Cabera hatte sich geweigert, sich den Legionären bei den Hinrichtungen im Hafen anzuschließen. Er stand an der Reling des Schiffs, den Kopf in einer unausgesprochenen Frage auf die Seite gelegt. Julius schaute ihn an und zuckte die Achseln. Der alte Heiler klopfte ihm auf den Arm und hielt mit der anderen eine Amphore Wein hoch.
»Gute Idee«, sagte Julius, der mit den Gedanken ganz woanders war. »Aber hol lieber noch eine zweite. Ich möchte heute Nacht keine bösen Träume haben.«
20
Nur wenige der Gebäude im Hafen hatten noch Dächer und Wände, die sicher genug waren, um von Julius’ Soldaten benutzt zu werden. Zu viele der anderen waren niedergebrannt worden, ihre Mauern nichts als leere Hüllen. Julius pendelte zwischen den drei Schiffen und den Lagerhäusern hin und her und schickte Männer auf die Suche nach Vorräten in die nähere Umgebung aus. Obwohl Celsus genug Proviant an Bord hatte, um seine Mannschaft über den größten Teil des Winters zu bringen, würde er kaum ausreichen, um so viele aktive Soldaten über längere Zeit zu ernähren.
Die Legionäre blieben auch unterwegs stets wachsam, zogen nie alleine aus und hielten stets Ausschau nach Überraschungsangriffen. Auch jetzt, nachdem sie die Leichen weggebracht und beerdigt hatten, blieb der Hafen ein stiller, bedrückender Ort, und sie lebten mit dem ständigen Gedanken, dass diejenigen, die diese friedliche römische Siedlung zerstört hatten, sich immer noch in der Nähe aufhalten oder zurückkehren könnten.
Sie fanden nur einen Überlebenden. Sein Bein war aufgeschlitzt worden, und die Entzündung hatte sich rasch ausgebreitet. Sie hörten ihn, als er sich bewegte, um eine Ratte zu töten, die vom Geruch des Bluts angelockt worden war. Er zerschmetterte ihr den Schädel mit einem Stein und schrie dann entsetzt auf, als ihn Julius’ Männer bei den Armen packten und ihn hinaus ins Tageslicht brachten. Nach Tagen in der Dunkelheit seines Verstecks hielt der Mann die schwache Morgensonne kaum aus und brabbelte wirres Zeug, als sie ihn zu den Schiffen trugen.
Sobald er das geschwollene Bein sah, rief Julius nach Cabera, obwohl er vermutete, dass es nichts mehr nützen würde. Die Lippen des Mannes waren raue, schmutzige Krusten, und er weinte ohne Tränen, als sie ihm eine Schale Wasser in den Mund gossen. Cabera betastete das aufgedunsene Fleisch des Beins mit seinen langen Fingern und schüttelte schließlich den Kopf. Er trat neben Julius.
»Es ist brandig und hat bereits seine Leiste erreicht. Es ist zu spät, um es abzunehmen. Ich kann versuchen, die Schmerzen zu lindern, aber ihm bleibt nicht mehr viel Zeit.«
»Kannst du ihm nicht… die Hände auflegen?«, fragte Julius den alten Mann.
»Es ist zu spät, Julius. Eigentlich müsste er schon tot sein.«
Julius nickte bitter und resigniert, nahm seinen Männern die Schale ab und half dem Mann, sie an die Lippen zu führen. Die dürren Finger zitterten zu stark, um sie ruhig halten zu können, und als Julius einen von ihnen berührte, schrak er fast vor der Hitze des Fiebers zurück, die durch die straffe Haut brannte.
»Verstehst du mich?«, fragte er.
Der Mann versuchte zu nicken, während er nippte, und verschluckte sich fürchterlich. Die Anstrengung, die an seiner letzten Kraft zehrte, ließ ihn krebsrot anlaufen.
»Kannst du mir erzählen, was passiert ist?«, drängte Julius und versuchte ihn mit reiner Willenskraft zum Atmen zu zwingen.
Endlich endeten die Krämpfe, und der Mann ließ erschöpft den Kopf auf die Brust fallen.
»Sie haben alle getötet. Das ganze Land steht in Flammen«, flüsterte er.
»Ein Aufstand?«, fragte Julius schnell. Er hatte fremde Eindringlinge vermutet, die ein paar Küstenstädte verwüstet hatten, ehe sie sich wieder auf ihre Schiffe zurückzogen. Das geschah nur allzu oft in diesem Teil der Welt. Der Mann nickte und deutete mit zitternden Fingern auf die Schale mit dem Wasser. Julius reichte sie ihm und sah zu, wie er sie leerte.
