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Octavian erwartete sie am Tor. Julius sah ihn ausdruckslos an und blieb dann erstaunt stehen, als der kleine Junge sich tief vor ihm verneigte.

»Wen haben wir denn da?«, fragte er an Tubruk gewandt und wunderte sich, diesen vor Verlegenheit erröten zu sehen.

»Er heißt Octavian, Herr. Ich habe ihm versprochen, ihn dir vorzustellen, sobald es an der Zeit sei, aber es sieht ganz so aus, als hätte er schon wieder die Geduld verloren.«

Bei diesen strengen Worten wurde Octavian ein wenig blass. Es stimmte, dass er nicht mehr hatte warten können, doch er war nur weniger ungehorsam gewesen, als dass er angenommen hatte, Tubruk hätte seine Meinung geändert, was, wie er fand, etwas völlig anderes war.

»Tubruk kümmert sich um mich«, sagte er stolz zu Julius. »Ich lerne, wie man mit einem Gladius kämpft, wie man reitet und…«

Tubruk gab ihm einen sanften Klaps, der ihn zum Verstummen brachte. Die Verlegenheit des Verwalters wurde noch größer. Er hatte Julius alles erklären wollen, und es war ihm peinlich, dass es ihm jetzt ohne Vorwarnung an den Kopf geworfen wurde.

»Alexandria hat ihn mitgebracht«, sagte er und stieß Octavian mit einem kräftigen Schubs in Richtung der Ställe davon. »Er ist ein entfernter Verwandter von dir, aus der Familie der Schwester deines Großvaters. Aurelia hat ihn anscheinend ins Herz geschlossen, aber er muss immer noch lernen, wie man sich benimmt.«

»Und wie man mit dem Gladius kämpft und reitet?«, fragte Julius, der sich über Tubruks Verwirrung amüsierte. Den Verwalter derart durcheinander zu sehen, war etwas völlig Neues für ihn, deshalb ließ er die Angelegenheit mit Vergnügen ihren Lauf nehmen.

Tubruk kratzte sich hinter dem Ohr, zog eine Grimasse und schaute Octavian nach, der den Wink endlich verstanden hatte und sich trollte.

»Es war meine Idee. Er ist von größeren Jungen verprügelt worden, von irgendwelchen Lehrlingen in der Stadt, und ich dachte, ich könnte ihm beibringen, wie man sich schützt. Ich wollte das alles noch mit dir besprechen, aber…«

Jetzt platzte Julius laut heraus, und Tubruks verdutzter Gesichtsausdruck machte das Ganze auch nicht besser.

»Ich habe dich noch nie so nervös gesehen«, meinte er. »Es sieht ganz so aus, als hättest du einen Narren an dem kleinen Welpen gefressen.«

Irritiert von dem plötzlichen Stimmungswechsel zuckte Tubruk lediglich die Achseln. Es war typisch für Octavian, seine Anordnungen wieder einmal zu ignorieren. Jeder Tag schien für ihn ein neuer Anfang zu sein, der ihn sämtliche Lektionen und Strafen vergessen ließ.

»Für einen so kleinen Burschen ist er sehr eigensinnig. Jetzt, nachdem wir ihn ein bisschen ins Lot gebracht haben, erinnert er mich manchmal an dich.«

»Ich stelle nichts von dem in Frage, was du in meiner Abwesenheit getan hast, Tubruk. Wenn dein Urteil für meinen Vater gut genug war, dann ist es allemal gut genug für mich. Ich sehe mir den Jungen heute Abend genauer an, wenn ich wieder da bin. Ist er nicht ein bisschen zu klein, um sich auf den Gassen der Stadt zu prügeln?«

Tubruk nickte, er war erfreut, dass Julius nichts dagegen einzuwenden hatte. Er fragte sich, ob dies der richtige Moment war, zu erwähnen, dass der Junge ein eigenes Zimmer im Haus und sein eigenes Pony im Stall hatte. Wahrscheinlich nicht.

Immer noch lächelnd ging Julius auf das Hauptgebäude zu. Tubruk blieb allein im Hof stehen. Aus dem Augenwinkel bemerkte er eine kurze Bewegung beim Stall und seufzte. Der Junge hatte schon wieder gelauscht, wahrscheinlich aus Angst, dass man ihm sein Pferdchen wegnehmen würde – die einzige Drohung, mit der man bei ihm etwas erreichen konnte.

Julius saß schweigend im Ankleidezimmer seiner Mutter und sah zu, wie eine Sklavin die Salben und Farben auftrug, die ihren schlechten Zustand verbergen sollte. Die Tatsache, dass sie ihm erlaubte, sie ohne all dies zu sehen, erschreckte ihn ebenso sehr wie die Erkenntnis, wie dünn sie geworden war und wie krank sie aussah. Schon so lange hatte er sich geschworen, dass er mit ihr darüber reden wolle, wie gut er ihre Krankheit mittlerweile nachvollziehen konnte, und aus den Trümmern seiner Kindheit so etwas wie eine neue Freundschaft zu gewinnen. Jetzt, da es so weit war, wusste er nicht, wie er anfangen sollte. Die Frau, die dort vor dem Spiegel saß, war für ihn beinahe eine Fremde. Ihre Wangen waren zu tiefen Höhlen eingefallen, die sich der Farbe widersetzten, die die Sklavin dort verteilen wollte, und die durch die helleren Töne hindurchschimmerten wie ein über ihr schwebender Schatten des Todes. Ihre dunklen Augen waren matt und teilnahmslos, ihre Arme so mager, dass es ihn erbarmte, wenn er sie nur ansah.

