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Die Veränderung war in der Mitte der vierten Arbeitswoche eingetreten, als Tabbic ihm gezeigt hatte, wie man mit winzigen Tröpfchen geschmolzenen Metalls ein Muster auf ein Stück Silber machen konnte. Obwohl sich der Junge den Daumen verbrannt hatte, als er es anfassen wollte, hatte ihn der Vorgang fasziniert, und er hatte sogar das Abendessen versäumt, weil er sehen wollte, wie das Stück am Ende poliert wurde. Seine Mutter Atia war mit schuldbewusster Miene in der Werkstatt erschienen, wo es ihr die Sprache verschlug, als sie den kleinen Burschen sah, der immer noch mit unterschiedlichen Poliertüchern bei der Arbeit war. Als Alexandria am nächsten Morgen erwachte, fand sie ihre Kleider sauber und über Nacht ausgebessert vor. Weiterer Dank war zwischen den beiden Frauen nicht nötig. Obwohl sie sich jeden Tag nur eine oder zwei Stunden vor dem Schlafengehen sahen, war zwischen ihnen eine Freundschaft entstanden, die die beiden zurückhaltenden, eigenbrötlerischen Menschen überraschte. Sie hatten die ganze Zeit so schwer gearbeitet, dass ihnen gar nicht aufgefallen war, wie einsam sie waren.

Octavian trabte pfeifend durch die Menschenmenge auf dem Viehmarkt. Wenn die Bauern ihr Vieh zum Versteigern und Schlachten in die Stadt brachten, war dort immer viel los, und der Geruch von warmem Dung und Blut lag in der Luft. Jeder schien jedem etwas zuzurufen und komplizierte Gesten zu vollführen, um auch dann noch mitzubieten, wenn man ihn längst nicht mehr hören konnte.

Octavian hielt nach einem der Verkäufer Ausschau, den er nach Gethus fragen konnte. Er wollte den Ring abgeben und schneller zu Tabbics Laden zurückkehren, als die Erwachsenen es für möglich halten würden.

Während er sich durch die geschäftige Menge schob, malte er sich Tabbics Überraschung über seine prompte Rückkehr aus.

Plötzlich packte ihn eine Hand am Hals und riss ihn mit einem Ruck von den Füßen. Instinktiv versuchte er sich gegen den Angreifer zur Wehr zu setzen.

»Du willst wohl jemandem seine Kuh klauen, was?«, ertönte eine harte, nasale Stimme neben seinem Ohr.

Er riss den Kopf herum und stöhnte laut auf, als er das grobe Gesicht des Schlachterjungen erkannte, mit dem er schon oft aneinander geraten war. Was hatte er sich bloß dabei gedacht? Wie ein Trottel hatte er alle üblichen Vorsichtsmaßnahmen außer Acht gelassen, und sie hatten ihn ohne die geringste Mühe geschnappt.

»Lass mich los! Hilfe!«, schrie er.

Der ältere Junge schlug ihn hart auf die Nase, die sofort zu bluten anfing.

»Halt bloß den Schnabel, du. Ich schulde dir sowieso noch eine Tracht Prügel für die, die ich gekriegt habe, weil ich dich das letzte Mal nicht rechtzeitig erwischt habe.« Der kräftige Arm umklammerte Octavians Hals und drückte ihm die Kehle zu, während er ihn rückwärts in eine enge Gasse zog. Er versuchte sich zu befreien, aber es war hoffnungslos, und die vorüberziehende Menge schaute nicht einmal in seine Richtung.

Der Schlachterlehrling war nicht allein. Die anderen drei Jungen besaßen ebenfalls den kräftigen, langgliedrigen Körperbau von Kindern, die an harte körperliche Arbeit gewöhnt waren. Sie trugen die mit Blut befleckten Schürzen von ihrer Arbeit auf dem Markt, und Octavian geriet in Panik. Er wurde fast ohnmächtig vor Entsetzen, als er ihre grausamen Gesichter sah. Kaum waren sie um eine Ecke der Gasse gebogen, schlugen die Jungen johlend auf ihn ein. Hier wurde der Lärm des Marktes von den hohen Mietshäusern verschluckt, die so weit über ihnen aufragten, dass sie sich oben fast berührten und für eine unnatürliche Dunkelheit sorgten.

Der Schlachterjunge warf Octavian in den schmierigen Dreck, der knöcheltief in der Gasse stand, eine Mischung aus Abfällen und menschlichen Ausscheidungen, die seit Jahren aus den schmalen Fenstern über ihnen heruntergekippt wurden. Octavian robbte zur Seite, um ihnen zu entkommen, aber einer von ihnen stieß ihn mit einem kräftigen Tritt wieder an seinen Platz zurück. Der kleine Körper wurde durch die Luft geschleudert und ächzte bei dem Aufprall laut. Als sich die beiden anderen Jungen dem ersten anschlossen und brutal nach jedem Körperteil traten, das sie treffen konnten, schrie Octavian vor Schmerz und Angst laut auf.

