»Wir haben zwei Kohorten von vierhundertachtzig Mann. Trennt euch nach der fünfzehnten Reihe und lasst einen Abstand zwischen euch.« Wieder setzten sie sich in Bewegung, und in der staubigen Erde entstand ein breiter Durchgang.
»Die erste Kohorte wird den Namen Accipiter tragen, der Habicht. Die andere wird Ventulus heißen, der Wind. Accipiter wird von meinem stellvertretenden Kommandeur Gaditicus angeführt, Ventulus von mir selbst. Sprecht die Namen vor euch hin. Wenn ihr sie im Kampf hört, müsst ihr ohne nachzudenken reagieren.« Die Tatsache, dass der eine Namensvetter ein Handelsschiff gewesen war und der andere auf dem Meeresgrund lag, verschwieg er ihnen. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Ehe wir mit dem Exerzieren beginnen, brauchen wir einen Namen.«
Er machte eine Pause und dachte verzweifelt nach, während in seinem Kopf völlige Leere herrschte. Die Veteranen sahen ihn teilnahmslos an. Vielleicht spürten sie, dass es ihm plötzlich an Selbstvertrauen mangelte. Der richtige Name würde ihnen beim Angriff Mut machen, und Julius geriet in Panik, als ihm nichts einfallen wollte, überwältigt von der Bedeutsamkeit, es gleich beim ersten Versuch wirklich richtig zu machen.
Komm schon!, trieb er sich an. Sprich den Namen aus und gib ihnen eine Identität. Wütend ob der eigenen Unentschlossenheit, blickte er ihre Reihen entlang. Sie waren Römer, jung und alt. Jetzt hatte er es.
»Ihr seid die Wölfe Roms«, sagte er. Seine Stimme war ruhig, trotzdem drang sie bis zum letzten Mann durch. Einige Veteranen richteten sich auf, während er sprach, und er wusste, er hatte eine gute Wahl getroffen.
»Also. Kohorte Ventulus, bildet vier Manipel rechts von mir. Accipiter, nach links wegtreten. Wir haben noch drei Stunden, ehe es dunkel ist. Exerziert, bis ihr umfallt.«
Er konnte der Versuchung nicht widerstehen, vor wilder Zufriedenheit die Faust zu ballen, als sie sich sauber trennten. Dann rief er Gaditicus aus den Reihen der Accipiter zu sich und erwiderte seinen Gruß.
»Übe mit ihnen jede Formation, die du kennst, bis es dunkel wird. Lass ihnen keinen Augenblick Zeit zum Nachdenken. Ich werde mit meinen Männern das Gleiche tun. Wechsele die Gruppenführer aus, wenn sie offensichtlich nicht taugen oder die Disziplin nicht stärken, aber mit Umsicht. Bis zum Essen sollten sie gut zusammenarbeiten.«
»Willst du morgen losmarschieren?«, fragte Gaditicus mit leiser Stimme, damit ihn die Männer in der Nähe nicht hören konnten.
Julius schüttelte den Kopf.
»Morgen werden wir ein Manövergefecht veranstalten, deine Männer gegen meine. Die Alten sollen sich erinnern und die Jungen sich daran gewöhnen, wie es ist, mitten im Kampf und unter Druck Befehle zu befolgen. Komm heute Abend zu mir, dann klären wir die Einzelheiten. Und noch etwas, Gaditicus…«
»Jawohl, Herr.«
»Nimm deine Leute hart ran, denn morgen wird die Ventulus sie auseinander nehmen, und dann musst du noch mal von vorne anfangen.«
»Das möchte ich sehen, Herr«, erwiderte Gaditicus mit einem kleinen Lächeln, ehe er erneut salutierte und zu seinem neuen Kommando zurückkehrte.
Als Julius zwei Tage später den Marschbefehl gab, verspürte er einen Stolz, der seine Füße wie von selbst über die fremde Erde trug. Sein rechtes Auge war fast zugeschwollen, weil ihn einer von Gaditicus’ Männern mit einem Axtstiel erwischt hatte, doch er wusste, dass der Schmerz vergehen würde.
Nicht wenige Soldaten aus beiden Kohorten humpelten wegen der Prügel, die sie sich in den Scheinkämpfen gegenseitig verpasst hatten, aber sie hatten sich aus Fremden in Wölfe verwandelt, und Julius wusste, dass sie nicht leicht zu töten und noch schwerer zum Aufgeben zu bringen wären. Sie würden hundert Meilen durch Wälder und Ebenen marschieren, und Mithridates würde eine Menge aufständischer Bauern benötigen, um ihrem Ansturm standzuhalten, dessen war sich Julius sicher. Er fühlte sich, als hätte er guten Wein im Bauch, und hätte vor Aufregung am liebsten laut aufgelacht.
