»Ich weiß noch nicht, was ich damit anfange«, sagte Julius, und sein Lächeln erstarb. »Ich kann nicht nach Rom zurückkehren, wie du weißt.«
»Sulla?«, fragte Gaditicus und erinnerte sich an den jungen Mann, der kurz vor dem Auslaufen in Ostia an Bord seiner Galeere gekommen war, das Gesicht noch verschmiert vom Ruß der brennenden Stadt hinter ihm.
Julius nickte finster.
»Ich kann nicht zurückkehren, solange er am Leben ist«, murmelte er, und seine Laune verfinsterte sich ebenso schnell, wie sie sich gehoben hatte.
»Du bist zu jung, um dir deswegen Gedanken zu machen. Manche Feinde kann man schlagen, andere muss man einfach überleben. Das ist sicherer.«
Julius dachte an diese Unterhaltung, als sie durch den tiefen Kanal segelten, hinter dem Thessaloniki vor den Stürmen des Ägäischen Meeres geschützt lag. Die drei Schiffe segelten Bug an Bug vor dem böigen Wind. Die Segel knatterten, und alle Männer, die sonst nichts zu tun hatten, waren an Deck mit Putzen und Polieren beschäftigt. Er hatte drei Flaggen der Republik für die Masten herstellen lassen, und wenn sie um die letzte Bucht herum auf den Hafen zusteuerten, würden sie einen Anblick bieten, der römische Herzen höher schlagen lassen würde. Er seufzte leise vor sich hin. Rom war alles, was er kannte. Tubruk, Cornelia und Marcus… wann würden sie sich wiedersehen? Seine Mutter. Zum ersten Mal, solange er sich erinnern konnte, wollte er sie sehen, nur um ihr sagen zu können, dass er ihre Krankheit verstand und dass es ihm Leid tat. Ein Leben im Exil war nicht zu ertragen. Er schauderte leicht, als der Wind in seine Haut schnitt.
Gaditicus trat neben ihm an die Reling. »Irgendetwas stimmt hier nicht, mein Junge. Wo sind die Handelsschiffe? Die Galeeren? Vor uns müsste eigentlich ein geschäftiger Hafen liegen.«
Während sie sich näherten, strengte Julius seine Augen an, um etwas an Land erkennen zu können. Dünne Rauchfahnen stiegen in den Himmel, zu viele, um von Kochstellen zu stammen. Als sie nahe genug herangekommen waren, um anlegen zu können, erkannte er, dass die einzigen anderen Schiffe im Hafen schwere Schlagseite hatten und Brandspuren aufwiesen. Von einem war kaum mehr als der ausgebrannte Rumpf übrig. Auf dem Wasser im Hafenbecken schaukelte eine Schicht aus nasser Asche und Holzsplittern.
Die restlichen Männer kamen an die Reling und betrachteten betreten schweigend das Bild der Verwüstung, das sich ihnen bot. Im schwachen Sonnenlicht wurden verwesende Leichen sichtbar. Kleine Hunde zerrten an ihnen und ließen die ausgestreckten Gliedmaßen in einer vulgären Parodie des Lebens hüpfen und zucken.
Die drei Schiffe machten fest, und die Soldaten gingen an Land, ohne die unnatürliche Stille zu stören, die Hände ohne Befehl an den Griffen der Schwerter. Julius ging mit ihnen, nachdem er Gaditicus angewiesen hatte, alles für einen schnellen Rückzug bereitzuhalten. Der römische Kapitän nahm den Befehl mit einem Nicken entgegen und stellte rasch eine kleine Truppe zusammen, die bei ihm bleiben und die Ruderer bewachen sollte.
Auf den ausgeblichenen braunen Steinen am Hafen lagen Frauen und Kinder beisammen, mit großen Fleischwunden, in denen sich Wolken summender Fliegen tummelten. Sie stiegen brummend auf, als die Soldaten näher kamen. Der Gestank war abscheulich, trotz des kalten Windes, der vom Meer her kam. Der größte Teil der Leichen waren römische Legionäre, deren Rüstungen immer noch über den schwarzen Tuniken glänzten.
Julius ging mit den anderen an den Haufen von ihnen vorbei und versuchte sich vorzustellen, was hier passiert sein mochte. Um die Gruppen von Toten herum sah er viele Blutspuren, die ohne Zweifel von gefallenen Feinden stammten, die man fortgeschafft und beerdigt hatte. Die römischen Leichen dort liegen zu lassen, wo sie gestorben waren, war eine absichtliche Herabwürdigung, ein Zeichen der Verachtung. Nach und nach stieg Wut in Julius auf, eine Wut, die er auch in den Augen der anderen um ihn herum erkennen konnte. Mit gezogenem Schwert und wachsendem Zorn pirschten sie sich durch die Straßen und vertrieben Hunde und Ratten von den Leichen. Doch es gab keinen Feind, den sie zum Kampf fordern konnten. Der Hafen war verlassen.
