»Ich weiß, dass die meisten von euch gehofft haben, Rom bald mit eigenen Augen zu sehen, und das werdet ihr auch. Meine Stadt ist ein seltsamer Ort aus Marmor und Träumen, errichtet aus der Kraft der Legionen. Jeder Legionär ist durch seinen Eid dazu verpflichtet, unsere Bürger überall zu beschützen, wo immer ihr ihnen auch begegnen mögt. Ein Römer braucht nur die Worte ›Ich bin ein Bürger Roms‹ zu sagen, und unser Schutz und unsere Autorität sind ihm sicher.« Er machte eine Pause. Jedes Auge im Lagerhaus war auf ihn gerichtet.
»Aber ihr habt diesen Eid nie abgelegt, und ich kann euch nicht zwingen, für eine Stadt zu kämpfen, die ihr noch nie gesehen habt. Ihr besitzt mehr Geld, als die meisten Soldaten in zehn Jahren verdienen. Ihr müsst eure Entscheidung frei treffen – unter Eid zu dienen oder zu gehen. Wenn ihr uns verlasst, werdet ihr als Freunde gehen. Wir haben zusammen gekämpft, und einige von uns haben es nicht bis hierher geschafft. Für andere von euch mag das weit genug sein. Wenn ihr bleibt, werde ich Celsus’ Schatz Kapitän Durus anvertrauen, der mit uns an der Westküste zusammentreffen wird, sobald wir Mithridates geschlagen haben.«
Als er innehielt, füllte sich der Raum erneut mit dem Gemurmel leiser Stimmen.
»Kannst du Durus vertrauen?«, fragte ihn Gaditicus.
Julius überlegte einen Augenblick und schüttelte dann den Kopf.
»Nicht bei so viel Gold. Ich lasse Prax bei ihm, damit er ehrlich bleibt.« Er sah sich nach dem alten Optio um und freute sich, als ihm dieser sein Einverständnis signalisierte. Nachdem das erledigt war, holte Julius tief Luft und blickte seine dasitzenden Männer einen nach dem anderen an. Er kannte den Namen jedes Einzelnen.
»Wollt ihr den Eid der Legion ablegen und auf meinen Befehl schwören?«
Sie brüllten ihm ihre Zustimmung zu.
Gaditicus beugte sich dicht zu Julius’ Ohr und flüsterte ihm heiser zu: »Bei den Göttern, Mann. Der Senat reißt mir die Eier ab, wenn ich das tue!«
»Dann solltest du gehen, Gadi, und dich zu Suetonius auf dem Schiff gesellen, während ich ihnen den Eid abnehme«, erwiderte Julius.
Gaditicus betrachtete ihn kühl und abschätzend. »Ich hatte mich schon gefragt, warum du ihn dort zurückgelassen hast. Er würde sowieso jeden Eid brechen«, sagte er. »Hast du dir schon überlegt, wohin du sie führen willst?«
»Allerdings. Ich will eine Armee aufstellen und Mithridates gradewegs an die Gurgel gehen.«
Er streckte die Hand aus. Gaditicus zögerte einen Augenblick. Dann packte er sie in einem kurzen Griff, der beinahe schmerzte.
»Dann haben wir den gleichen Weg«, sagte er, und Julius nickte zustimmend.
Julius bat mit erhobenen Armen um Ruhe und lächelte, als das Stimmengewirr verstummte. Seine Stimme drang klar und deutlich durch die plötzliche Stille. »Ich habe nie an euch gezweifelt«, sagte er zu den Männern. »Nicht einen Augenblick. Jetzt erhebt euch und wiederholt diese Worte.«
Sie standen wie ein Mann auf und nahmen mit erhobenen Köpfen und geradem Rücken Haltung an.
Julius betrachtete sie und wusste, dass es keinen anderen Weg für ihn gab. Er vernahm keine Stimme in seinem Inneren, die ihn aufforderte, umzukehren, obwohl dieser Schwur sein Leben abermals in andere Bahnen lenken würde – bis Mithridates tot war.
Er sprach die Worte, die ihn sein Vater gelehrt hatte, damals, als die Welt noch klein und überschaubar gewesen war.
»Jupiter Victor, höre diesen Eid. Wir geloben, unsere Kraft, unser Blut, unser Leben für Rom zu geben. Wir werden nicht umkehren. Wir werden nicht aufgeben. Wir werden uns nicht um Leid und Schmerz scheren. Solange es noch Licht gibt, von hier bis ans Ende der Welt, stehen wir für Rom und den Befehl Cäsars ein.«
Mit festen und klaren Stimmen wiederholten sie im Chor seine Worte.
