»Wirst du die Männer antreten lassen?«, fragte Cornelia nervös.
Tubruk antwortete zunächst nicht und konzentrierte sich darauf, die näher kommenden Soldaten zu beobachten. Sie waren diszipliniert und bewaffnet, doch das Fehlen der Standarten beunruhigte ihn. Der Mord an Pompeius’ Tochter hatte unter den alten Familien Roms wieder eine Anspannung aufkommen lassen, die seit Sullas Tod überwunden schien. Wenn ein so mächtiger Senator einen solchen Schlag gegen sein Haus erleiden konnte, dann war niemand sicher. Tubruk zögerte. Wenn er nach Brutus und seinen Soldaten rief, damit sie das Tor bewachten, konnte das als Provokation aufgefasst werden, oder als Beleidigung einer regulären Truppe. Seine Hände umfassten die harten Steine der Mauer, und er traf seine Entscheidung. Lieber würde er jemanden kränken, als unvorbereitet sein, und die anrückenden Zenturien ohne Legionszeichen konnten durchaus Meuchelmörder sein.
»Ruf Brutus. Sag ihm, ich brauche seine Männer auf der Stelle hier draußen!«, rief Tubruk zu Cornelia hinunter.
Sie schlug jegliche Würde in den Wind und rannte zurück ins Haus.
Als die nahende Kolonne auf weniger als eintausend Schritte herangekommen war, waren Brutus’ Männer in Formation hinter dem Tor angetreten, bereit, jederzeit hinauszustürmen und anzugreifen. Er hatte nur zwanzig Männer dabei, und Tubruk wünschte, sie hätten genug Platz, um noch mehr unterzubringen, obwohl er zuerst über den jungen Kommandeur gelacht hatte, der mit so vielen Soldaten unterwegs war.
Brutus spürte, wie die alte Erwartung seinen Magen zusammenkrampfte. Das Kind in ihm wünschte sich, er hätte Renius nicht in den Kasernen in der Stadt zurückgelassen, aber das war nur eine vorübergehende Schwäche. In dem Augenblick, als er seinen Gladius zog, kehrte sein Selbstvertrauen zurück, und seine Männer reagierten; ihre Anspannung machte einem knappen Lächeln Platz. Sie konnten alle den Marschschritt der Soldaten hören, die immer näher auf das Gut zukamen, aber ihnen war keinerlei Angst anzusehen.
Eine kleine Gestalt stürzte aus dem Stall und kam schlitternd dicht vor Brutus’ Füßen zum Stehen.
»Du bleibst hier!«, kam Brutus barsch der Bitte zuvor. Er wusste nur sehr wenig über den Gassenjungen, den Tubruk aufgenommen hatte, und im Augenblick hatte er keine Geduld für Streitereien. Octavian öffnete den Mund, und Brutus, den der Anblick eines glänzenden Dolchs in der Hand des Jungen wütend machte, fauchte ihm einen Befehl ins Gesicht.
»Hau ab! Sofort!«
Octavian erstarrte mit weit aufgerissenen Augen, machte dann auf dem Absatz kehrt und schlich ohne ein weiteres Wort davon. Brutus beachtete ihn nicht weiter und blinzelte stattdessen zu Tubruk hinauf, um zu erfahren, ob sich draußen etwas Neues tat. Hier zu warten, ohne selbst etwas sehen zu können, war nervenaufreibend, aber Brutus sah ein, dass man Soldaten, die der Senat schickte, nicht mit dem gezogenen Schwert empfangen konnte. Das würde in jedem Fall Blutvergießen nach sich ziehen, auch wenn das ursprüngliche Anliegen etwas ganz Harmloses gewesen sein mochte.
Oben auf der Mauer kniff Tubruk die Augen zusammen, während die Armee mit gleichmäßigem Schritt näher kam. Er atmete tief aus, als die Anspannung, von den unten Stehenden unbemerkt, aus ihm wich.
»Marcus Brutus«, rief er hinunter, »deine Männer sollen das Tor öffnen und ihnen entgegengehen!«
Brutus blickte fragend zu ihm hinauf. »Bist du sicher? Wenn sie feindliche Absichten haben, können wir uns hinter den Mauern besser verteidigen.«
»Mach das Tor auf«, antwortete Tubruk leise. Auf seinem Gesicht lag ein eigenartiger Ausdruck.
Brutus zuckte die Achseln und gab den Männern der Primigenia, die im Vorwärtsschreiten ihre Schwerter zogen, den Befehl. Sein Herz hämmerte, und er spürte die wilde Freude, die aus seiner Gewissheit kam. Es gab niemanden auf der Welt, der ihn mit dem Schwert schlagen konnte, nicht seit jenem Tag mit Renius vor vielen Jahren, in ebendiesem Hof.