»Es war Mithridates«, sagte der Mann mit heiserer, krächzender Stimme. »Nachdem Sulla gestorben war, rief er sie…« Er hustete wieder, und Julius stand erschüttert auf. Er trat hinaus an Deck, weg von dem aufdringlichen Gestank der Krankheit, der den Raum erfüllte. Sulla war tot? Er umklammerte die Reling von Celsus’ Schiff, bis er Krämpfe in den Händen bekam. Er hoffte, der Mann, der ihm Marius genommen hatte, mochte einen langsamen, qualvollen Tod gestorben sein.
Immer wieder hatte er die Vorstellung gehegt, wie er mit seinen neuen Männern nach Rom zurückkehrte, reich und mit gewachsener Macht, um gegen Sulla zu kämpfen und Marius zu rächen. In ruhigeren Momenten hatte er dies als eine kindliche Phantasie erkannt, die ihm aber lange Zeit Kraft gegeben hatte, ein Traum, der ihn die Monate in der Zelle, die Anfälle, all das hatte ertragen lassen.
Während der Tag weiter voranschritt, stürzte sich Julius auf die tausend Aufgaben, die erledigt werden mussten, um das Hafengebiet zu sichern. Die Befehle, die er gab, und die Männer, mit denen er sprach, schienen weit entfernt, während er über die Neuigkeiten nachdachte, die ihm der Sterbende mitgeteilt hatte. Den Nachschub und die Unterkünfte zu organisieren, bot ihm wenigstens die Möglichkeit, sich zu beschäftigen. Sullas Tod hinterließ eine Lücke in seiner Zukunft, eine Leere, die all seine Anstrengungen zunichte machte.
Als ihn der Händler Durus fand, war er gerade dabei, mit drei Legionären einen vergifteten Brunnen zu säubern. Es gehörte zum üblichen Vorgehen eines Eroberers, die Wasserversorgung eines Ortes mit verwesenden Tierkadavern zu verunreinigen. Julius arbeitete wie betäubt zusammen mit den anderen, zog tote Hühner heraus und versuchte, sich bei dem Geruch nicht zu übergeben, während er sie beiseite warf.
»Ich muss mit dir reden, Herr«, verkündete Durus.
Da Julius ihn zuerst nicht zu hören schien, wiederholte er die Worte noch einmal lauter. Julius seufzte, ging zu ihm hinüber und ließ die Legionäre die mit Haken versehenen Seile allein zu einem weiteren Versuch hinunterwerfen. Julius wischte sich beim Gehen die stinkenden Hände an der Tunika ab, und Durus konnte sehen, wie erschöpft er war. Plötzlich wurde ihm klar, wie jung dieser Mann war. Jetzt, nachdem die Müdigkeit das Feuer in ihm fast zum Erlöschen gebracht hatte, sah er beinahe verloren aus. Der Händler räusperte sich.
»Ich würde gerne mit meinen beiden Triremen in See stechen. Ich habe meinen Namen unter einen Brief gesetzt, in dem steht, dass du die Ventulus gemietet hast, um Jagd auf die Piraten zu machen. Es wird Zeit für mich, zu meiner Familie und meinem Leben zurückzukehren.«
Julius sah ihn unverwandt an, ohne zu antworten. Nach einer Weile setzte Durus von neuem an. »Unserer Vereinbarung nach sollte ich mein Schiff und die andere Trireme als Ersatz für die verlorene Ladung bekommen, sobald du Celsus gefunden hast. Ich habe keine weiteren Beschwerden vorzubringen, aber du musst deinen Männern den Befehl geben, meine Schiffe zu verlassen, damit ich nach Hause segeln kann. Von mir nehmen sie keine Befehle entgegen, Herr.«
Julius fühlte sich innerlich zerrissen und wütend. Ihm war nie klar gewesen, wie schwer es sein konnte, wenigstens den Anschein von Ehre aufrechtzuerhalten. Er hatte Durus die beiden Schiffe versprochen, aber das war gewesen, bevor er den griechischen Hafen vom Krieg verwüstet vorgefunden hatte. Was erwartete der Mann denn? Jeder kriegerische Instinkt, den man Julius eingebläut hatte, sagte ihm, er solle die Forderungen kurzerhand zurückweisen. Wie konnte er auch nur daran denken, zwei seiner wertvollsten Trümpfe aus der Hand zu geben, während Mithridates alles Römische aus dem Fleisch Griechenlands herausschnitt?