Mutter meint, ihm gehört schon jetzt mehr von Rom, als er brauchen kann. Alles, was er kauft, wirft Gewinn ab, und deshalb frage ich mich auch, wo für ihn der Profit beim Kauf der Primigenia liegt.«
Tubruk schüttelte den Kopf und hob wieder die Axt.
»Er hat sie nicht gekauft, und dich auch nicht. Sag so etwas nicht. Die Primigenia ist weder ein Haus noch eine Spange. Nur der Senat kann ihr Befehle erteilen. Falls er glaubt, eine Privatlegion aufstellen zu können, solltest du ihm sagen, dass er eine neue Standarte in die Rollen eintragen lassen soll.«
»Das hat er nicht gesagt. Er unterschreibt nur die Rechnungen, die ich ihm schicke. Meine Mutter glaubt, dass er sich mit dem Geld ihrer Wertschätzung versichern will. Ich würde ihn gerne danach fragen, aber was ist, wenn es stimmt? Ich will meine Mutter weder an diesen noch an irgendeinen anderen Mann verkaufen, aber ich muss die Primigenia haben.«
»Für Servilia wäre es nicht das erste Mal«, bemerkte Tubruk mit einem kleinen Lachen.
Brutus legte seine Axt langsam auf einem Holzklotz ab. Als der alte Gladiator seinen wütenden Gesichtsausdruck sah, hielt er inne.
»Einmal darfst du das sagen, Tubruk. Aber nicht noch einmal«, sagte Brutus. Seine Stimme war so kalt wie der Wind, der sie umspielte. Tubruk stützte sich wieder auf seine Axt und begegnete dem stechenden Blick.
»Du erwähnst sie im Augenblick ziemlich oft. Ich habe dir nicht beigebracht, irgendjemandem gegenüber so schnell deine Deckung aufzugeben. Und Renius auch nicht.«
Wie zur Antwort schnaubte Renius leise, während er ein Stück Ast unter seinen Füßen wegtrat. Sein Haufen gespaltener Holzscheite war kaum halb so groß wie die der anderen, obgleich es ihn mehr Mühe gekostet hatte.
Brutus schüttelte den Kopf. »Sie ist meine Mutter, Tubruk!«
Der ältere Mann zuckte die Achseln. »Du kennst sie nicht, Junge. Ich möchte nur, dass du vorsichtig bist.«
»Ich weiß genug«, sagte Brutus und nahm seine Axt wieder in die Hand.
Fast eine Stunde lang arbeiteten die drei Männer schweigend, hackten Holz und schichteten es auf den kleinen Handkarren, der in der Nähe stand. Als Tubruk schließlich einsah, dass Brutus nichts sagen würde, schluckte er seine Verärgerung hinunter.
»Kommst du mit den anderen auf das Legionenfeld?«, fragte er, ohne ihn anzusehen. Er kannte die Antwort, aber es war wenigstens ein unverfängliches Thema, um ihr Gespräch fortzusetzen. Jedes Jahr im Winter gingen alle Jungen, die sechzehn geworden waren, auf den Campus Martius, wo die neuen Legionen ihre Standarten aufstellten. Nur die Lahmen und Blinden wurden dort abgewiesen. Durch ihre erneute Aufnahme in die Senatsrollen hatte die Primigenia das Recht erworben, ihren Adler neben denen der anderen aufzupflanzen.
»Das muss ich wohl«, erwiderte Brutus, der sich die Worte gegen seinen Willen abrang. Seine Miene hellte sich auf, während er sprach. »Mit denen aus anderen Städten könnten dort bis zu dreitausend Rekruten zusammenkommen. Einige davon werden bei der Primigenia unterschreiben. Die Götter wissen, dass ich die Mannschaftsstärke erhöhen muss, und zwar schnell. Die Unterkünfte, die Crassus gekauft hat, stehen praktisch leer.«
»Wie viel Mann hast du denn schon?«, fragte Tubruk.
»Mit den sieben, die gestern gekommen sind, sind es fast neunzig. Du solltest sie sehen, Tubruk.« Der junge Mann blickte in die Ferne und sah ihre Gesichter wieder vor sich. »Ich glaube, jeder, der den Kampf gegen Sulla überlebt hat, hat sich wieder gemeldet. Ein paar von ihnen haben inzwischen in der Stadt in anderen Berufen gearbeitet, aber sie haben einfach ihre Werkzeuge hingeworfen und alles stehen und liegen lassen, als sie von der Neuaufstellung der Primigenia hörten. Andere haben wir als Wachen vor Häusern und Tempeln gefunden. Auch sie sind ohne Widerspruch mitgekommen. Alles nur der Erinnerung an Marius wegen.«