Schwer durch den Mund atmend blieb Julius stehen und betrachtete den Leichnam eines kleinen Mädchens in den Armen eines Soldaten, der hinterrücks erstochen worden war, als er mit ihr zu fliehen versucht hatte. Ihre Haut war von der Luft und der Sonne geschwärzt, und das hart gewordene, geschrumpfte Fleisch gab den Blick auf die Zähne und die dunklen Zungen frei.
»Ihr Götter, wer kann das nur getan haben?«, flüsterte Prax leise vor sich hin.
Julius’ Gesicht war zu einer bitteren Maske erstarrt. »Wir werden es herausfinden. Das hier sind meine Leute. Sie rufen uns zu, Prax, und ich werde ihnen antworten.«
Prax blickte ihn an und spürte die wahnsinnige Intensität, die der junge Mann verströmte. Als sich Julius umdrehte und ihn ansah, wandte er den Blick ab, er konnte ihm nicht in die Augen sehen.
»Stell einen Beerdigungstrupp zusammen. Gaditicus kann die Gebete für sie sprechen, wenn sie begraben sind.« Julius schwieg kurz und blickte zum Horizont, wo die Sonne im blassen Kupferton des Winters leuchtete.
»Die anderen sollen Bäume fällen. Wir werden die Kreuzigungen hier vornehmen. Als Warnung für diejenigen, die hierfür verantwortlich sind.«
Prax salutierte und rannte zurück zur Anlegestelle, froh darüber, den Gestank des Todes und den jungen Offizier hinter sich lassen zu können, dessen Worte ihm Angst machten, auch wenn er ihn zu kennen geglaubt hatte.
Julius stand teilnahmslos dabei, als die ersten fünf Piraten an die groben Stämme genagelt wurden. Jedes der Kreuze wurde mit Seilen aufgerichtet, ehe der senkrechte Balken in das vorbereitete Loch glitt und mit Holzkeilen fixiert wurde, die man festhämmerte. Die Gekreuzigten schrieen, bis ihre Kehlen heiser waren und kein Laut mehr aus ihnen drang, außer dem Pfeifen der Luft. Einem von ihnen rann blutiger Schweiß in dünnen roten Linien aus Achselhöhlen und Schritt und malte hässliche Muster auf seine Haut.
Der dritte Mann wand sich unter Qualen, als der eiserne Nagel durch sein Handgelenk in das weiche Holz des Querbalkens getrieben wurde. Er weinte und flehte wie ein Kind, riss seinen anderen Arm mit aller Kraft beiseite, bis er gepackt und festgehalten wurde, damit der Nagel ihn unter den Schlägen des Hammers aufspießen konnte.
Ehe die Männer ihre grausame Aufgabe mit seinen zitternden Beinen zu Ende bringen konnten, trat Julius wie benommen vor und zog langsam das Schwert. Die Männer hielten inne, als sie ihn kommen sahen, doch er ignorierte sie, während er seine Gedanken laut aussprach.
»Das reicht«, sprach er leise und stieß dem Mann das Schwert in die Kehle. In den glasig werdenden Augen stand Erleichterung, und Julius wandte den Blick ab und wischte das Blut von seinem Schwert. Er hasste sich für seine Schwäche, war jedoch außerstande, noch länger zuzusehen.
»Tötet die anderen schnell«, befahl er und ging alleine zurück zum Schiff. Gedanken rasten durch seinen Kopf, während er über die Steine des Kais schritt und ohne es zu merken sein Schwert wegsteckte. Er hatte geschworen, sie alle zu kreuzigen, aber die Realität war hässlicher, als er ertragen konnte. Das Geschrei war ihm durch Mark und Bein gegangen und hatte ihn mit Scham erfüllt. Nach dem Schrecken der ersten Kreuzigung hatte es seine gesamte Willenskraft erfordert, bei den nächsten zuzuschauen.
Er verzog das Gesicht vor Wut auf sich selbst. Sein Vater wäre nicht schwach geworden. Renius hätte sie eigenhändig und ohne mit der Wimper zu zucken angenagelt. Er spürte, wie seine Wangen vor Scham glühten. Zornig spuckte er auf die Kaimauer, als er an den Rand des Hafenbeckens kam. Trotzdem, er hätte nicht länger bei seinen Männern stehen bleiben und zuschauen können, und wenn er einfach weggegangen wäre, hätte es seinem Ansehen bei ihnen geschadet, nachdem das grausame Töten auf seinen Befehl hin begonnen hatte.