»Nehmt es wieder mit«, sagte er und warf einen letzten sehnsüchtigen Blick auf das Gold. »Danke deinem Herrn für die Geste und sag ihm, dass sein Sohn bei uns gut behandelt wird. Ich will mir keine Feinde machen, aber Germinius hat einen Eid abgelegt, und der kann nur durch den Tod gelöst werden.«
Der Soldat neigte steif den Kopf. »Ich werde ihm die Botschaft überbringen, aber mein Herr wird sehr ungehalten darüber sein, dass du dich nicht in der Lage siehst, diesem bedauerlichen Irrtum ein Ende zu bereiten. Gute Nacht, meine Herren.«
Das Tor wurde wieder geöffnet, und ohne ein weiteres Wort zog der kleine Trupp in die Dunkelheit hinaus. Die Rinder brüllten traurig, als sie ihr Treiber mit dem Stock dazu antrieb, dem Gut den Rücken zu kehren.
»Ich hätte das Gold genommen«, sagte Renius, als das Tor wieder geschlossen wurde.
»Nein, das hättest du nicht getan, alter Freund. Und ich konnte es auch nicht tun«, erwiderte Brutus. Insgeheim fragte er sich, was Cato wohl tun würde, wenn er davon erfuhr.
Als Pompeius sein Heim auf dem Aventinischen Hügel betrat, rief er sogleich nach seinen Töchtern. Das ganze Haus war vom Duft nach warmem Brot erfüllt, den er tief einatmete, als er das Anwesen auf der Suche nach ihnen durchstreifte und in den Garten ging. Ein langer, erschöpfender Tag voller Berichte über die fortschreitende Offensive gegen Mithridates lag hinter ihm. Wenn es nicht so verzweifelt ernst gewesen wäre, hätte er fast über die Absurdität der Lage gelacht. Nach wochenlangen Debatten hatte der Senat endlich zwei Befehlshabern gestattet, ihre Legionen nach Griechenland zu führen. Pompeius’ Meinung nach hatten sie die unfähigsten und am wenigsten ehrgeizigen Männer ausgewählt, die unter dem Befehl des Senats standen. Der Grund dafür war nur allzu offensichtlich, aber die übervorsichtigen Feldherren waren nur langsam in das Land vorgestoßen und nicht das geringste Risiko eingegangen. Auch die kleinste Siedlung hatten sie vorsichtig umstellt und nötigenfalls belagert, und waren dann erst weitergezogen. Allein beim Gedanken daran wurde Pompeius übel.
Er hatte selbst das Kommando über eine Legion übernehmen wollen, ein Wunsch, der sofort auf den Widerstand der Sullaner gestoßen war. Sie hatten geschlossen gegen seine Ernennung gestimmt, als sein Name auf der Liste erschienen war. Ihr Bestreben, ihre Karrieren auf Kosten der Stadt zu sichern, war in Pompeius’ Augen ein obszönes Schauspiel; trotzdem hatten sie ihn bezwungen. Wenn er, von Crassus finanziert, eine Armee von »Freiwilligen« aufstellte, würden sie ihn zum Feind der Republik erklären, noch ehe er die Schiffe erreicht hätte. Die Enttäuschung wuchs mit jedem Tag, an dem die Berichte wieder nur den fast vollständigen Mangel an Erfolg der Entsatzkräfte verkündeten. Sie hatten noch nicht einmal die Hauptstreitmacht gefunden.
Er rieb sich den Nasenrücken, um den Druck etwas zu lindern. Im Garten war es wenigstens kühl, auch wenn der Wind seine Nerven nicht beruhigen konnte. Dass solch kleine Hunde nach dem Gewand des Senats schnappten! Wütende kleine Terrier, ohne Visionen und ohne Sinn für Ruhm. Krämerseelen allesamt – und sie regierten Rom!
Langsam schritt Pompeius durch den Garten, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, in Gedanken versunken. Er spürte, wie die Anspannung des Tages langsam von ihm wich. Seit Jahren hatte er es sich zur Gewohnheit gemacht, seinen Arbeitstag mit einem kurzen Spaziergang durch den friedlichen Garten von seinem Privatleben zu trennen. Anschließend konnte er sich erfrischt beim Abendessen zu seiner Familie gesellen und mit seinen Töchtern spielen und lachen, wobei er den elenden Senat bis zum nächsten Morgen vergaß.
Beinahe hätte er seine jüngste Tochter, die mit dem Gesicht nach unten in den Büschen nahe der Außenwand lag, übersehen. Als er zu ihr hinüberblickte, musste er lächeln, denn er erwartete, dass sie in der nächsten Sekunde aufsprang und ihn umarmte. Sie erschreckte ihn immer gerne, wenn er nach Hause kam, und lachte dann hemmungslos, wenn sie sah, dass er vor Schreck zusammenzuckte.