Zumindest hatte Aurelia ihn erkannt. Sie hatte ihn mit Tränen in den Augen und einer schwächlichen Umarmung begrüßt, die er mit unendlicher Vorsicht erwidert hatte, da er das Gefühl hatte, er könne das zerbrechliche Wesen, zu dem sie geworden war, jederzeit zermalmen. Doch sogar dabei hatte sie leicht aufgekeucht, als er sie in die Arme genommen hatte, und sofort hatte er ein schlechtes Gewissen verspürt.

Nachdem die Sklavin die Gerätschaften in einem hübsch lackierten Kasten verstaut und sich mit einer Verbeugung zurückgezogen hatte, wandte sich Aurelia ihrem Sohn zu und versuchte sich an einem Lächeln, obwohl ihre Haut durch die Behandlung mit der Schminke knitterte wie Pergament.

Julius rang mit seinen Gefühlen. Cabera hatte ihm gesagt, sein Leiden sei ein anderes als das seiner Mutter, außerdem wusste er, dass sie niemals eine Verletzung erlitten hatte wie die, die ihn beinahe getötet hätte. Trotzdem hatten sie endlich etwas gemeinsam, auch wenn die Kluft unüberbrückbar schien.

»Ich… ich habe viel über dich nachgedacht, während ich weg war«, setzte er an.

Sie gab ihm keine Antwort, war allem Anschein nach völlig gebannt vom Anblick ihres Gesichts in der polierten Bronze. Ihre langen, dünnen Finger wanderten zu ihrem Hals und zu den Haaren, während sie sich hierhin und dorthin drehte und dabei die Stirn runzelte.

»Ich bin in der Schlacht verwundet worden und war lange krank«, versuchte Julius es weiter, »und danach hatte ich einen seltsamen Anfall. Er… hat mich an deine Krankheit erinnert, und ich war der Ansicht, dass ich es dir sagen sollte. Es tut mir Leid, dass ich dir nicht ein besserer Sohn gewesen bin. Ich habe damals nie begriffen, was du durchgemacht hast, aber als es mir selbst zugestoßen ist, war es, als hätte sich ein Fenster geöffnet. Es tut mir Leid.«

Er sah, wie ihre zitternden Hände ihr Gesicht streichelten und liebkosten, während er sprach, und dass ihre Bewegungen immer lebhafter wurden. Besorgt erhob er sich halb von seinem Stuhl und lenkte sie damit ab, so dass sie ihm das Gesicht zuwandte.

»Julius?«, flüsterte sie. Ihre Pupillen hatten sich geweitet, und ihre dunklen Augen schienen durch ihn hindurchzusehen.

»Ich bin hier«, sagte er betrübt und fragte sich, ob sie ihn überhaupt gehört hatte.

»Ich dachte, du hättest mich verlassen«, fuhr sie fort. Ihre Stimme jagte ihm einen Schauer über den Rücken.

»Nein. Ich bin zurückgekommen«, sagte er und spürte, wie seine Augen vor Kummer brannten.

»Geht es Gaius gut? Er ist so ein eigensinniger Junge«, sagte sie, schloss die Augen und senkte den Kopf, als wollte sie die Welt nicht weiter an sich heranlassen.

»Es… es geht ihm gut. Er hat dich sehr lieb«, antwortete Julius leise und hob die Hand, um sich die Tränen wegzuwischen.

Aurelia nickte und wandte sich wieder dem Spiegel und ihren versunkenen Betrachtungen zu.

»Das freut mich. Schickst du mir die Sklavin herein, damit sie sich um mich kümmert, mein Lieber? Ich glaube, ich brauche heute ein wenig Schminke, um den Tag zu ertragen.«

Julius nickte, erhob sich vollends und sah sie einen Moment lang an.

»Ich hole sie«, sagte er und ging hinaus.

Als die Sonnenuhr auf dem Forum den Mittag anzeigte, betrat Julius mit seinen Leibwächtern den großzügig angelegten Platz und schlug den kürzesten Weg zum Senatsgebäude ein. Dabei fielen ihm die Veränderungen auf, die die Stadt erfahren hatte, seit er fortgegangen war. Die Befestigungen, die Marius entlang der Mauern hatte errichten lassen, waren entfernt worden; man sah nur wenige Legionäre, und auch die wirkten entspannt, schlenderten mit ihren Mätressen durch die Straßen oder standen plaudernd zusammen. Von der erwarteten Anspannung war nichts zu spüren. Rom war wieder eine Stadt im Frieden. Ein Schauer überlief ihn, als er über die flachen grauen Steine schritt. Er hatte zehn Soldaten, die seinem Kommando unterstanden, mit in die Stadt gebracht, weil er sich in seiner formellen Kleidung, so ganz ohne Rüstung, in ihrer Begleitung wohler fühlte. Eine solche Vorsichtsmaßnahme schien völlig unnötig zu sein, und er wusste nicht genau, ob er sich darüber freute oder ärgerte. Die Schlacht um die Stadtmauern war ihm noch lebhaft in Erinnerung, als wäre er nie weg gewesen, doch die Leute, die sich in der kraftlosen Wintersonne im Freien aufhielten, lachten und scherzten miteinander. Sie sahen die Szenen nicht, die in seiner Vorstellung aufblitzten. Wieder sah er den gefallenen Marius und den Zusammenprall dunkler Gestalten, als Sullas Streitmacht die Verteidiger rings um ihren Feldherrn niedermachte.