21
Alexandria versuchte unauffällig zuzusehen, während Tabbic Octavian eine bestimmte Technik erklärte. Seine Stimme war ein gleichmäßiges, leises Murmeln, das jede Bewegung der kräftigen Hände begleitete. Auf der Werkbank vor ihnen hatte Tabbic ein Stück dicken Golddraht auf ein Stück Leder gelegt. Beide Enden des Drahts wurden von winzigen Holzklammern festgehalten, und er zeigte Octavian durch Gesten, wie er einen schmalen hölzernen Klotz über den Draht bewegen sollte.
»Gold ist von allen Metallen das weichste, mein Junge. Um dem Draht ein Muster zu geben, muss man den Prägeblock nur sanft dagegen drücken und ihn hin und her bewegen, wobei man den Arm ganz gerade hält, so wie ich es dir gezeigt habe. Versuch es mal.«
Octavian senkte langsam den Klotz und setzte die gekerbte Unterseite auf die zerbrechlich aussehende Linie des Edelmetalls.
»Gut so. Und jetzt versuche es mit ein bisschen mehr Druck. Gut. Dann zeig mal her«, fuhr Tabbic fort. Octavian hob den Klotz hoch und strahlte, als er die gleichmäßige Perlenreihe sah, die durch den Druck erzeugt worden war. Tabbic betrachtete sie aufmerksam und nickte.
»Du hast das richtige Gefühl dafür. Bei zu viel Druck geht der Draht entzwei, und man muss noch einmal von vorne anfangen. Jetzt löse ich die Klammern und drehe den Draht um, damit du den Perlendruck fertig stellen kannst. Sei diesmal so vorsichtig wie möglich; die Verbindungsstücke dazwischen werden so dünn wie die Haare auf deinem Kopf.«
Als Tabbic den Rücken streckte, der ihm wehtat nach der langen Zeit in der gebückten Haltung über der niedrigen Bank, die er für Octavian gebaut hatte, begegnete er Alexandrias Blick. Sie zwinkerte ihm zu, worauf er sich verlegen räusperte, um ein Lächeln zu verbergen. Sie wusste, dass ihm der Unterricht mit Octavian inzwischen Freude machte. Es hatte lange gedauert, bis er sein Misstrauen dem kleinen Dieb gegenüber zumindest teilweise abgelegt hatte, doch sie wusste von ihrer eigenen Arbeit mit ihm, wie sehr er es genoss, seine Fähigkeiten weitergeben zu können.
Octavian fluchte, als der dünne Draht unter seinen Händen zerbrach. Betrübt hob er den Klotz an, unter dem drei einzelne Stücke lagen. Tabbic zog die buschigen Augenbrauen zusammen und schüttelte den Kopf, während er die zerbrochenen Teile vorsichtig aufsammelte, um sie einschmelzen und erneut ausrollen zu können.
»Wir versuchen es später noch einmal. Oder morgen. Du hättest es dieses Mal fast geschafft. Wenn du den ganzen Draht ordentlich verzieren kannst, zeige ich dir, wie man daraus die Fassung für die Spange einer Dame macht.«
Octavian sah niedergeschlagen aus. Alexandria hielt den Atem an und fragte sich, ob er einen seiner fürchterlichen Tobsuchtsanfälle bekommen würde, mit denen er in den ersten Wochen ihre Nerven auf eine harte Probe gestellt hatte. Als nichts passierte, atmete sie langsam und erleichtert aus.
»In Ordnung. Das würde mir gefallen«, sagte er langsam.
Tabbic drehte sich um und überprüfte die Päckchen mit den fertigen Arbeiten, die an die Auftraggeber ausgeliefert werden mussten.
»Ich habe noch eine Aufgabe für dich«, sagte er und gab ihm einen winzigen, gefalteten und verschnürten Lederbeutel. »Das ist ein Silberring, den ich repariert habe. Lauf damit zum Viehmarkt und erkundige dich nach einem Meister Gethus. Er leitet den Verkauf und dürfte deshalb nicht schwer zu finden sein. Er sollte dir eine Sesterze für die Arbeit geben. Du nimmst sie und kommst sofort damit zurück, ohne unterwegs zu trödeln. Hast du mich verstanden? Ich vertraue dir. Wenn du den Ring oder die Münze verlierst, sind wir beide geschiedene Leute.«
Alexandria hätte über den ernsten Gesichtsausdruck des kleinen Jungen am liebsten laut aufgelacht. In den ersten Wochen der Lehrzeit wäre eine solche Drohung sinnlos gewesen. Damals hätte Octavian überhaupt nichts dagegen gehabt, wieder in Ruhe gelassen zu werden. Er hatte sich heftig gegen die vereinten Bemühungen seiner Mutter, Tabbics und Alexandrias zur Wehr gesetzt. Zweimal hatten sie die Märkte im Stadtviertel nach ihm abgesucht, und beim zweiten Mal hatten sie ihn zu den Sklavenhändlern geschleppt, um ihn schätzen zu lassen. Danach war er nicht mehr fortgelaufen, sondern hatten sich auf eine Missmutigkeit verlegt, von der Alexandria schon dachte, er würde sie nie wieder ablegen.