Dann erst sah er die dunkelbraunen Blutflecke. Sein Gesicht erschlaffte langsam in einem Kummer, dem er nichts entgegenzusetzen hatte.
»Laura? Komm schon, Mädchen… steh auf.«
Ihre Haut war unnatürlich blass, und er sah den blutigen Schnitt an der Stelle, wo ihr Hals auf den gemusterten Saum ihres Kinderkleides traf.
»Komm schon, Liebling, steh doch auf«, flüsterte er.
Er ging zu ihr hinüber und setzte sich in das feuchte Laub, das ihre kleinen Arme und Beine umgab.
Lange strich er ihr über das Haar, während die Sonne unterging und die Schatten um sie herum immer länger wurden. Ihm war vage bewusst, dass er um Hilfe rufen, schreien und weinen sollte, doch er wollte sie nicht alleine lassen, nicht einmal so lange, wie es dauerte, um seine Frau zu holen. Er dachte daran, wie er sie im Sommer auf den Schultern getragen hatte, und wie sie stets alles, was er sagte, mit ihrer hellen, klaren Stimme nachplapperte. Er hatte bei ihr gewacht, als sie Zähne bekommen hatte und wenn sie krank gewesen war, und nun saß er das letzte Mal bei ihr, sprach leise mit ihr und zog den Kragen des Kleids höher, damit er die rot geränderte Wunde verdeckte, die das einzige Farbige an ihr war.
Nach einer Weile stand er auf und ging steif zurück ins Haus. Die Zeit verging, und eine Frau schrie vor Schmerz laut auf.
26
Mithridates spähte hinaus in den Morgennebel und fragte sich, ob noch ein weiterer Angriff erfolgen würde. Er zerrte sich den dicken Umhang enger um die Schultern und zitterte, wobei er sich einredete, dass es nur an der Morgenkühle lag. Es war schwer, keine Verzweiflung aufkommen zu lassen.
Die nächtlichen Angriffe waren immer tollkühner geworden, und kaum einer der Soldaten in dem riesigen Feldlager konnte noch ruhig schlafen. Jeden Abend losten sie, wer Wache halten musste, und diejenigen, die das Los traf, blickten sich gegenseitig mit rot geränderten Augen an, zuckten die Achseln und rechneten bereits mit dem Tod. Wenn es sie nicht traf, kehrten sie in die Sicherheit des Hauptlagers zurück, mit wiedergewonnener Zuversicht, die so lange anhielt, bis sie das nächste Mal die falsche Marke aus dem herumgereichten Topf zogen.
Zu oft kehrten sie nicht zurück. Jeden Morgen fehlten Hunderte von Wachposten beim Appell. Mithridates zweifelte nicht daran, dass sich die Hälfte davon still und leise aus dem Staub gemacht hatte, doch es sah so aus, als wäre das Lager von einem unsichtbaren Feind umgeben, der sich nach Lust und Laune aussuchen konnte, wen er umbrachte. Manche der Posten fand man mit Pfeilwunden; die Spitzen waren sorgfältig aus dem Fleisch geschnitten worden, damit man sie wieder verwenden konnte. Es schien keine Rolle zu spielen, wie viele Soldaten gemeinsam Wache standen, oder wo er sie aufstellte– jeden Tag kamen weniger Männer ins Lager zurück.
Finster starrte der König in den feuchten Nebel, der seine Lunge mit der Kälte des Winters zu verstopfen schien. Manche seiner Männer glaubten, sie würden von den Geistern vergangener Schlachten angegriffen, und erzählten Geschichten von uralten, weißbärtigen Kriegern, die sie einen Augenblick lang erblickt hätten, ehe sie lautlos wieder verschwunden seien. Immer ohne jedes Geräusch.
Mithridates begann die Reihe seiner Männer abzuschreiten. Sie waren ebenso erschöpft wie ihr König, aber trotzdem hielten sie die Waffen bereit und warteten darauf, dass sich der Nebel lichtete. Er versuchte zu lächeln und ihre Moral zu heben, aber es war schwer. Das Gefühl der Machtlosigkeit, Woche für Woche weniger zu werden, hatte vielen seiner Männer den letzten Mut geraubt. Er schauderte wieder und verfluchte den weißen Dunst, der noch über den Zelten zu hängen schien, während der Rest der Welt erwachte. Manchmal dachte er, wenn er nur auf ein Pferd steigen und schnell davonreiten würde, könnte er in den Sonnenschein hinausreiten, und wenn er sich umblickte, würde er erkennen, dass nur das Tal vom Schleier verhüllt war.