»In Ordnung, du alter Teufel, aber wenn ich dabei umkomme, werde ich auf dich warten, wenn deine Zeit gekommen ist!«
Julius sah die bewaffneten Männer aus dem Tor herauskommen und erstarrte. Was war geschehen?
»Waffen bereithalten!«, befahl er, und die fröhlichen Mienen seiner Männer verschwanden augenblicklich. Was als siegreiche Heimkehr begonnen hatte, wurde plötzlich von Gefahr überschattet. Cabera fuhr bei dem Befehl zusammen und betrachtete die unbekannte Streitmacht mit zusammengekniffenen Augen. Er wollte schon die Hand nach Julius ausstrecken und ihn auf etwas aufmerksam machen, dann jedoch überlegte er es sich anders und grinste still vor sich hin. Dabei hob er seinen Dolch und fuchtelte wild damit herum. Er amüsierte sich köstlich, doch die Soldaten um ihn herum teilten seine Stimmung keineswegs. Nach den langen, harten Monaten des Herumziehens und Tötens hatten sie einen Empfang für Helden erwartet. Mit grimmigen Blicken zogen sie ihre Schwerter ein weiteres Mal.
»Linienformation!«, befahl Julius kochend vor Wut. Wenn sein Heim erobert worden war, würde er sie vernichten und nichts am Leben lassen. Sein Herz schmerzte vor Sorge um seine Mutter und Tubruk.
Mit geübtem Blick schätzte er den Gegner ab, der sich vor den Mauern formierte. Es waren nicht mehr als zwanzig, obwohl sich noch mehr Männer im Hof verbergen konnten. Legionäre. Sie bewegten sich sicher, aber seine Wölfe waren besser als alle anderen Soldaten, und sie waren in der Überzahl. Er verdrängte alle Gedanken an seine Familie und machte sich bereit, den Befehl zum Angriff zu geben.
»Großer Mars! Sie wollen angreifen!«, rief Brutus, als er sah, wie die Kolonne eine Angriffsformation bildete. Als er die Übermacht der anderen sah, war er in Versuchung, seine Männer wieder hinter die Mauern zu beordern, aber die Zeit würde nicht reichen, um das Tor zu schließen, und der Feind würde sie beim Rückzug niedermetzeln.
»Sichere das Tor, Tubruk!«, rief er. Der alte Narr hatte die Bedrohung vollkommen falsch eingeschätzt, und jetzt mussten sie dafür bezahlen.
Brutus sah mit Stolz, dass die Männer der Primigenia nicht zurückwichen, als ihnen die Tatsache ihrer unvermeidlichen Vernichtung bewusst wurde. Sie nahmen ihre Positionen nahe der Mauer des Guts ein, hielten ihre Waffen bereit und schnallten die Speere ab, die sie werfen würden, sobald der Angriff begann. Jeder von ihnen trug vier der langen Speere bei sich, und viele Feinde würden sterben, ehe sie dicht genug herangekommen waren, um die Schwerter zu benutzen.
»Warten…«, rief Brutus über die Köpfe seiner Männer hinweg. Nur noch ein paar Schritte, dann würden die vorrückenden Linien in Wurfweite sein.
Ohne Warnung erschallte der Befehl zum Halten, und die gegnerischen Reihen kamen diszipliniert zum Stehen. Brutus hob überrascht die Augenbrauen und musterte die Gesichter der Feinde prüfend. Dann erblickte er Julius und lachte zur Überraschung der Umstehenden plötzlich laut auf.
»Die Waffen weg!«, befahl er seinen zwanzig Mann und sah zu, wie sie ihre Speere wieder festschnallten und die Schwerter zurück in die Scheiden schoben. Als alles wieder an seinem Platz war, schritt er schmunzelnd auf die Soldaten zu.
Julius sprach zuerst.
»Hast du eigentlich eine Ahnung, wie dicht ich daran war, euch niederzumetzeln?«, fragte er grinsend.
»Ich habe eben das Gleiche gedacht. Meine Männer hätten ein paar von euch mit Speeren aufgespießt, ehe ihr zehn Schritte näher gekommen wärt. Du hast also immer noch Glück, wie ich sehe.«
»Ich habe dich erkannt«, warf Cabera verschmitzt ein.
Brutus jauchzte, als er den alten Mann lebendig vor sich stehen sah. Alle drei umarmten sich, zur völligen Verwirrung der waffenstarrenden Legionäre, die sie umgaben. Julius löste sich als Erster und bemerkte die drei gekreuzten Pfeile auf Brutus’ Brustpanzer.