Gaditicus neben ihm bemerkte seine gute Laune und lachte leise, zuckte jedoch zusammen, als seine geschwollenen Lippen wieder aufplatzten.
»Ein Gutes hatten die Galeeren. Man musste nicht so viel Metall und Ausrüstung auf dem Rücken mit sich herumschleppen«, murrte er halb laut.
Julius schlug ihm lachend auf die Schulter. »Du hast noch Glück. Die Legionäre meines Onkels wurden ›die Maulesel des Marius‹ genannt, weil sie so viel tragen konnten.«
Gaditicus antwortete mit einem Knurren und verlagerte das Gewicht des schweren Tornisters, um seinen Muskeln Erleichterung zu verschaffen. Die Beine waren am schlimmsten dran. Viele der Veteranen hatten mächtige Waden, deren Kraft durch jahrelanges Marschieren entstanden war. Gaditicus schwor sich, seine Kohorte erst dann Rast machen zu lassen, wenn Julius es tat oder wenn einer der Veteranen umkippte. Er wusste nicht, was wahrscheinlicher war.
Julius verlängerte seinen Schritt und ging durch die Reihen, bis er ganz vorne war. Er hatte das Gefühl, Tag und Nacht marschieren zu können, und die Römer in seinem Rücken würden ihm folgen. Hinter ihnen verlor sich die Stadt rasch in der Ferne.
23
Ein Leben voller Kämpfe in fremden Ländern erforderte harte Männer, dachte Julius, als er gegen Ende des zweiten Tags dahinmarschierte und vor Schweiß und Staub kaum noch etwas sehen konnte. Hätten sich die Veteranen im Ruhestand gehen lassen, so hätten sie wohl kaum mit dem eifrigen Tempo der jüngeren Männer mithalten können. Die harte Arbeit, den Boden urbar zu machen, hatte sie anscheinend bei Kräften gehalten, auch wenn einige von ihnen unter ihren alten Rüstungen nur aus Haut und Sehnen zu bestehen schienen. Die Ledertuniken waren nach dem langen Liegen in Truhen und Schränken gesprungen und spröde, aber die eisernen Bänder und Platten ihrer Rüstungen glänzten vom Ölen und Polieren. Sie bezeichneten sich vielleicht als Bauern, aber die Geschwindigkeit, mit der sie auf seinen Ruf reagiert hatten, verriet ihre wahre Natur. Einst waren sie die diszipliniertesten Todesbringer der Welt gewesen, und jeder Schritt auf dem langen Marsch brachte etwas von ihrem alten Feuer zurück. Es zeigte sich an ihrer Haltung und in ihren Augen, in denen die Kriegsbegeisterung wieder entflammt war. Es waren Männer, für die der Ruhestand dem Tod gleichkam. In der Gemeinschaft der Soldaten, in der sie ihre schwindenden Energien in plötzlichen Schüben und in der Anspannung bei der Erwartung eines feindlichen Angriffs einsetzen konnten, fühlten sie sich am lebendigsten.
Julius trug einen alten Schild auf dem Rücken, den Quertorus über irgendeiner Tür abgerissen hatte. Damit er nicht scheuerte, ruhte er auf einem schweren Wasserschlauch über den Schulterblättern, der bei jedem Schritt melodisch gluckerte. Wie die anderen Galeeren-Soldaten spürte er die fehlende Kondition, die von der mangelnden Bewegung an Deck herrührte. Aber seine Lunge war rein, und von den Anfällen, die ihn seit seiner Kopfverletzung geplagt hatten, war nichts mehr zu spüren. Er wagte nicht, darüber nachzudenken, doch er machte sich Sorgen, was aus seiner Autorität werden würde, falls sie wieder einsetzten. Auf einem Gewaltmarsch konnte man sich nirgendwo zurückziehen.
Fast den gesamten ersten Tag über hatte Julius ein gemächliches Tempo vorgegeben. Sie hatten zu wenige Legionäre, um riskieren zu können, mehr Veteranen als unbedingt nötig zu verlieren, und alle hatten es bis zum ersten Lager geschafft. Julius hatte die jüngeren Männer als Wachen eingeteilt, und keiner beschwerte sich darüber, obwohl sich Suetonius offensichtlich eine Bemerkung verkneifen musste, ehe er mit mürrischem Gehorsam seinen Posten einnahm. Manchmal hätte Julius ihn am liebsten ausgepeitscht und zurückgelassen, aber er riss sich zusammen. Er wusste, dass er Bindungen zu seinen Männern aufbauen musste, Bindungen, die stark genug waren, um die ersten hektischen Augenblicke der Schlacht zu überstehen. Sie mussten in ihm das sehen, was er einst in Marius gesehen hatte – einen Mann, dem man bis in die Hölle folgte.