Nach ungefähr einer Minute hörten die Jungen auf. Sie stützten die Hände auf die Knie und keuchten vor Anstrengung. Octavian war kaum noch bei Bewusstsein und hatte sich zu einer kleinen, erbärmlichen Kugel zusammengerollt, die kaum noch von dem Dreck, in dem sie lag, zu unterscheiden war.

Der Schlachterjunge verzog den Mund zu einem hämischen Grinsen, hob die Faust und lachte roh, als Octavian vor ihm zurückzuckte.

»Das geschieht dir recht, du kleiner Thuriner Drecksack. Jetzt wirst du es dir zweimal überlegen, ehe du meinem Herrn wieder etwas stiehlst, oder?« Er landete einen sorgfältig gezielten Tritt in Octavians Gesicht und grölte vor Freude, als dessen Kopf zurückgeschleudert wurde. Mit offenen Augen lag Octavian bewusstlos da, das Gesicht zur Hälfte im Dreck versunken. Schmutziges Wasser drang ihm zwischen die Lippen, und trotz seiner Ohnmacht begann er schwach zu husten und zu würgen. Die Finger, die ihn abtasteten, spürte er nicht, nahm auch nicht den erfreuten Ausruf wahr, als die älteren Jungen den Silberring in seinem schützenden Beutel fanden.

Der Schlachterjunge pfiff leise, als er den Ring anprobierte. Der Stein war ein einfaches, halbrundes Stück schwerer Jade, das von winzigen silbernen Klauen festgehalten wurde.

»Wem hast du den wohl geklaut?«, sagte er und blickte auf die daliegende Gestalt hinab. Jeder versetzte dem Jungen im Namen des Ringbesitzers noch einen Tritt, ehe sie zum Markt zurückliefen, vollauf zufrieden mit ihrem unverhofften Glück.

Octavian erwachte erst Stunden später. Er setzte sich langsam auf, und als er ausprobierte, ob ihn seine Füße trugen, musste er sich minutenlang übergeben. Er fühlte sich schwach, und die Schmerzen waren so stark, dass es eine Weile dauerte, bis er sich wieder bewegen konnte, wobei er sich vornüber beugte und lange Fäden dunklen Blutes auf den Boden spuckte. Als sein Kopf langsam wieder klar wurde, suchte er zuerst in der Tasche, dann überall auf dem Boden um ihn herum nach dem Ring. Schließlich musste er sich eingestehen, dass er ihn verloren hatte, und frische Tränen rannen durch den Dreck und das verkrustete Blut in seinem Gesicht. Er stolperte zurück auf die Hauptstraße und verbarg die Augen vor dem schmerzenden Sonnenlicht. Immer noch weinend und auf wackligen Beinen machte er sich voller Verzweiflung auf den Rückweg zu Tabbics Werkstatt.

Tabbic stampfte mit dem Fuß auf den hölzernen Boden des Ladens. Die Wut stand ihm in jeder Falte seines finsteren Gesichts geschrieben.

»Zur Hölle, dafür bringe ich den Lümmel um. Er hätte schon vor Ewigkeiten wieder zurück sein müssen.«

»Das sagst du jetzt schon seit einer Stunde, Tabbic. Vielleicht ist er aufgehalten worden, oder er konnte Meister Gethus nicht finden«, erwiderte Alexandria mit ruhiger Stimme.

Tabbic schlug mit der Faust auf den Arbeitstisch. »Oder vielleicht hat er den Ring verkauft und ist abgehauen, das ist wohl wahrscheinlicher!«, knurrte er. »Du weißt, dass ich den Ring ersetzen muss. Und dann auch noch Jade! Es kostet mich einen ganzen Tag Arbeit und einen Aureus an Material, um Gethus einen neuen zu machen. Höchstwahrscheinlich behauptet er dann auch noch, er hätte ihn von seiner Mutter auf dem Sterbebett bekommen und verlangt eine Entschädigung dafür. Wo steckt dieser Bengel?«

Die dicke Holztür des Ladens öffnete sich knarrend. Staub wirbelte von der Straße herein. Auf der Schwelle stand Octavian. Tabbic warf nur einen Blick auf die blauen Flecke und die zerrissene Tunika und eilte zu ihm hinüber. Alle Wut war verflogen.

»Es tut mir Leid«, weinte der kleine Junge, als ihn Tabbic tiefer in den Laden hineinführte. »Ich habe versucht mich zu wehren, aber es waren drei, und niemand hat mir geholfen.« Er wimmerte auf, als Tabbic seine sich heftig hebende Brust auf gebrochene Rippen abtastete.